Andy Warhols „Screen Tests“
Bewegte Bilder, die sich in Stillstand üben
Drei Minuten stillhalten, das ist nicht leicht. Genau das war es aber, was der amerikanische Künstler Andy Warhol in seiner Reihe „Screen Tests“ von seinen Darsteller*innen forderte. Diese Kurzfilme wurden Mitte der 1960er‑Jahre in einer fortlaufenden Reihe produziert.
Eine Vorliebe für Stille
Die Dynamik zwischen Künstler*in und Modell wusste wohl kaum jemand so effektiv zu nutzen wie die Pop‑Art‑Legende Andy Warhol (1928–1987). Auch wenn man den Vorarbeiter der New Yorker Kunstkommune Factory heute vor allem mit seinem glamourösen Umfeld und einer kurzatmigen Konsumwelt der „15 Minuten Ruhm“ in Verbindung bringt, besaß Warhol durchaus eine Vorliebe für Stille und Introspektion. Und ganz offenbar eine beeindruckende Menge an Geduld.
In seiner Serie Screen Tests holte der Künstler zwischen 1963 und 1966 hunderte mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten aus der Kulturszene vor seine Kamera, darunter den Musiker John Cale, den Maler Salvador Dalí, die Künstlerinnen Niki de Saint Phalle und Yoko Ono, die Sängerin und Stil‑Ikone Nico. Und damit wäre das Projekt auch schon ausreichend beschrieben. Denn was sonst nur das Vorspiel zu den eigentlichen Aufnahmen ist – Lichtausrichtung, Kameraeinstellungen, Überprüfung der telegenen Ausstrahlung der Schauspieler*innen –, ist hier das eigentliche Werk. Die schwarz‑weißen Kurzfilme von Screen Test konzentrieren sich ganz auf die Gesichter ihrer Protagonist*innen, die sich, wenn überhaupt, nur minimal bewegen. Der Künstler wollte keine Geräusche, keine Handlung, sondern die maximale Entschleunigung.
„Ein Medium der Ruhelosigkeit probiert sich im Stillstand"
Intime Ausnahmewerke
Wie wuchtig und emotional ein Blickduell sein kann, sei es mit oder ohne Bildschirm, zeigt sich in der Kunst immer wieder. Marina Abramović hat dies beispielsweise 2010 mit ihrer Ausdauerperformance The Artist is Present bewiesen. Dabei saß die Künstlerin drei Monate lang stumm im New Yorker MoMA Besucher*innen gegenüber – und rührte viele von ihnen allein durchs Zurückschauen zu Tränen.Marina Abramović, „The Artist is Present“, 2010, Museum of Modern Art, New York, 9. bis 31. Mai 2010. | Andrew Russeth, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons Auch die Mitwirkenden der „Screen Tests“ reagieren zum Teil heftig auf die Beobachtung der Kamera. Stillhalten fällt besonders schwer, wenn man weiß, dass man dabei gesehen wird und sich verletzlich macht. Manche der Gefilmten schützen sich durch Wegschauen, andere nehmen die Herausforderung an und schauen die Betrachter*innen drei Minuten lang unverwandt an. In unserer heutigen Medienwelt, die oft auf schnellen Schnitten und konsumierbaren Häppchen basiert, sind die Screen Tests eine etwas anachronistisch anmutende Geduldsübung. Eine jedoch, die sich lohnt, denn die Filme sind intime Ausnahmewerke in Warhols Karriere, die sich so oft durch seine Faszination für die Oberfläche definierte. Künstler, Modelle und Publikum treffen sich hier in einer derart menschlichen Art und Weise, dass irgendwann alle die Waffen strecken.