Online-Lecture #4
Kuration als Intervention

In der vierten Ausgabe der Online-Lectures stand das Thema „Kuration als Intervention“ im Mittelpunkt. Die Veranstaltung setzte sich mit der Frage auseinander, ob Kuration nicht immer eine Form von Intervention darstellt oder ob gezielte, bewusste Entscheidungen erforderlich sind, um bestehende Machtstrukturen zu hinterfragen und zu durchbrechen. Es wurden vielfältige Perspektiven und Ansätze beleuchtet, die zeigten, wie transformative kuratorische Praktiken aussehen können – und dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass jede Kuration eine Intervention darstellt.

Die Diskussionsrunde versammelte vier herausragende Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst und Aktivismus: Alina Buchberger, Kurator*in bei Kampnagel Hamburg, Pajam Masoumi, Autor*in und Kurator*in, Fatima Khan, Autorin, Moderatorin, Künstlerin und Kuratorin, sowie Sharon Dodua Otoo, Schriftstellerin und Aktivistin. Sie brachten ihre Erfahrungen aus Projekten wie dem Kritikablen Queertett, der Performativen Buchmesse in Hamburg, der Konferenz zur Kanonzerstörung, dem feministischen Literaturfestival q[lit]clgn und dem Schwarzen Literaturfestival Resonanzen ein. Jedes dieser Projekte steht exemplarisch für mutige, kreative Interventionen, die sich gegen bestehende Exklusionsmechanismen im Literatur- und Kulturbetrieb richten.

Ein zentraler Diskussionspunkt war die Auseinandersetzung mit dem bestehenden deutschen literarischen Kanon. Die Speaker*innen reflektierten darüber, wie sie diese Strukturen bewusst hinterfragen und mit neuen Ansätzen erweitern. Sharon Dodua Otoo stellte dabei die Frage: Für wen ist dieser Kanon gemacht – und für wen wurde er bewusst oder unbewusst nicht gemacht? Alina Buchberger sprach über die Transformation traditioneller Buchmessenformate hin zu performativen, interaktiven Räumen, die eine inklusivere und kritischere Auseinandersetzung mit Literatur ermöglichen. Fatima Khan schilderte eindrücklich, wie das Festival q[lit]clgn aus einem tiefen Frust heraus entstand: Es fehlte ein Raum, in dem diverse Stimmen und Perspektiven der Literatur eine Bühne finden. Dieser Ansatz, sich von einem Mangel inspirieren zu lassen, zog sich wie ein roter Faden durch die Projekte aller Beteiligten.

Ein weiteres zentrales Thema war die Verantwortung der Kurator*innen. Sharon Dodua Otoo betonte, dass Kuration nicht nur eine gestalterische Tätigkeit, sondern auch ein Akt der Fürsorge ist. Sie beschrieb, wie Kurator*innen sich aktiv um die Menschen und Themen kümmern sollten, die sie in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen. Besonders in Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks sei es entscheidend, Schutzräume und Netzwerke zu schaffen, in denen marginalisierte Stimmen gestärkt werden können. Dieses „Kuration als Care“-Konzept zeugt von einer bewussten, machtkritischen Haltung, die nicht nur die Kunst, sondern auch die Gesellschaft verändern kann.

Die Diskussion zeigte auch, wie fruchtbar die Zusammenarbeit zwischen Literaturwissenschaft, Aktivismus und Literaturbetrieb sein kann. Fatima Khan und Sharon Dodua Otoo sprachen über die Bedeutung der Interdisziplinarität und darüber, wie wichtig es ist, verschiedene Perspektiven in den Dialog zu bringen. Dabei wurde deutlich, dass es nicht nur um die Förderung etablierter Autor*innen geht, sondern vor allem darum, jene Stimmen sichtbar zu machen, die bislang von traditionellen Strukturen ausgeschlossen wurden. Ein beeindruckendes Beispiel hierfür ist die Performative Buchmesse, die nicht nur literarische Inhalte präsentiert, sondern durch innovative Formate Räume für Austausch, Gemeinschaft und neue ästhetische Formen schafft.

Die Veranstaltung machte deutlich, dass Kuration mehr als nur Auswahl und Präsentation ist. Sie kann – und sollte – ein gezieltes Eingreifen in bestehende Strukturen darstellen. Ob durch alternative Veranstaltungsformate, gezielte Auswahlprozesse oder interdisziplinäre Ansätze: Die Arbeit der Gäst*innen zeigte eindrucksvoll, wie Kuration Veränderung bewirken kann. Es wurde klar, dass es Mut und Engagement braucht, um Machtverhältnisse zu hinterfragen und Literatur als Medium der Transformation zu nutzen.

Die Diskussion wurde in Kooperation mit Kampnagel – Internationales Zentrum für Schönere Künste präsentiert.