Buchkritik #10
Armin liest "Übergangsritus"
Armin nimmt uns in seiner neuesten Rezension für #Vorzeichen mit auf eine Reise durch die Gedichtsammlung Übergangsritus von Abdalrahman Alqalaq, der voller Verletzlichkeit über getötete Freund*innen und verlorene Städte schreibt.
Übergangsritus nennt Abdalrahman Alqalaq seinen Gedichtband, mit dem gleichnamigen Langgedicht, das vielleicht den Höhepunkt des schmalen Buchs erschließt. Es ist ironisch, dass ich Übergangsritus lese, während ich Loyle Carners Album „Not Waving, But Drowning“ im Flugzeug auf Repeat höre. Zwischen eigenen Übergängen teile ich Begegnungen mit Alqalaqs Figuren, die versuchen, im Meer laufen zu lernen.
Alqalaqs palästinensische Familie kommt aus Haifa, er wächst in Al-Yarmūk in der Stadtgrenze von Damaskus auf. Auch das lyrische Ich kehrt immer wieder nach Damaskus zurück, auch wenn er körperlich die Stadt nach dem Beginn des Bürgerkrieges 2011 verlässt.
Nach Kriegsausbruch waren nur noch schwarze Ziegen zu sehen. Als Teenager scheut sich das lyrische Ich noch davor, beim Schlachten der Tiere hinzublicken. Aber die Ziege verlässt ihn nicht, begleitet ihn im Bus an die türkische Grenze und knabbert am IS-Checkpoint an seiner Hose, in die seine Mutter die Speicherkarte seines Lebens vernäht hat. Die Ziege beißt in seinen rechten Fuß und das lyrische Ich bleibt still, als seine Kameraden von IS-Kämpfern rausgezogen werden. Auch auf einer griechischen Insel, als das lyrische Ich sich entscheidet dieselbe Ziege endlich zu töten, vergeht ihre schwarze Magie nicht.
Ein Junge schneidet das Meer mit einem Messer, und Alqalaqs lyrische Stimme verweist durch seine detaillierten Beobachtungen auf das verwehrte Recht zu sterben. Voller Verletzlichkeit trägt Alqalaq Zeug*innenschaft ab: sowohl über seine getöteten Freund*innen als auch über verlorene Städte. Übergangsritus ist vielleicht der Versuch, der Trauer das Gesicht einer Mutter zu geben, die in den Palästen ihrer eigenen Erinnerung feststeckt: „Mein Leben, das ich nicht leben werde / webt mir Gesichtszüge, und wir verschlingen uns gegenseitig“.
Abdalrahman Alqalaqs Gedichte sind in Teilen auf deutsch und arabisch verfasst. Die arabischen Abschnitte sind übersetzt von Günther Orth, Leila Chammaa und Sandra Hetzl.
© Armin Djamali
Alqalaqs palästinensische Familie kommt aus Haifa, er wächst in Al-Yarmūk in der Stadtgrenze von Damaskus auf. Auch das lyrische Ich kehrt immer wieder nach Damaskus zurück, auch wenn er körperlich die Stadt nach dem Beginn des Bürgerkrieges 2011 verlässt.
Nach Kriegsausbruch waren nur noch schwarze Ziegen zu sehen. Als Teenager scheut sich das lyrische Ich noch davor, beim Schlachten der Tiere hinzublicken. Aber die Ziege verlässt ihn nicht, begleitet ihn im Bus an die türkische Grenze und knabbert am IS-Checkpoint an seiner Hose, in die seine Mutter die Speicherkarte seines Lebens vernäht hat. Die Ziege beißt in seinen rechten Fuß und das lyrische Ich bleibt still, als seine Kameraden von IS-Kämpfern rausgezogen werden. Auch auf einer griechischen Insel, als das lyrische Ich sich entscheidet dieselbe Ziege endlich zu töten, vergeht ihre schwarze Magie nicht.
Ein Junge schneidet das Meer mit einem Messer, und Alqalaqs lyrische Stimme verweist durch seine detaillierten Beobachtungen auf das verwehrte Recht zu sterben. Voller Verletzlichkeit trägt Alqalaq Zeug*innenschaft ab: sowohl über seine getöteten Freund*innen als auch über verlorene Städte. Übergangsritus ist vielleicht der Versuch, der Trauer das Gesicht einer Mutter zu geben, die in den Palästen ihrer eigenen Erinnerung feststeckt: „Mein Leben, das ich nicht leben werde / webt mir Gesichtszüge, und wir verschlingen uns gegenseitig“.
Abdalrahman Alqalaqs Gedichte sind in Teilen auf deutsch und arabisch verfasst. Die arabischen Abschnitte sind übersetzt von Günther Orth, Leila Chammaa und Sandra Hetzl.