Kunst
Roman Demtšenko: „Man will das nicht tun, aber es gibt keine andere Wahl.“

Menschen bei einer Musikveranstaltung © Leoni Papritz

Nach der Aufhebung der Beschränkungen kam die Musikindustrie wieder in Schwung. Das war natürlich eine gute Nachricht für die Menschen, die kulturelle Aktivitäten vermissen. Der Krieg in der Ukraine löste bei vielen wieder große Ängste aus. Die Stimmung veränderte sich. Aber was ist jetzt anders? Es gab die Hoffnung, dass die Clubs und Bars aktiv besucht würden und nicht umgekehrt. Das möchten wir mit Roman Demtšenko, Organisator zahlreicher Veranstaltungen, Mitinhaber der Bar Sveta und Gründer der Musikagentur Damn Loud besprechen.
 

Sandra Merkulaeva

Erzählen Sie etwas über sich und Ihre Arbeit.
„Ich heiße Roma, ich bin 29 Jahre alt. Ich arbeite in der Musikbranche und bringe internationale Künstler*innen nach Estland. Ich war auch bei großen Festivals wie Tallinn Music Week und Station Narva als Programmdirektor tätig und bin Mitinhaber der Bar Sveta.“

Woher kommt Ihre Liebe zur Musik?
„Alles begann, als ich 13 Jahre alt war. Ich war auf meinem ersten Konzert und war völlig begeistert: zuallererst wegen der einzigartigen Energie. Das fesselte mich sehr, und ich begann, oft auf Konzerte zu gehen. Irgendwann dachte ich, dass ich gern Schlagzeug spielen würde, und besuchte einen Musiklehrer. Ich fing an, in Bands zu spielen, wir gaben Konzerte in lokalen Clubs und Bars. Dann unternahmen wir kleine Tourneen durch Skandinavien und das Baltikum. Generell hatte ich damals keine Gedanken, mich ernsthaft damit zu beschäftigen.

Am Anfang meiner Musikkarriere und meines Werdegangs spielte das Networking eine große Rolle, denn wenn man so etwas macht, trifft man ständig Leute, die an ähnlichen Projekten beteiligt sind, und sie alle brauchen Kontakte und Hilfe in Estland. Es wurde eine Gemeinschaft von Bekannten aufgebaut, mit denen wir anfingen, im Baltikum und in Europa aufzutreten. Als ich 23 Jahre alt war, schrieb mir der Agent einer großen Band und fragte mich: „Hallo Roma, möchtest du ein Konzert in Tallinn organisieren?“. Und obwohl ich keine Ahnung davon hatte, wie man solch eine große Veranstaltung durchführt, stimmte ich zu und begann zu arbeiten.“

Wie wurde Damn Loud gegründet?
„Alles begann mit einer anderen Agentur namens Urban Culture Entertainment. Ich fing an, mit ihr zu arbeiten, als ich das Angebot bekam, ein großes Konzert in Tallinn zu organisieren. Wir beschäftigten uns mit dem Aufbau dieser Agentur und arbeiteten 3 Jahre lang zusammen, aber dann gingen wir getrennte Wege. In der Folge wurde Damn Loud im Jahre 2016 gegründet. Alles passierte ganz spontan, da wir uns schon lange Zeit damit beschäftigten und wussten, wie alles funktioniert. Unser Team besteht aus 4 Personen, mit denen wir beschlossen, unsere Lieblingsbands einzuladen und große Konzerte zu geben.“

Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Zusammenarbeit mit Künstlern?
„Es gibt ziemlich viele Schwierigkeiten, die meisten Aufgaben werden aus Enthusiasmus und Liebe zur Musik erfüllt. Das häufigste und wichtigste Problem ist mit dem Transfer der Künstler*innen verbunden, da wir in einem kleinen Land leben. Es ist ziemlich schwer, hierher zu kommen, deshalb kommt der Transport mit einem Minivan oder einem Kleinbus in der Regel überhaupt nicht in Frage. In den meisten Fällen organisieren wir einen Flug für die Musiker*innen, was für uns teurer und für die Künstler*innen unbequem ist. Es ist schwer, mit großen Märkten wie Deutschland oder Frankreich zu konkurrieren, wo die ankommenden Künstler*innen in erster Linie das Land kennenlernen möchten. Wir versuchen, die Menschen dazu zu bewegen, hierher zu kommen. Ungeachtet von Bevölkerungszahl und -entwicklung leben in Berlin Millionen von Menschen, während Tallinn etwa vierhunderttausend Einwohner zählt, von denen nur die Hälfte Konzerte besucht. Auch das estnische Steuersystem spielt eine große Rolle, denn es ist sehr schwer, mit großen Städten in finanzieller Hinsicht zu konkurrieren.“

Glauben Sie, dass der Kultursektor von den jüngsten Ereignissen in der Welt stark betroffen wurde?
„Das ist wirklich so. Natürlich hängt es auch von der Art der Menschen ab. Wir hatten einige Konzerte gleich nach dem Kriegsausbruch, und man konnte sehen, dass es für Menschen sehr seltsam war, in Bars oder Clubs zu gehen, sich zu amüsieren und zu vergessen, was jetzt in der Ukraine passiert. Es war sehr komisch, solche Veranstaltungen zu organisieren, als wären sie völlig unangemessen und unhöflich gegenüber denjenigen, denen es schlecht ging. Andererseits sollten wir sie organisieren, da bereits Geld ausgegeben wurde und die Tickets für Künstler*innen gekauft wurden. Es entsteht solch eine unangenehme Situation, wenn man etwas nicht tun will, aber es keine andere Wahl gibt. Wir geben jetzt immer noch Konzerte, der Krieg dauert schon ein paar Monate. Ich habe festgestellt, dass es den Menschen leichter fällt, Konzerte zu besuchen. Sie schätzen die Zeit, die sie in einer Bar oder in einem Club verbringen. Ich glaube, das ist eine Möglichkeit, die Sorgen zumindest für einen Abend zu vergessen, in das Leben vor dem Krieg zurückzukehren und sich von der Realität abzukoppeln, einfach Musik zu hören, zur Besinnung zu kommen. Die Pandemie hat auch große Auswirkungen; die Menschen blieben seit September letzten Jahres, also seit mehr als einem halben Jahr, zu Hause. Jetzt ist es möglich, Konzerte ohne jegliche Einschränkungen zu besuchen, auch deswegen besitzen diese Veranstaltungen einen hohen Stellenwert.“​​​​​​

Wie wurden Sie Teil des Teams von TMW und Station Narva?
„Als der bisherige Programmleiter des Festivals 2018 seine Position verließ, bekam ich das Angebot, seine Aufgaben zu übernehmen. Ich kann nicht sagen, dass es mein Ziel war, alles passierte eher zufällig und organisch. Die Tallinn Music Week und die Station Narva gehören zu den größten Festivals in Estland, und im Grunde genommen würde ich sie zu den Weltveranstaltungen zählen, da viele Gäste aus anderen Ländern hierher kommen. Momentan gehöre ich nicht zum Kernteam, da ich einfach keine Zeit und keine Kräfte habe, aber ich bin immer bereit, dem Team mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, wenn es nötig ist.“

Welchen Rat können Sie den jungen Menschen geben, die sich im Kulturbereich engagieren wollen? Welche Schritte muss man dazu unternehmen?
„Zuerst muss man bestimmen, welche Musik man am liebsten hört. Das Schlimmste ist, Veranstaltungen für alle und gleichzeitig für niemanden zu organisieren. Man muss lernen, das Gleichgewicht zwischen dem, was gefällt, und dem, was grob gesagt, im Trend ist, zu finden. Das Wichtigste ist, den Kopf nicht zu verlieren und sich mehr an der Realität zu orientieren. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, keine großen Erwartungen zu haben, Ziele in kleinen Schritten zu erreichen und Kontakte aufzubauen, indem man sich einen guten Ruf erarbeitet und Erfahrungen sammelt. In diesem Bereich muss man ein gelegentliches Burnout in Kauf nehmen; der Arbeitsverlauf im Kultursektor ähnelt einer Sinuskurve. Manchmal ist man überfordert, und manchmal gibt es kaum Arbeit. Das führt sehr oft zu einem Burnout, deshalb ist es wichtig, rechtzeitig Prioritäten zu setzen.“
 

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