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Karneval in Deutschland
Die närrische fünfte Jahreszeit

Straßenkarneval in Köln
Straßenkarneval in Köln | Foto (Zuschnitt): © picture alliance / Oliver Berg / dpa

Die Deutschen mögen dem Klischee nach ernst und diszipliniert sein, aber einmal im Jahr ist zumindest ein Teil der Republik außer Rand und Band. Was Sie über das wohl verrückteste aller deutschen Feste wissen müssen.

Von Eva-Maria Verfürth

Wer sich zu Karneval nichts ahnend in eine der deutschen Narren-Hochburgen verirrt, dem mag es vorkommen, als stünde hier alle Welt Kopf – und liegt damit nicht ganz falsch. Als Clowns, Geister oder Einhörner verkleidete Narren singen und tanzen auf den Straßen, kilometerlange Umzüge schlängeln sich durch die Innenstädte und die Lokale sind zum Bersten voll. Das normale Alltagsleben steht still und so bleibt zufällig Anwesenden nur eine Option: mitzufeiern.

Drei Monate Karneval: Die fünfte Jahreszeit

Die Wurzeln des Karnevals in Deutschland sind vielfältig: Die Germanen vertrieben die Wintergeister, bei den Römern ließen es sich während der Saturnalien Herren und Sklaven an einem Tisch gut gehen. Seit dem Einzug des Christentums wollte man vor allem in den katholischen Regionen Deutschlands vor Beginn der Fastenzeit nochmal richtig feiern. Aus dieser Zeit rühren wohl auch die Begriffe „Fastnacht“ und „Karneval“ (vom lateinischen „Carne“=Fleisch und „vale“=lebe wohl). Der heutige Karneval ist ein bisschen von alledem: ein ausgelassenes Straßenfest in teils klirrender Winterkälte, eine Auflehnung gegen Autoritäten und vor allem ein Anlass, das Leben zu feiern und in vollen Zügen zu genießen.
 
Gefeiert wird traditionell besonders im Rheinland mit den Hochburgen Köln, Düsseldorf und Mainz sowie in Südwestdeutschland in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Aber auch in vielen anderen Orten von Bayern bis Brandenburg ist der Karneval aus dem Jahresverlauf nicht wegzudenken. So wichtig ist für viele der Karneval – je nach Region auch Fastnacht oder Fasching genannt –, dass sie auch von der „fünften Jahreszeit“ sprechen. Sie beginnt am 11. November und dauert bis zum Beginn der Fastenzeit sieben Wochen vor Ostern.

Als „Narren“ oder „Jecken“ bezeichnen sich alle, für die Karneval zur Lebenseinstellung gehört. Wer gerne feiert, sich selbst nicht zu ernst nimmt und ein bisschen verrückt ist, der ist „jeck“. An Karneval rufen sich die Narren lokale Feiergrüße zu: „Alaaf“ in Köln, „Helau“ in Düsseldorf, Mainz und Hessen, „Hei Jo“ in Berlin und „Ahoi“ in Bremen sind nur einige Beispiele. (Wer sich die Karnevalsrufe online anhören möchte, kann das hier tun.)

Die jecke Zahl Elf: Sessionseröffnung am 11.11. um 11:11 Uhr

Sessionseröffnung am 11.11. in der Kölner Altstadt Sessionseröffnung am 11.11. in der Kölner Altstadt | Foto: © picture alliance / Horst Galuschka / dpa Am 11.11. jeden Jahres wird in großen Open-Air-Veranstaltungen die neue Karnevalssession eröffnet. Nun beginnt die Regentschaft der Karnevalsprinzen und -prinzenpaare, die bis Aschermittwoch das jecke Treiben regieren sollen. In Köln wird sogar ein Dreigestirn gekürt: Prinz, Bauer und Jungfrau werden traditionell von Männern verkörpert und haben bis zu 400 Auftritte pro Saison.

Wer in dieser Zeit Uniformierte auf den Straßen des Rheinlands sieht, muss sich nicht wundern: Sie gehören meist zu den traditionellen Corps der Karnevalsvereine. Die ersten Karnevalsgesellschaften wurden schon Anfang des 19. Jahrhunderts in Köln gegründet. Die Uniformen waren an die Kleidung der napoleonischen Truppen angelehnt, die 1801-1813 das linke Rheinufer besetzt hatten. So machen sich die Rheinländer bis heute über militärische Disziplin lustig. Mit den „Rosa Funken“ gibt es in Köln sogar ein schwules Karnevalscorps. 

Die Karnevalsvereine veranstalten auch die Karnevalssitzungen, die während der ganzen Session stattfinden und zum Teil im nationalen Fernsehen übertragen werden. Hier treten lokale Musikgruppen auf – im Kölner Raum allein gibt es mehrere Hundert Bands aller Stilrichtungen, die Mundart-Musik machen – sowie sogenannte „Büttenredner“, die satirisch-politische Reden halten. Schon im Mittelalter durfte während der Fastnachtszeit „der einfache Mann“ die Obrigkeit ungestraft kritisieren, und so besteht bis heute der Kern der Sitzungen darin, die politische Führung auf die Schippe zu nehmen. 

Der Bürgermeister gibt den Schlüssel ab: Der Straßenkarneval beginnt

Der Höhepunkt des Karnevals beginnt für alle Narren und Jecken aber im Februar, sechs Tage vor Beginn der katholischen Fastenzeit: An „Weiberfastenacht“ oder „Altweiber“ startet der Straßenkarneval, der erst in der Nacht zum Aschermittwoch sein Ende finden wird.
 
An diesem Tag übernehmen die Frauen die Herrschaft: Auf der Straße, auf der Arbeit, oder in der Straßenbahn sollten Männer sich in Acht nehmen. Wer eine Krawatte trägt, muss damit rechnen, dass sie ihm von feierfreudigen Frauengruppen kurzerhand abgeschnitten wird. Auch in Unternehmen stürmen Mitarbeiterinnen um 11:11 Uhr das Chefbüro: Nun wird die Arbeit lahmgelegt; es darf gefeiert werden.
 

In vielen Städten übergibt der Bürgermeister um 11:11 Uhr symbolisch die Macht an das Volk und überreicht den Rathausschlüssel entweder an die Weiber oder an die lokalen Karnevalsautoritäten – nur für die kommenden sechs Tage natürlich.
 

  • Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht Foto: © picture alliance / Andreas Arnold / dpa
    Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht
    Während der gesamten Session organisieren die Karnevalsgesellschaften große Sitzungen mit Musik, lustigen und häufig politischen Reden, Tanzauftritten und Funkenpräsentationen. Die gemeinsame Sitzung der Mainzer Karnevalsvereine „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ wird seit 1973 jährlich auch im nationalen Fernsehen übertragen.
  • Der Düsseldorfer Hoppeditz Foto: © picture alliance / Federico Gambarini / dpa
    Der Düsseldorfer Hoppeditz
    Zur Saisoneröffnung am 11. November steigt vor dem Düsseldorfer Rathaus der Hoppeditz aus einem Senftopf. Der Schelm hält eine bissige satirische Rede, die vom Oberbürgermeister vom Rathausbalkon aus kommentiert wird.
  • Das Kölner Dreigestirn Foto: © picture alliance / Oliver Berg / dpa
    Das Kölner Dreigestirn
    Prinz, Bauer und Jungfrau bilden das Kölner Dreigestirn und sind die offiziellen Regenten über das närrische Volk während der jecken Tage. Dargestellt werden sie von drei Männern, die von den Karnevalsvereinen jedes Jahr neu ernannt werden. Das Dreigestirn eröffnet auch an Weiberfastnacht um 11:11 Uhr den Straßenkarneval.
  • Rheinische Funken Foto: © picture alliance / Sven Simon
    Rheinische Funken
    Die großen rheinischen Karnevalsgesellschaften haben eigene Funkencorps, die meist Tanz-, Musik- und sogar Reitergruppen umfassen. Ihre Uniformen und ihr Auftreten sind eine Persiflage auf alles Militärische. Besonders amüsant wird es, wenn sie sich zum „Stippeföttche“ zusammenfinden: Dabei stellen sich jeweils zwei Funken mit den Rücken zusammen und reiben die Hintern aneinander.
  • Holzmasken bei der schwäbisch-alemannischen Fastnacht Foto: © picture-alliance / dpa
    Holzmasken bei der schwäbisch-alemannischen Fastnacht
    Die Narrenhästräger der schwäbisch-alemannischen Fastnacht fallen besonders durch ihre ausdrucksstarken Masken auf, die meist aus Holz geschnitzt und als „Larven“ oder „Schemen“ bezeichnet werden. Sie stellen lokaltypische Figuren und Sagengestalten dar und werden zum Teil über Generationen hinweg vererbt.
  • Die geschwollenen Köpfe von Mainz Foto: © picture-alliance / dpa / dpaweb
    Die geschwollenen Köpfe von Mainz
    Die berühmten „Schwellköpp“ sind aus dem Mainzer Karneval nicht wegzudenken: Die rund 25 Kilogramm schweren Pappmaschee-Köpfe sind Karikaturen bekannter Mainzer Charaktere. Sie tauchen auf allen wichtigen Veranstaltungen auf und werden auch beim Rosenmontagszug durch die Straßen getragen. Seit 1927 wurden so bereits rund 30 Personen in Pappmaché verewigt.
  • Motivwagen des Düsseldorfer Rosenmontagszugs Foto: © picture-alliance / Henning Kaiser / dpa
    Motivwagen des Düsseldorfer Rosenmontagszugs
    Nach Köln und Mainz veranstaltet Düsseldorf den größten Rosenmontagsumzug in Deutschland. Besonders bekannt sind die Motivwagen des Wagenbauers Jacques Tilly mit seinen bissig-bösen Politsatiren.
  • Der Rottweiler Narrensprung Foto: © picture alliance / Patrick Seeger / dpa
    Der Rottweiler Narrensprung
    Einer der berühmtesten Umzüge der schwäbisch-alemannischen Fastnacht ist der Rottweiler „Narrensprung“. Über zwei Tage ziehen rund 4.000 Maskenträger durch die historische Altstadt. Im Gegensatz zu anderen Umzügen in der Region dürfen am Rottweiler Narrensprung nur Figuren der lokalen Narrenzunft teilnehmen.
  • Tanzmariechen im Rheinland Foto: © picture alliance / SvenSimon
    Tanzmariechen im Rheinland
    Leicht bekleidete Samba-Tänzerinnen findet man im deutschen Karneval nur selten, doch an attraktiven Tänzerinnen mangelt es auch hier nicht. Die Tanzmariechen der Karnevalsvereine beeindrucken vor allem durch ihre Akrobatik. Sie werden von ihren Tanzoffizieren auf dem ausgestreckten Arm durch die Straßen getragen und immer wieder in die Luft geworfen.
  • Tanz der Marktweiber in München Foto: © picture-alliance / Sueddeutsche Zeitung Photo
    Tanz der Marktweiber in München
    In München wird der „Fasching“ weniger auf der Straße, sondern vor allem in großen Hallen gefeiert, wo prunkvolle Faschingsbälle abgehalten werden. Verabschiedet wird der Karneval mit dem „Tanz der Marktweiber“ auf dem Viktualienmarkt, bei dem die Frauen selbstgenähte Kleider tragen.
  • Dietfurter Chinesenfasching Foto: © picture-alliance / Armin Weigel / dpa
    Dietfurter Chinesenfasching
    Im Bayerischen Dietfurt ziehen seit den 1950er-Jahren Chinesen durch die Innenstadt. Der Legende nach bezeichnete im Mittelalter einst der Steuereintreiber des Eichstätter Bischofs die Dietfurter als Chinesen, als diese sich vor ihm hinter ihren Stadtmauern – der großen Mauer – versteckten. Am „Unsinnigen Donnerstag“ verwandelt sich Dietfurt in „Bayrisch-China“ und kürt einen Kaiser. Schon um 2 Uhr früh wecken Clowns die Bayrischen Chinesen und rufen sie zum bayrisch-chinesischen Umzug mit rund 50 Gruppen, darunter etwa das Kaiserlich-chinesische Dampfbad oder die Bayerisch-Chinesische Fußballnationalmannschaft.
  • Samba in Bremen Foto: © picture-alliance / Ingo Wagner / dpa
  • Geisterzug in Köln Foto: © picture alliance / Jan Knoff / dpa
    Geisterzug in Köln
    Der Kölner Geisterzug hat seinen Ursprung im Jahr 1991, als wegen des Zweiten Golfkriegs der Kölner Rosenmontagszug abgesagt wurde. Bei der stattdessen geplanten Anti-Kriegs-Demonstration zogen politische Demonstranten und Karnevalisten zusammen durch die Innenstadt. Seitdem findet jährlich am Karnevalssamstag ein Geisterzug mit einem aktuellen politischen Motto statt. Dem anarchisch anmutenden Zug darf sich jeder anschließen, der gruselig verkleidet ist. Viele Geister prangern mit Schildern oder ihren Kostümen politische Missstände an.

AUS DEN GEWOHNTEN ROLLEN AUSBRECHEN: KOSTÜMIERUNG ALS LEBENSGEFÜHL

Während des Straßenkarnevals ist Kostümierung Pflicht; jeder darf nun für sechs Tage in eine neue Rolle schlüpfen. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt, außer vielleicht vom Wetter. Kostüme müssen draußen warm halten, dürfen für die Feiern in Bars und Clubs aber auch nicht zu dick sein. Gar nicht so einfach! Viele Narren haben deshalb mehrere Kostüme, und so manch einer legt sich sogar einen eigenen Kostümkeller an.

Ganz anders als etwa der rheinische Karneval mutet die schwäbisch-alemannische Fastnacht an. Hier wird der Winter noch mit Gruselgestalten ausgetrieben: Teufel, Sagengestalten, Hexen und „wilde Leute“ jagen durch die Straßen. Charakteristisch sind ihre aufwendig gestalteten Masken, die meist aus Holz geschnitzt sind. Die Kostümierten – hier „Narrenhästräger“ genannt – wechseln ihre Verkleidung nicht, sondern behalten sie jedes Jahr bei.

Karnevalsumzüge: Süßigkeiten und Politik

Überall in Deutschland finden während des Straßenkarnevals bunte Umzüge statt. Jedes Dorf und jedes Stadtviertel organisiert eigene Paraden, bei denen Musik- und Tanzgruppen, Karnevalsvereine, Nachbarschaftsclubs und Schulen als verkleidete Fußgruppen oder auf eigens dafür gebauten Festwagen durch die Straßen ziehen. Ganz besonders toll für Kinder: Die Gruppen werfen den Besuchern „Kamelle“ – Süßigkeiten – zu, aber auch Blumensträuße oder Stofftiere sind unter dem Wurfmaterial. 
 
Die größten und bekanntesten Umzüge finden an Rosenmontag in Köln, Düsseldorf und Mainz statt. Mit bis zu 100 Gruppen sind sie mehrere Kilometer lang und dauern den ganzen Tag an. Bei den Rosenmontagszügen geht es nicht nur ums Feiern: Besonders die Düsseldorfer Motiv-Wagen sind für ihre bissige Satire bekannt, aber auch Köln und Mainz werfen einen kritischen Blick auf Politik und Gesellschaft. Zum Kölner Rosenmontagszug kommen jährlich rund eine Million Besucher und es werden mehrere Hundert Tonnen Süßigkeiten verteilt. Obwohl der Rosenmontag kein offizieller Feiertag ist, geben viele Arbeitgeber ihren Mitarbeitern frei.

„Am Aschermittwoch ist alles vorbei“: Geisterzug und Nubbelverbrennung

Nubbelverbrennung in Köln Nubbelverbrennung in Köln | Foto: © picture alliance / Federico Gambarini / dpa Nicht immer ist Karneval bunt: Im Eifelstädtchen Blankenheim erobern Samstagnacht Geister und Gruselfiguren die Stadt. Und auch in Köln lehren dunkle Gestalten beim „Jeisterzoch“ die Passanten das Fürchten. Dem Geisterzug darf sich jeder anschließen, der gruselig gekleidet ist. Und so ziehen am Karnevalssamstag Gespenster und Skelette, Feuerspucker und Trommelgruppen durch die nächtlichen Straßen.

Ähnlich düster geht es am letzten Karnevalsabend zu. Steht der Aschermittwoch vor der Tür, sollen die Sünden der Karnevalstage schnell vergessen gemacht werden. Als Sündenbock muss der „Nubbel“ herhalten, eine Strohpuppe, die Dienstagnacht vor den Kölner Kneipen verbrannt wird. In einer mittelalterlich anmutenden Zeremonie geben als Priester, Mönche und Henker verkleidete Gestalten dem Nubbel die Schuld für alle schändlichen Treiben der vergangenen Tage. Ist der Nubbel verbrannt, sind die Sünden verbüßt, der Karneval beendet und der Aschermittwoch beginnt.

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