Buchkritik #13
Armin liest "Die Trauer der Tangente"

In Fabian Sauls Romandebüt Die Trauer der Tangente hat Armin ein Buch gefunden, das ihn noch lange begleiten wird. Warum erfahrt ihr in seiner neuesten Rezension für #Vorzeichen.

Zu sehen ist das Portrait eines jungen Mannes mit braunen kurzen Haaren, Dreitagebart und Ohrring, der auf einem Bett liegt. Oben rechts in der Ecke ist ein halbtransparentes Hashtag-Zeichen und darüber in weiß das Wort Vorzeichen zu sehen. Unten rechts in der Ecke befindet sich das Logo des Goethe-Instituts. © Armin Djamali Fabian Sauls Romandebüt Die Trauer der Tangente hat mich aufs Tiefste berührt. Sauls Text hat eine ganz eigensinnige Form, Orte, Begegnungen und Personen zu verknüpfen. Als würde eine große Gruppe enger Freund*innen auf dich zureden – zwar reden alle durcheinander, und doch macht jeder Kommentar Sinn, ergibt sich aus dem vorherigen und den noch kommenden Worten. Gemeinsam schaffen die Stimmen eine rhythmische Erzählung, der Buchrand erinnert uns kleingedruckt daran, wo wir sind. Wovon dieses Buch handelt? Es eröffnet viele Deutungsebenen und widerstrebt einer wahren Erzählung – der Text spricht definitiv von dem Versuch, Abstand einzufangen. Von dem Versuch, einen Anfang zu finden. Von dem Versuch, der Liebe für eine sterbende Person gerecht zu werden.

Aber versuchen wir einen anderen Blick:
»Alles hatte ich recherchiert, die Stellen gefunden, an denen ein Ort im anderen lag, die Stellen, an denen sie aufhörten und begannen, die Stellen, an denen es kälter war als gedacht, die Stellen, an der die Geschichte begann, die Stellen, an denen der Schmerz saß; alles hatte ich arrangiert und es dann stehen lassen. Ich habe meine rote Wange auf den Tisch gelegt und meine Augen geschlossen. Und so kamen die Bilder wieder.« (Die Trauer der Tangente, S.78f.)

Vielleicht handelt Fabian Sauls Roman hiervon: dem Schmerz nicht zu entfliehen, sondern innezuhalten, reinzudrücken. Saul erinnert uns daran, dass die Gewalt unserer Orte zusammenhängen und Geschichten nicht linear verlaufen. Von Berlin, Beirut bis hin nach Lagos – Saul schafft es, aus Begegnungen, Kartierung, Anekdoten und Zitaten wichtiger Denker*innen eine Erzählung zu entwickeln, die in sich stimmig bleibt. Durch Wiederholungen und Umschreibungen der eigenen Erzählchronologie entwirft Die Trauer der Tangente für mich eine ganz eigene Lesart, in der ich selber Anfänge spinnen möchte. Ein Buch, dass mich noch lange begleiten wird.