Buchkritik #14
Yeama liest "City of Trees"

In Chantal-Fleur Sanjons neuem Poesieroman trifft Yeama auf zärtliche Worte, die mitten ins Herz treffen und sogleich überraschen. Wie die Autorin konventionelle Erzählformen sprengt, erfahrt ihr in Yeamas neuester Rezension für #Vorzeichen.

Zu sehen ist das Portrait einer jungen Schwarzen Frau, die vor einer Hecke mit grünen Blättern und rosa Blüten steht. Oben links in der Ecke ist ein halbtransparentes Hashtag-Zeichen und darüber in weiß das Wort Vorzeichen zu sehen. Unten rechts in der Ecke befindet sich das Logo des Goethe-Instituts. © Josiane A.-H. »Ich trete aus dem Wald / lasse sie dort /
die Erinnerung an sie / ihre Melodie / ihre Stimme / kehre zurück in die Welt«

Verse, die uns in die Welt von der Protagonistin Lindiwe - kurz Lin - eintauchen lassen. Denn die schönen Worte, die Chantal-Fleur Sanjon für ihren Poesieroman wählt, sind zärtlich,
treffen mitten ins Herz und überraschen mich zugleich. Sie malt die Welt mit eindrücklichen Bildern und sprengt konventionelle Erzählformen.

Mir begegnet eine Sprache, die zwischen Prosa und einer Versform changiert und mutig ganz neue Bilder für Gefühle und Stimmungen findet. Realistische Beschreibungen treffen auf futuristische Elemente und afrikanische Mythologie. Marker im Text zentrieren Schwarze Perspektiven. Ein Zitat von Octavia E. Butler läutet beispielsweise den dritten Teil des Romans ein. Lins ältere
Schwester Khanyi ist vor drei Jahren spurlos verschwunden. Seitdem zieht es Lin immer wieder in den Wald. Dort fühlt sie sich Khanyi nah und deckt sich mit den Erinnerungen an sie zu. Die Lücke, die Khanyi hinterlässt, gräbt Spuren ins Familiengefüge. Da tut der Besuch ihrer Großmutter Gogo und ihrer Cousine Unathi aus Südafrika ihr übriges. Doch im Laufe der Geschichte machen sich Unathi und Lin gemeinsam auf die Suche nach Khanyi und stoßen auf Familiengeheimnisse.

Der sprachgewaltige Versroman löst Grenzen auf und macht zugleich die Position des Dazwischenseins sichtbar: Lin bewegt sich zwischen Identitäten, Welten, Generationen, Liebe und Sehnsucht. Auf ihrer Wange wächst Moos, ist sie noch Mensch oder schon eins mit der Natur? Im Wald  verwandelt sie sich immer mehr und es passieren sonderbare Dinge. Das Verschwinden von Jugendlichen mehrt sich und es wird beim Lesen klar, dass die Pflanzen und Bäume das Leben der Jugendlichen immer mehr einnehmen. Was steckt dahinter, wenn es auf den Körpern von Unathi, Lin und vielen anderen förmlich sprießt? Wird der Wald zum Zufluchtsort? Ein spannendes und eindrückliches Leseerlebnis, das viele Lesarten zulässt.

Im Hintergrund ein Blick hinauf in Baumkronen, darauf Name der Autorin, Buchtitel und Zitat. © Yeama Bangali