Wir
Das ewige Problem der Väter und Kinder

Ein Mann und eine Frau sehen, wie das Schiff ausläuft © Marija Bolšakova

Dies ist eine Nacherzählung meines Gesprächs mit meiner Mutter über Beziehungen zu Eltern, Unterschiede beim Erwachsenwerden sowie darüber, was Eltern von uns lernen können.
 

Milena Kulikova


Mit 23 Jahren habe ich verstanden, dass es keinen besseren Ort als das Elternhaus gibt. Aber wenn man 18 Jahre alt ist, träumt man nur davon, vor Auseinandersetzungen zu fliehen und in das „erwachsene“ Leben einzutauchen. Was hat sich also in 5 Jahren geändert? Sind meine Eltern freundlicher geworden? Oder habe ich endlich die Gründe für unsere Missverständnisse erkannt?

Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit meiner Mutter. Wir tauchten ab in Erinnerungen und besprachen die Schulzeiten. Das ziemlich brisante und derzeit meistdiskutierte Thema des Krieges veranlasste uns dazu, über ein Fach zu sprechen, das zu Sowjetzeiten in den Schulen von Narva unterrichtet wurde – nämlich die militärische Grundausbildung. Damals sagte ich scherzhaft, wie viel Glück meine Eltern hatten, dass sie im Falle eines Atombombenangriffs eine Gasmaske aufsetzen konnten. Ich glaube, ich sagte das in meiner kindlichen Naivität und aus völligem Unverständnis für die Vergangenheit. Das war für meine Mutter das meistgehasste Fach, und das Erlernen des Umgangs mit der Gasmaske war für sie genauso quälend wie für mich das Skifahren.

Während meine Mutter also die Schule besuchte, wo es Pflicht war, kurze Shorts beim Sportunterricht zu tragen und sich vom Lehrer beim Umziehen zuschauen zu lassen oder alle möglichen Beleidigungen und Schläge mit dem Zeigestock von Lehrern zu ertragen, lernte ich in einer Zeit völliger Freiheit und in einer Atmosphäre der Geborgenheit. Ich machte mir keine Sorgen um die Sicherheit, ich konnte immer meine Meinung frei äußern oder die Situation beeinflussen.
 

Nichts ist so selten auf der Welt wie völlige Ehrlichkeit zwischen Eltern und Kindern.

Romain Rolland

Als wir feststellten, wie unterschiedlich unsere Kindheiten waren, kam auch die Antwort auf die Frage „Warum unterscheiden wir uns so sehr?“. Ich wurde 1999 geboren, und mein ganzes bewusstes Leben lang war ich von Freiheit in all ihren Erscheinungsformen – Gedanken, Handlungen, Regeln und in der Umwelt – umgeben. Ja, ich nahm gewiss bestimmte Muster (mit anderen Worten Schablonen, Vorbilder) an, die ich im Kopf hatte und an denen ich mich orientierte. Ich bezweifle, dass meine Eltern bewusst an meiner „Programmierung“ beteiligt waren – das ist wie Folklore, die traditionell in mündlicher Form weitergegeben wird. Aber je älter ich wurde, desto weniger Grenzen und Schablonen gab es in meinem Kopf. Höchstwahrscheinlich ist das auf die Freiheit zurückzuführen, in der ich aufgewachsen bin und in der ich heute noch lebe. Mir ist schon lange klar, dass das Leben zu kurz ist und es keinen Sinn hat, es mit Zweifeln, Komplexen, fremden Meinungen und Ängsten zu verschwenden. Sich in imaginären Grenzen zu halten ist wie ein Zimmer hinter geschlossenen Vorhängen, in dem man keinen einzigen Sonnenstrahl zu sehen bekommt. Es ist ziemlich einfach, sich daran zu orientieren, was uns seit der Kindheit eingetrichtert wurde, und an die Richtigkeit dieser Behauptungen zu glauben. Viel schwieriger ist es, mutig genug zu sein, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, die von der Mehrheitsmeinung abweichen können.

Natürlich werde ich nie verstehen, wie es war, hinter dem Eisernen Vorhang aufzuwachsen, wo jede nichtrussische Kultur verboten war und die Kinder aufgefordert wurden, der kommunistischen Partei beizutreten und den Status eines „Pioniers“ zu erlangen. Allerdings sind es meine Eltern wegen solch einer Kindheit gewohnt, mit stressigen Situationen umzugehen. Das ist etwas, was meiner Generation fehlt.

Ich habe einmal die Meinung gehört, dass zusammen mit der Freiheit auch mehr Leichtsinn einhergeht, was sich in oberflächlichen Urteilen, Unbekümmertheit und mangelnder Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln und Leben zu übernehmen, ausdrückt. Ich möchte anmerken, dass ich mit dieser Aussage teilweise nicht einverstanden bin. Vielleicht legt die Generation Z tatsächlich selten Geld für schlechte Zeiten zurück und bemerkt höchstwahrscheinlich nicht, wie sich die Preise in Geschäften ändern, aber in einer so schnelllebigen Welt, in der täglich Tausende von Gigabytes an Informationen übermittelt werden, hilft nur die Einfachheit vor ständigen Angst- und Panikattacken. Dies ist eine Zeit, in der die Pflege der eigenen psychischen Gesundheit in den Vordergrund tritt. Und die Fragen, was die anderen Menschen anhaben, welche sexuelle Orientierung man hat und was der Nachbar tut, werden weniger wichtig. Und man hat weder die Energie noch die Zeit oder Lust, Antworten darauf zu finden.
Das ist genau das, was wir von unseren Eltern erwarten – Leichtigkeit und eine einfachere Lebenshaltung. Man kann sich endlos Sorgen um seinen Ruf machen und sich die Frage stellen, was normal ist. Das Leben ist kein Entwurf, der weggeworfen, durchgestrichen oder umgeschrieben werden kann. Man muss keine Angst davor haben, man selbst zu sein. Wir haben ja nicht ein paar Jahrhunderte in Reserve. In dem legendären Film „Forrest Gump“ sagte die Hauptfigur: „Die Gedanken sind Steine, und je mehr es sind, desto schwerer sind wir.“ Tragen Sie diese Last nicht allein. Sprechen Sie mit Ihren Eltern – glauben Sie mir, Sie werden viel Neues erfahren.
 

Das könnte euch auch gefallen

API-Error