Film und Autobahn Blick aus dem Autofenster

Ryan Gosling im Film „Drive“
Ryan Gosling im Film „Drive“ | © picture alliance / Everett Collection

Die Filmwelt bedient sich nicht nur in Roadmovies am Spirit der Autobahn. Der Blick der Protagonist*innen aus dem Autofenster findet sich in allen Filmgenres wieder. Was steckt dahinter? Wir haben einige Beispiele für euch herausgesucht!

Die Kilometer rasen an mir vorbei. Ich schaue aus dem Autofenster. Es ist ein Moment des Innehaltens, während mein Körper von meinem Fahrzeug in Höchstgeschwindigkeit mitgerissen wird. Eine Gedankenwelt entsteht, die an meiner realen Welt vorbeizieht: vorbei an verwischten Landschaften, den Leitplanken und Grünstreifen, an Vertrautem und an mir noch Unbekanntem.

Solche Szenen kennen wir nicht nur aus unserem persönlichen Alltag, sie wurden auch schon unzählige Male in Filmen erzählt. So findet die Autobahn nicht nur in ihrem eigenen Genre, dem Roadmovie, statt. Die Gefühle, die wir mit ihr verbinden, ziehen sich durch alle Filmgenres. Der Blick aus dem Autofenster bildet dabei häufig einen Schlüsselmoment oder einen Plot-Twist für die Protagonist*innen. Die folgenden Filmszenen erzählen unterschiedliche Geschichten von Filmfiguren, in verschiedenen Kontexten, zu verschiedenen Zeiten, mit verschiedenen Ausgängen. Aber alle verbindet: der Blick aus dem Autofenster.

Thelma & Louise (1991)

Filmstill: Thelma und Louise Foto: © picture alliance / Everett Collection | ©MGM/Courtesy Everett Collection

Der US-amerikanische Klassiker Thelma & Louise (1991), geschrieben von Callie Khouri und realisiert unter der Regie von Ridley Scott, hebt sich als Roadmovie von dem sonst so stereotypisch männerdominierten Genre ab. Er erzählt von der Freundschaft zwischen Thelma und Louise. Zusammen wollen sie an einem Wochenende ihrem tristen Alltag als Hausfrau und Kellnerin entfliehen und starten einen Roadtrip in die Berge.

Doch es kommt anders: Als Thelma vor einem Nachtclub von einem Mann sexuell belästigt wird, greift Louise kurzerhand zur Waffe und erschießt ihn. Erschrocken steigen die beiden Frauen in Louises Wagen und fliehen vom Tatort. Bis in die Morgenstunden fahren sie über den Highway. „Dieses Mal hat es sich geändert, alle Dinge haben sich geändert“, sagt Louise, während sie den Wagen lenkt. Sie stellt Thelma vor die Entscheidung, mit ihr nach Mexiko zu flüchten. Während Thelma aus dem Auto hinaus ins Freie schaut, drehen sich ihre Gedanken im Kreis: Unterstützt sie ihre Freundin, die jemanden für sie erschossen hat? Die Szene endet mit einer Supertotalen von Thelma und Louise auf dem Highway Richtung Mexiko. Thelma wird Louise begleiten.

Drive (2011)

Filmstill: Drive Foto (Detail): ©picture alliance / Everett Collection | FilmDistric/Courtesy Everett Collection

In der Literaturverfilmung Drive (2011) von Nicolas Winding Refn geht es um einen namenlosen Fahrer, der ein Doppelleben führt. Tagsüber ist er in einer Autowerkstatt und am Filmset als talentierter Stuntman anzutreffen. Das Talent kommt nicht von ungefähr, denn in der Nacht wird er zum Fluchtfahrer für Verbrecher*innen. Das ist kein einfacher Alltag. Das merkt der Fahrer, als er sich immer mehr für seine Nachbarin Irene interessiert. Er kann ihr nichts von seinem gefährlichen Nacht-Job erzählen.

Die Situation spitzt sich zu, als die Geschäfte des Fahrers mit gefährlichen Gangstern platzen. In den letzten zehn Minuten des Films ist der Protagonist in seinem Auto unterwegs, und er schaut ernst und nachdenklich aus dem Autofenster. Neben unzähligen Autoszenen des Films sticht diese heraus und bildet den letzten Plot-Twist der Handlung. Es ist der Moment, in dem der Fahrer realisiert, dass sich alles ändern wird. Schließlich entscheidet er sich dafür, Irene anzurufen: „Ich muss weg hier und ich weiß nicht, ob ich zurückkommen werde. Die Zeit mit dir war das Schönste, was mir je passiert ist.“ Der Fahrer fährt allein in die dunkle Nacht.

Lost in Translation (2003)

Filmstill: Lost in Translation Foto: © picture alliance / Mary Evans Picture Library

Lost in Translation (2003) ist kein Roadmovie, aber die Regisseurin Sofia Coppola arbeitet bewusst mit dem Blick aus dem Autofenster. Es geht um die junge Charlotte und den alternden Filmstar Bob, die sich zufällig im selben Hotel in Tokyo kennenlernen. Charlotte begleitet ihren Mann, der für einen Job nach Tokyo reist, während Bob für einen Werbespot in die Stadt gekommen ist. Beide verbindet ihre Schlaflosigkeit und die Resignation vom Leben. Zwischen dem ungleichen Paar entwickelt sich eine platonische Freundschaft. Gemeinsam streifen sie durch das nächtliche Tokyo.

Die ersten Filmminuten zeigen Bob, wie er auf dem Weg zum Hotel lange aus dem Taxifenster blickt, nicht wissend, ob der Job ihm noch einen letzten Karriereschub geben wird. Später im Film schaut auch Charlotte aus dem Autofenster, während sich die hellen Lichter Tokyos in der Seitenscheibe spiegeln. Ein Gefühl von Vergänglichkeit liegt über beiden Szenen. Die Autofenster führen die Filmfiguren buchstäblich von Ort zu Ort und erklären ohne Worte ihr Inneres.

The Ordinaries (2022)

Filmstill: The Ordinaries Foto: © Bandenfilm

Das Spielfilmdebüt The Ordinaries (2022) der deutschen Regisseurin Sophie Linnenbaum spielt in einer fabelhaften Filmwelt, die ihre Menschen in Haupt-, Nebenfiguren und Outtakes unterteilt. In dieser Welt steht die junge Paula vor der wichtigsten Prüfung ihres Lebens: Sie muss beweisen, dass sie das Zeug zur Hauptfigur hat.

Je mehr sich Paula mit dem System in ihrer Welt aufgrund der anstehenden Prüfung beschäftigt, desto stärker beginnt sie alles zu hinterfragen. Sie sucht im Archiv nach ihrem Vater, der bei einem Massaker ums Leben gekommen sein soll. Die Suche führt sie in die Abgründe ihrer Welt und schließlich ins Gefängnis, aus dem sie von einer einflussreichen Hauptfigur befreit wird. Diese fährt Paula anschließend mit dem Auto zu ihrer Prüfung. Während der Fahrt blickt Paula verzweifelt und ratlos aus dem Autofenster. In der Szene gibt es keinen Dialog. Das Szenenbild verbindet lediglich die Orte Gefängnis und Prüfungsbühne. Für die Darstellung von Paulas innerer Zerrissenheit ist das Bild jedoch unverzichtbar.

The Straight Story (1999)

Filmstill: The Straight Story Foto: © picture alliance / Mary Evans/AF Archive/Asymmetric | AF Archive

The Straight Story (1999) von David Lynch ist vielleicht ein Anti-Roadmovie. Der 73-jährige Protagonist Alvin Straight möchte seinen kranken Bruder Lyle besuchen, den er seit einem halben Leben nicht mehr gesehen hat, und mit dem er im Streit auseinander ging. Alvin macht sich auf die über 240 Meilen lange Reise. Sein Transportmittel auf dem Highway: ein Rasenmäher.

Die ganze Reise ist wie ein Blick aus dem Autofenster, auch wenn es kein Autofenster gibt. Es zieht uns raus in die Ferne des Highways, und rein in Alvins Gedankenwelt. Der Film lebt nicht von der Geschwindigkeit, er entschleunigt. Alvin hat viel Zeit nachzudenken. Kurz vor Ende des Films überquert er den Mississippi River. Eine Brücke erstreckt sich über den Fluss wie ein letzter Countdown seiner Reise. Sichtlich bewegt schaut sich Alvin in der Gegend um, niemand spricht – weder vor, während, noch nach der Szene. Während Alvin über die Brücke fährt, scheinen seine Gedanken ganz laut. Bis zu seinem Bruder ist es nicht mehr weit: Er ist so nah, dass Alvin ihn fast spüren kann. Mount Zion. In seinen Augen entfacht ein Zweifel, dann kehrt Hoffnung zurück.