El jarabe en ultratumba | Foto: José Guadalupe Posada, 1888 (PublicDomain)
In Lateinamerika nimmt der Tod im Alltag einen wichtigen Platz ein: in der Kunst, bei Festen und exzentrischen Riten. Bilder von der besonderen Beziehung des Kontinents mit dem Jenseits.
Eines der fröhlichsten Lieder der Salsagruppe Gran Combo de Puerto Rico handelt vom Tod. „Lauf schnell, dass dich der Tod nicht erwischt!“, wiederholt der Refrain, während Trompeten und Trommeln sich gegenseitig mit dem ungezügelten Rhythmus des Liedes anstecken. Obwohl es in vielen Kulturen als etwas makaber angesehen werden könnte, sich in einen Tanz zu stürzen, um sich über den Tod lustig zu machen, sind Leben und Tod in ihrer widersprüchlichen Beziehung in der lateinamerikanischen Kultur nicht voneinander zu lösen. Oder wie es der mexikanische Schriftsteller Octavio Paz sagte: „Eine Kultur, die den Tod verleugnet, verleugnet auch das Leben.“ So kommt es, dass wir in ganz Lateinamerika auf Klage- und Abschiedszeremonien stoßen, die sich zugleich in Fest- und Feierakte verwandeln.
Sei es, dass der Karneval als Analogie zur Vergänglichkeit des Lebens dient, seien es Gedenkrituale für die Toten oder Amulette: Der Tod ist zentrales Wesensmerkmal der lateinamerikanischen Kultur. Das mag sich dadurch erklären, dass Gewalttaten in Lateinamerika alltäglich stattfinden und sich gewissermaßen als Normalität durchgesetzt haben. Trotzdem scheint die Lebensfreude, mit der diese Bräuche begangen werden, den Schmerz des Abschieds außer Acht zu lassen, um die Hoffnung auf eine Auferstehung oder ein besseres Leben nach dem Tod zu feiern.
Totenschädel – Mexiko: Lächelnde Totenschädel, die tanzen, singen und sogar Fahrrad fahren, sind ausdrucksstarkes Symbol der mexikanischen Kultur. Vom Künstler José Guadalupe Posada (1852-1913) kreiert, haben sie sich zu den Protagonisten des „Tags der Toten“ gewandelt. Diesem Fest liegt die Vorstellung zugrunde, dass keine Seele möchte, dass man ihrer mit Wehklagen gedenkt. Deshalb ist jener Tag ein Fest und die bunten Schädel sind zentraler Bestandteil aufwendig geschmückter Altäre.
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Bild: José Guadalupe Posada
Santería – Kuba: Ein grundlegendes Prinzip der synkretistischen, afroamerikanischen Religion „Santería“, die in Kuba seit der Zeit der Sklaverei praktiziert wird, ist „Ikú Lobi Osha“: „Aus dem Toten ward der Heilige“. Dies ist die Grundlage traditioneller Zeremonien, die aus dem Zusammentreffen der Gottheiten von versklavten Yoruba und dem von den Europäern aufgezwungenen Katholizismus entstanden ist. Innerhalb der Santería ist die Verehrung der verstorbenen Vorfahren oberstes Gebot.
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Bild: Gottheiten der Santería
Joselito Carnaval – Kolumbien: Die Hauptfigur des Karnevals von Barranquilla zu Beginn jedes Jahres erinnert uns daran, dass Leben und Feiern flüchtig sind. Nach vier Tagen Feier wird Joselito begraben, der von so viel Tanzen und sich Gehenlassen im Suff stirbt. Die Menschen in Barranquilla begeben sich mit Särgen auf die Straßen, hunderte Männer verkleiden sich als Frauen, um die Witwen beim Begräbnis darzustellen. Allerdings ist dieser Tod der Auftakt für die Vorbereitungen zum nächsten Fest: Joselito wird wieder auferstehen, um die neuen Feierlichkeiten zu eröffnen.
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Bild: Gabriel Quintero, imageshack.com
N.N. – Puerto Berrío, Kolumbien: Puerto Berrío befindet sich am Ufer des Río Magdalena. Seine Einwohner, die jahrzehntelang unter dem bewaffneten Konflikt litten, praktizieren einen eigenartigen Brauch mit den Leibern der „N.N.“ (Anonyme), die oft im Fluss treiben. Die Ortsansässigen begraben die Toten, kennzeichnen ihre Gräber mit dem Wort „auserwählt“ und bringen Blumen zum Friedhof. Im Gegenzug bitten sie die N.N. um kleine Wunder wie die Lottogewinnzahlen oder die Rückkehr einer verlorengegangenen Liebe.
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Bild: Aus dem Film „Requiem NN“, Juan Manuel Echavarría
Klageweiber – Karibik: Es ist eine alte karibische Tradition, Klageweiber zu bezahlen, damit sie während der Bestattung weinen. Dieser Brauch wurde schon in Texten aus dem 17. Jahrhundert festgehalten und entwickelte sich aus dem Glauben heraus, je mehr man um einen Toten weine, desto mehr komme zum Ausdruck, wie gütig er in seinem Leben war. Fortgeführt wird diese Tradition in Ländern wie der Dominikanischen Republik, wo die Bestattungsteilnehmenden die Klageweiber für sich heulen lassen, während sie selbst die ganze Nacht hindurch trinken und Karten spielen.
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Bild: @ Antonio Briceño
Lumbalú – San Basilio de Palenque, Kolumbien: Der Lumbalú ist ein Bestattungsritual, das in San Basilio de Palenque in der kolumbianischen Karibik gefeiert wird. In den neun Nächten, die auf den Tod eines Menschen folgen, versammelt sich die Gemeinde, um den Verstorbenen mit Tänzen und Gesängen zu verabschieden, die ihren Ursprung in Angola haben und durch die Überlieferung von Sklaven auf den amerikanischen Kontinent gelangten. Diese Tradition wurde von der UNESCO als Immaterielles Weltkulturerbe anerkannt.
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Bild: efe
Allerseelen – Ecuador: Am frühen Morgen des 2. November werden auf den Friedhöfen in Ecuador die schmackhaftesten Bankette zelebriert. In dieser Nacht reichen die Familien ihren Toten Speisen dar, als Zeichen der Erinnerung an die guten Zeiten, die sie zusammen verbrachten. Entstanden ist diese Tradition aus der Mischung katholischer und indigener Bräuche, und sie hat sich als ein guter Weg erwiesen, viele traditionelle Rezepte aus der ecuadorianischen Küche zu bewahren.
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Bild: @ elcomercio.com
San La Muerte – Paraguay: Bekannt auch als der „Allmächtige“ und der „Verbotene Heilige“, wird das Bildnis vom „Heiligen Tod“, in Paraguay und im Nordosten Argentiniens verehrt. Inspiriert durch das Leben eines jesuitischen Mönchs, der sich im 16. Jahrhundert um Leprakranke kümmerte, stellt das Amulett einen Totenschädel unter einem Kapuzenmantel dar, der eine Sense schwingt. Die Figur soll ihre Anhänger vor Leid schützen und im Austausch für Opfergaben, wie Whiskey oder Zigaretten, das Glück anziehen.
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Bild: Andiar, CC BY-NC 2.0
El tío – Bolivien: Seit dem 19. Jahrhundert erweisen die Minenarbeiter von Potosí dieser Gottheit, halb Mensch, halb Ziege, ihre Ehre. Jedes Jahr feiern die Einwohner dieser Stadt im Süden Boliviens ein Fest, um Tío, den „Onkel“ um Schutz in der Mine zu bitten. Der Legende nach ist der Tío ungemein gefräßig. Deshalb opfern die Minenarbeiter Lamas und Lämmchen und reichen sie dem „Herrn des Todes“ dar, damit er sich davon ernähre und seinen Zorn nicht gegen sie richte.
Autorin
Gloria Susana Esquivel ist kolumbianische Journalistin und Schriftstellerin. Ihre Texte werden in den Zeitschriften „Bakanica“, „Arcadia“ und „SoHo“ veröffentlicht.
Übersetzung: Laura Haber Copyright: Goethe-Institut Kolumbien Juni 2015
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