Online-Lecture #3
Distrupting Translation

Unter dem Titel Disrupting Translation widmete sich die dritte Ausgabe der Online-Lectures der Übersetzung als kulturelle und politische Intervention. Die Kuratorin Maha El Hissy moderierte zusammen mit Leila Essa von der Universität Utrecht das Gespräch und diskutierte mit Thalia Ostendorf und Jon Cho-Polizzi, wie Übersetzung als Werkzeug zur Machtkritik und Förderung von Inklusion genutzt werden kann.

Im Zentrum stand die Frage: Für wen wurde ein Text nicht übersetzt? Diese Frage wurde vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Debatten beleuchtet, darunter die Kontroverse um die Übersetzung von Amanda Gormans Gedicht The Hill We Climb, das in den Niederlanden zunächst von einer nicht-schwarzen Übersetzerin bearbeitet wurde. Diese Debatte diente als Ausgangspunkt, um zu untersuchen, welche Mechanismen entscheiden, wer die Möglichkeit erhält, Texte zu übersetzen, und wie Übersetzungspraktiken bestehende Machtstrukturen beeinflussen.

Thalia Ostendorf, Wissenschaftlerin, Verlegerin und Übersetzerin, konzentriert sich auf postkoloniale Literatur und die Sichtbarmachung marginalisierter Stimmen. Sie hob hervor, wie entscheidend kollektive Projekte für ihre Perspektive als Übersetzerin sind. Durch gemeinschaftliche Arbeit entstehen nicht nur neue kreative Impulse, sondern auch Netzwerke, die Solidarität und Austausch fördern.

Jon Cho-Polizzi, Assistenzprofessor an der University of Michigan, beleuchtete die Rolle des Übersetzers als Vermittler zwischen Autor*in und Leser*in. Dabei reflektierte er über die spezifischen Herausforderungen, denen sich junge Übersetzer*innen beim Einstieg in den Markt stellen müssen, sowie die Hürden, die es für mehr Diversität und Inklusion in der Übersetzungsbranche zu überwinden gilt.

Die Diskussion spannte einen Bogen über zentrale Themen, darunter die Wechselwirkungen zwischen Übersetzung und Machtstrukturen. Übersetzung wurde als ambivalente Praxis dargestellt, die bestehende Machtverhältnisse sowohl verstärken als auch hinterfragen kann. Dabei wurde insbesondere die Verantwortung von Verlagen thematisiert, eine vielfältigere Auswahl an Übersetzer*innen aktiv zu fördern, um marginalisierten Stimmen mehr Gehör zu verschaffen. Die Unsichtbarkeit marginalisierter Literatur war ein weiterer Schwerpunkt: Wichtige Werke bleiben oft aufgrund sprachlicher und kultureller Barrieren unzugänglich. Übersetzer*innen spielen hier eine Schlüsselrolle, um diese „unsichtbaren Archive“ sichtbar zu machen und in globale Diskurse einzubringen.

Ein besonderes Augenmerk lag auf der Bedeutung kollektiver Übersetzungsprojekte. Beide Speaker*innen betonten, wie solche Projekte nicht nur die Qualität der Arbeit bereichern, sondern auch Raum für intersektionale Perspektiven schaffen können. Projekte wie die gemeinsame Übersetzung von literarischen Essays oder die Arbeit in interdisziplinären Teams wurden als Beispiele für transformative Ansätze genannt. Besonders eindrücklich waren die Schilderungen, wie Übersetzer*innen durch ihre Arbeit nicht nur Texte, sondern auch kulturelle Identitäten vermitteln und damit zu Akteur*innen eines breiteren gesellschaftlichen Wandels werden.

Das Gespräch bot außerdem Einblicke in die persönlichen Erfahrungen der beiden Speaker*innen: Sie reflektierten über ihren Einstieg in den Beruf, den langen Weg zur Anerkennung und die Herausforderungen, die durch eine oft elitäre Verlagswelt entstehen. Zugleich teilten sie ihre Visionen, wie die Übersetzungsbranche inklusiver gestaltet werden kann – etwa durch gezielte Förderprogramme, die Zugang zu diesem oft von Netzwerken dominierten Feld ermöglichen. Die Veranstaltung offenbarte nicht nur die Herausforderungen, sondern auch die weitreichenden Möglichkeiten des Übersetzens in einer globalisierten Welt. Sie zeigte, wie Übersetzung als politische und kulturelle Praxis genutzt werden kann, um bestehende Strukturen zu hinterfragen und zu verändern.
 

Die Veranstaltung wurde mit Unterstützung des Dutch Research Council (NWO) Projekt VI.Veni.211C.012 unter der Leitung von Dr. Leila Essa an der Universität Utrecht durchgeführt.