Graphic Novel Kafkas gescheiterte Millionenidee
Zum 100. Todestag werden Franz Kafkas Leben und Werk besonders ausgeleuchtet. Bunt erstrahlen lässt sie der Illustrator Nicolas Mahler in seiner neuen Graphic Novel – obwohl er dabei nahezu komplett auf Farben verzichtet.
1918 schrieb Franz Kafka über sich: „Ich bin Ende oder Anfang.“ Heute wissen wir: Er war Anfang, der Beginn einer neuen Literatur, einer Literatur, die Leser auf der ganzen Welt ungebrochen fasziniert. 2024 jährt sich Kafkas Todestag zum hundertsten Mal, und es verwundert nicht, dass ihm allenthalben auf vielfältige Art gedacht wird.Der Comic-Zeichner Nicolas Mahler legt zum Jubiläum ein Buch mit dem größenwahnsinnig-verspielten Titel Komplett Kafka vor. In seiner Graphic Novel wirft Mahler einen aparten Blick auf Kafkas Leben und Werk. Ein persönliches Best-Of, oder wie Mahler in einem Interview mit dem Literaturkritiker Denis Scheck sagt: der Bodensatz seiner einjährigen Beschäftigung mit Franz Kafka.
Ähnlich minimalistisch
Der österreichische Illustrator durchstreift in seinem Buch das Leben Kafkas, porträtiert kurzweilig wie präzise ausgewählte Werke, greift Zitate aus dessen Tagebüchern und Briefen auf und bringt diese mit einem reduziert-komischen Strich zur Darstellung. Mahlers Figuren sind minimalistisch, konzentriert auf ihre wesentlichen Merkmale, verdichtet und zugleich expressiv.In Anbetracht von Mahlers Zeichnungen dürfte dem Kafka-Kenner indes eine Parallele zum Meister der Groteske offenbar werden: Denn weniger bekannt als Kafkas Schriften sind dessen Zeichnungen, die sich gleichermaßen durch einen minimalistischen Stil auszeichnen und Kafka in einem Brief an seine Geliebte Felice Bauer zu der Aussage verleiten ließ: „Du, ich war einmal ein grosser Zeichner.“
Häufig wurde Nicolas Mahlers Stil mit jenem Kafkas verglichen. Ihm selbst sei diese Analogie zunächst gar nicht aufgegangen: „Natürlich kann man Ähnlichkeiten sehen, weil es Strichfiguren ohne Mimik sind. Bei der Arbeit an der Kafka-Biografie sind mir die Ähnlichkeiten erst richtig bewusst geworden, und es war eine große Freude, damit zu spielen“, so Mahler in einem anderen Interview.
Die Graphic Novel ist ein ausgezeichneter Einstieg für alle, die sich näher mit Kafka beschäftigen möchten, und zugleich für jene, die meinen, Kafka zur Genüge zu kennen. Mahler illustriert auf humorvoll wie groteske Weise Kafkas Erzählungen nach: Das Schloss; Die Verwandlung; Der Verschollene. Dabei erliegt er nicht der Versuchung, allein die Komik zu betonen und diese in den Mittelpunkt zu stellen, wie es in der jüngsten Kafka-Rezeption allzu gern geschieht. Vielmehr gelingt es Mahler in seinen Zeichnungen, die den Texten innewohnende Tragik zum Ausdruck zu bringen.
Hauptsache Billig
Dennoch: Die Graphic Novel bleibt zuvorderst ein großes Vergnügen voller überraschender Anekdoten. So erzählt Mahler die Geschichte von Kafkas Millionenidee. Gemeinsam mit seinem Spezi Max Brod wollte er eine kommerzielle Bestsellerreihe herausbringen – Kafka schrieb dazu: „Es war uns der Einfall gekommen, einen neuen Typ von Reiseführern zu schaffen. Er sollte BILLIG heißen. Also etwa Billig durch die Schweiz, Billig in Paris und so fort.“ Darin empfohlen werden sollte immer nur eine Sache – das billigste Hotel, das billigste Restaurant, das billigste Verkehrsmittel. Verbunden damit war die Idee des Sprachführers Billig, der, angesichts der Unmöglichkeit, eine Fremdsprache vollständig zu lernen, gleich das Falsche lehrt. Die Idee blieb letzten Endes nur ein Traum. Die Gespräche mit Verlegern scheiterten, und so wurde aus Kafka kein Millionär.Eine Kuriosität erzählt Mahler in Bezug auf Kafkas wohl berühmteste Erzählung Die Verwandlung. Auch wenn der Text seinerzeit kein positives Presseecho fand, zur Fan-Fiction hat es allemal gereicht. Karl Brand, ein damals 20-jähriger Prager, war derart fasziniert wie inspiriert von Kafkas Text, dass er eine Fortsetzung der Geschichte unter dem Titel Rückverwandlung des Gregor Samsa schrieb. Darin erwacht der totgeschlagene Käfer zum Leben und verwandelt sich in sein altes Ich zurück. Im Gegensatz zu seinem Vorbild brachte Karl Brand mehr Optimismus zu Papier und ließ seine Erzählung mit dem Satz enden: „Ein neues Leben beginnt!“ Zur Tragik der Geschichte gehört allerdings, dass Karl Brand an Lungentuberkulose erkrankte und nur neun Monate nach der Veröffentlichung seines Textes in der Prager Wohnung seiner Eltern starb.