Zwischen den Welten Bürger und Künstler Thomas Mann

Thomas Mann trug ihn ein Leben lang in sich – den Widerspruch seiner bürgerlichen Herkunft und der Berufung zur Kunst. Ein Blick auf den Konflikt, der sein Werk so beständig durchzieht wie kein anderer.
„Es ist aus mit dem Künstler, sobald er Mensch wird“. Die Erkenntnis, zu der Thomas Mann den fiktiven Tonio Kröger in der gleichnamigen Novelle gelangen lässt, klingt paradox. Und doch hallt sie im Frühwerk des Literaturnobelpreisträgers immer wieder nach. Die Annahme: Kunst produzieren kann nur, wer isoliert von den „Gewöhnlichen, den Ordentlichen“ am Rande der Gesellschaft steht und folglich mit einer Mischung aus Verachtung und Hochmut auf all jene herabblickt, die weder Ekstase noch Selbst- und Lebensüberdruss kennen. Jene, denen in der Banalität ihres geradlinig verlaufenden Lebens die Türen zu höheren Sphären verschlossen bleiben. Umso erschütternder muss es für den einsamen, am Rande der Erschöpfung stehenden Dichter Tonio Kröger gewesen sein, als seine Freundin Lisaweta Iwanowna eines Tages bilanziert: „Sie sind ein Bürger auf Irrwegen, Tonio Kröger, – ein verirrter Bürger“, aber eben doch ein Bürger, und der verkörpert schließlich ein stumpfsinniges, ungeistiges und zu Kunst unfähiges Leben.Der innere Konflikt
Die Parallelen zwischen dem fiktiven Charakter und seinem Urheber sind kaum zu übersehen. Thomas Mann wird 1875 in eine wohlhabende und angesehene Lübecker Kaufmannsfamilie hineingeboren. Wie seine Figur Tonio Kröger lässt auch er in jungen Jahren die hanseatische Heimat hinter sich, um in Italien die Weichen eines neuen Lebens zu stellen – dem eines Literaten. Doch wenn die Distanzierung auch physisch gelingt, im Geiste wird er sich nie gänzlich von seinen bürgerlichen Ursprüngen lösen, genauso wenig wie sein literarisches Alter Ego Tonio Kröger. Unvermeidbar sieht sich Thomas Mann also dem existenziellen Widerspruch zwischen Bürger- und Künstlertum ausgeliefert, den er schon deswegen in sich trägt, weil sein norddeutscher Vater den einen, und seine aus Brasilien stammende Mutter den anderen Lebensentwurf verkörperte. Wenn er Tonio Kröger also sagen lässt, „ich stehe zwischen zwei Welten, bin in keiner daheim und habe es infolge dessen ein wenig schwer“, entspringt diese Aussage wohl dem eigenen Gefühl uneindeutiger Zugehörigkeit und eines metaphorischen Zwischen-den-Stühlen-Sitzens, das vor allem in den frühen Erzählungen verarbeitet wird.Künstler vs. Bürger
Im Spannungsfeld von Künstler- und Bürgertum ringen die von Thomas Mann geschaffenen Figuren auf unterschiedliche Art und Weise mit ebendiesem Dualismus. Neben Tonio Kröger zählt auch Gustav von Aschenbach zu jenen, die beide Welten in sich tragen. Die Hauptfigur der 1911 entstandenen Erzählung Der Tod in Venedig ist ein angesehener Schriftsteller, geadelt aufgrund seiner großen literarischen Leistungen. Ein Schriftsteller also, der nicht im Widerstreit mit der Gesellschaft an ihrem Rande lebt. Vielmehr ist Gustav von Aschenbachs Leben das eines Bürgers, geleitet von preußischen Tugendvorstellungen und einer Disziplin, die seine Tage mit „Stürzen kalten Wassers über Brust und Rücken“ beginnen und sein Motto „Durchhalten“ lauten lässt. Doch trotz aller Mäßigung bleibt er ein Künstler, ein Ästhet. Und als der alternde von Aschenbach während eines Aufenthalts in Venedig auf den 14-jährigen Tadzio als Inkarnation absoluter Schönheit stößt, nimmt eine rauschhafte Selbstaufgabe ihren Lauf, die schließlich zum titelgebenden Tod in Venedig führt.In der Novelle Tristan hingegen, veröffentlicht im Jahr 1903, tritt der Konflikt zwischen Bürger- und Künstlertum nicht in Form einer einzelnen Figur auf. Stattdessen treffen vor der Kulisse eines im Hochgebirge gelegenen Sanatoriums zwei ungleiche Männer als Repräsentanten zweier gegensätzlicher Lebensentwürfe aufeinander: der erfolglose Schriftsteller Detlev Spinell und der Kaufmann Klöterjahn. Spinell, aufgrund seiner wenig vitalen Physiognomie im Sanatorium als „verwester Säugling“ bezeichnet, hat keine körperlichen Leiden zu beklagen und weilt nur in der Heilanstalt, weil er der Ansicht ist, dass Krankheit und die Nähe des Todes den Menschen veredeln. Klöterjahn hingegen, wohlgenährt und wohlhabend, verkörpert allein mit seinem sprechenden Namen das Leben und dessen Fortbestand. In der symbolischen Mitte der beiden Männer steht mit Gabriele Klöterjahn die Ehefrau des Kaufmanns, nach der Geburt des Sohnes schwach, ausgezehrt und an einem Defekt der Luftröhre leidend. Der Umgang mit Spinell, dem morbiden Künstler, der sie zum aufwühlenden Klavierspiel drängt, kostet sie schließlich das Leben.