Rama Abdulhadi Ankommen in Deutschland

Rama Abdulhadi im Hofgarten in München
Rama Abdulhadi im Hofgarten in München | © Marcus Sporkmann / Goethe-Institut

Rama Abdulhadi ist nach einer abenteuerlichen Flucht aus Syrien mit ihrer Familie 2015 in Deutschland angekommen. Wie ist es ihr seither ergangen? Was war schwierig? Will sie zurück nach Syrien? Wovon träumt sie? Der nachfolgende Text basiert auf einem Gespräch während der Konferenz „Flucht, Vertreibung, Einwanderung: Strategien der Integration?“ am 28. November 2024 in München. Fragen der Moderatorin Verena Hütter und Fragen aus dem Publikum sind eingeflossen. Lest hier Ramas Geschichte.

Ich bin seit 2015 in Deutschland. Zurzeit mache ich eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten. Seit mehr als zwei Jahren arbeite ich als Rettungssanitäterin im Rettungsdienst. Ich will Medizin studieren und Ärztin werden. Als ich meine Abiturprüfung geschrieben habe, war mein Deutsch nicht so perfekt wie heute. Mein Abiturdurchschnitt hat für ein Medizinstudium in München nicht ausgereicht. Aber durch meine Erfahrungen als Rettungssanitäterin und durch die Ausbildung habe ich eine Chance, doch noch einen Studienplatz zu bekommen. Ich hätte einen Platz in Rostock bekommen können. Aber das ist so weit weg. Es liegt mir sehr am Herzen, in München zu studieren, wo meine Familie und meine Freunde sind. München ist wie eine Heimat für mich. Ich habe immer Heimweh nach München, wenn ich in den Urlaub fahre.

Auf der Flucht

Wir haben Syrien am 20. August 2015 verlassen. An den Tag erinnere ich mich genau. Ich war damals 15 Jahre alt. In Syrien herrschte Bürgerkrieg. Wir waren in Damaskus, in einem sehr gefährlichen Gebiet, und standen unter Belagerung. Es gab kein Wasser, keine Elektrizität, keine Medikamente. Es gab ständig Bombenangriffe. Einmal ist eine Rakete direkt neben meinem Bruder Mohamad eingeschlagen. Ihm ist zum Glück nichts passiert. Aber es war so gefährlich, dass sich meine Eltern entschieden haben, alles hinter sich zu lassen und eine neue Heimat zu suchen.

Meine Familie, das sind meine Mama und mein Papa und wir vier Geschwister. Ich bin die älteste. Von Syrien aus sind wir in den Libanon und dann mit einem großen Kreuzfahrtschiff weiter in die Türkei gefahren. Von dort sind wir, wie alle Flüchtlinge, mit einem Schlauchboot weiter. Meine Eltern waren in Syrien recht wohlhabend. Mein Papa hatte ein Möbelhaus mit mehr als 30 Angestellten. Er hatte extra viel Geld bezahlt, damit wir als Familie mit einer Yacht nach Griechenland gefahren werden – so wurde es uns gesagt. Aber wir wurden betrogen. Die Leute hatten Waffen und sagten uns, entweder ihr fahrt hier in diesem Schlauchboot mit oder gar nicht. Wir waren 60 Leute in einem ganz kleinen Boot. Wir durften nichts mitnehmen, keine Taschen, und konnten nur ganz schnell die wichtigsten Dokumente in unseren Klamotten verstecken. Der Mann am Ruder hatte nie zuvor ein Boot gesteuert. Das war eine sehr schwierige Nacht. Meine Mama hat bis heute Angst vor dem Meer. Sie steigt nie wieder in ein Schiff. Wir haben gehört, dass viele ertrunken sind. Ich war mir damals sicher, dass auch ich ertrinken würde.

Aber wir haben es geschafft und sind zu Fuß weiter nach Ungarn. Da war die Polizei an der Grenze, und die haben uns nicht erlaubt reinzukommen. Sie hatten Hunde und haben Pfefferspray benutzt. Wir mussten einen Umweg nehmen. Meine Mama hat sich am Knöchel verletzt und konnte kaum noch laufen. Meine Geschwister waren noch klein. Meine kleinste Schwester Lin war damals erst vier Jahre alt. Irgendwann konnten wir nicht mehr und haben unsere Papiere abgegeben. Dann kam ein Notarzt, und sie haben uns mit Medikamenten versorgt. Danach sind wir mit dem Zug von Budapest nach München gefahren. Nachdem wir uns registriert hatten, kamen wir in ein Flüchtlingsheim in der Nähe von München. Dort war es nicht schön. Es war eng, die Wände waren ultradünn, ohne Tür und ohne Dach. Mein Bruder und ich gingen schon zur Schule und mussten früh raus. Aber es war super laut, immer lief Musik. Es gab Streitereien, da konnte man eigentlich nicht lernen. Zum Glück haben wir nach drei Wochen eine kleine Wohnung gefunden, ein Zimmer plus Schlafzimmer. Alle vier Kinder haben im Wohnzimmer geschlafen, meine Eltern im Schlafzimmer.

Mein Papa hat sich so angestrengt. Ich habe großen Respekt vor meinen Eltern. Sie sind die Ursache, dass ich so geworden bin, wie ich jetzt bin. Mein Papa hat sehr schnell Deutsch gelernt. Nach einem halben Jahr hat er schon die B1-Deutschprüfung bestanden und ist arbeiten gegangen. Er ist als Polsterer ausgebildet. Und heute arbeitet er in seinem ursprünglichen Job bei einem Münchener Raumausstatter. Wir haben uns für eine größere Wohnung beworben, die wir dann auch bekommen haben. Da wohnen wir heute noch.

In der Schule

Ich selber wollte unbedingt auch sehr schnell Deutsch lernen. Am Anfang bin ich in die Mittelschule gekommen, in eine Übergangsklasse. Da lernen verschiedene Kinder Deutsch. Es gab Intensiv-Deutschunterricht. Ein paar Monate danach konnte ich aufs Gymnasium wechseln. Im Jahr 2020 habe ich mein Abitur gemacht.

Das war gar nicht leicht. Ich habe wirklich viel gelernt. Richtig gebüffelt. Ich habe drei Stunden am Tag geschlafen, den Rest nur gelernt. Ich habe mir gesagt: entweder jetzt oder nie. Ich wollte immer Ärztin werden. Ich hasse es, später etwas zu bereuen. Und darum habe ich alles gegeben. Und ich finde es gut, wie ich es gemacht habe.

Glotzende Deutsche

Am Anfang hatte ich einen Kulturschock. Die Leute hier sind anders, die Mentalität ist anders. Wenn Du in eine Schule in Deutschland kommst, sprechen dich die Leute nicht direkt an. Sondern was machen sie? Sie gucken und starren. Sie beobachten dich ganz genau. Sie machen nicht den ersten Schritt. Und du selber traust dich nicht, den ersten Schritt zu machen. Und irgendwie hängen wir so dazwischen. Das war unangenehm. Am Anfang habe ich es nicht verstanden. Denn ich kam aus einer anderen Mentalität. Bei uns an der Schule wird man direkt angesprochen, in den Freundeskreis mitgenommen. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an die Leute.

Heimat

Ob wir zurück nach Syrien wollen? Nein. In dem Moment, wo wir Syrien hinter uns gelassen haben, war ganz klar: Wir suchen jetzt eine neue Heimat, eine neue Zukunft, wo wir sicher sind, wo wir von null anfangen werden. Den Gedanken, dass wir nach einer Weile zurückgehen, hatten wir nie. Wir vermissen unsere Verwandten, die in Syrien geblieben sind. Aber wir haben einen Krieg hinter uns. Wir haben Verletzungen, wir haben viele Traumata. Und ich glaube, das Bedürfnis, zusammen mit der engen Familie, den Leuten, die man so lieb hat, an einem sicheren Ort zu sein und ihnen eine bessere Zukunft zu geben, ist noch stärker als die Sehnsucht nach der Familie in Syrien.

Drei Kilometer von meinem Zuhause entfernt ist nachts ein chemischer Anschlag passiert. Dabei sind unglaublich viele Menschen ums Leben gekommen. Die sind ins Bett gegangen und nicht mehr aufgewacht. Nach so einem Erlebnis, da verbindet dich nichts mehr mit der Heimat. Da denkt man nicht „Ich will hier nicht weg“ sondern nur noch „Ich will hier weg“. Die Sicherheit geht immer voraus.

Ob ich Probleme bekomme, weil ich ein Kopftuch trage? In Deutschland herrscht zum Glück Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Manche machen blöde Kommentare. Aber die allermeisten haben großes Verständnis. Ich bin sehr dankbar dafür. Ich habe wenige muslimische Freunde. Alle sind entweder Christen oder Atheisten. Meine Eltern haben es sehr gut gemacht. Sie haben mich als kleines Kind immer an unterschiedliche Orte geführt, wir sind zu Synagogen gegangen, zu Klostern. Mein Papa wollte uns alle Weltreligionen zeigen. Damit er sicherstellen kann, dass wir nie Schwierigkeiten haben, jemanden zu akzeptieren. Und das hat bei mir gut funktioniert. Ich beurteile die Menschen nicht nach ihrer Religion. Ich darf nicht sagen: „Hey, du musst an das glauben oder an das“. Es geht mich null an. Für mich gilt eine klare Regel: alle sind gleich. Mir ist wichtig, was im Kopf abgeht, wie die Leute denken, wie ihre Haltung zum Leben ist.

Ob meine Eltern etwas dagegen hätten, wenn ich einen Deutschen heirate? Mein Papa und meine Mama haben aus Liebe geheiratet. Und es ist völlig klar, dass auch ich aus Liebe heiraten werde.

Ob ich mich als Syrerin oder als Deutsche sehe? Ich wurde im Jahr 2020 in Deutschland eingebürgert. Ich habe eine Sondereinbürgerung, weil ich unter anderem eine so große Integrationsleistung geleistet habe. Und meine Eltern ein Jahr danach. Wir sind jetzt alle Deutsche, haben den deutschen Pass. Ich identifiziere mich auch als Deutsche, weil ich hier viele Gewohnheiten angenommen habe. Aber immerhin bin ich Syrerin. Ich habe einfach das beste von beiden genommen. Immer wenn mich jemand fragt, sage ich: ich bin deutsche Syrerin. Denn für mich ist Deutschland eine Heimat. Wo ich Sicherheit gefunden hab. Wo meine Zukunft liegt.