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Gespräch mit Rainer Rehak
„Die Regierung will Handlungsfähigkeit demonstrieren, auf Kosten unserer Freiheit.“

Rainer Rehak
© CC BY-SA European Climate Foundation (Das Bild wurde mit KI bearbeitet.)

In der digitalen Ära werden Bedrohungen der Privatsphäre durch Überwachung und Datenmissbrauch immer präsenter. Die aktuellen Entwicklungen in der Nutzung polizeilicher Daten und der geplanten Chatkontrolle auf EU-Ebene werfen kritische Fragen auf. In diesem Interview erläutert Rainer Rehak vom Weizenbaum-Institut die Risiken dieser Entwicklungen und spricht über die dringend notwendigen Maßnahmen zum Schutz unserer digitalen Freiheit.

Welche neuen Bedrohungen im Bereich der Massendatenauswertung und künstlichen Intelligenz sehen Sie für die digitale Privatsphäre?

Grundsätzlich gibt es durch die kontinuierliche technische Weiterentwicklung nicht nur Vorteile, sondern leider auch steigende Gefahren für die Menschen. Gerade die immensen Verbesserungen im Bereich der Massendatenauswertung, etwa mit Methoden der künstlichen Intelligenz, stechen da hervor. Aber auch die wachsende Masse an gespeicherten Informationen über Menschen, etwa Bewegungs- oder Verhaltensdaten bei Online-Plattformen und digitalen Geräten, tragen dazu bei.

Welche staatlichen Überwachungsmaßnahmen bedrohen Ihrer Meinung nach besonders die digitale Privatsphäre?

Im Wesentlichen kann zwischen wirtschaftlichen und staatlichen Bedrohungen unterschieden werden. Hintergrund der aktuellen Bedrohungen für den Datenschutz und die digitale Privatsphäre durch staatliche Organe ist die empfundene Verschlechterung der Sicherheitslage. Zumindest in Deutschland täuscht dieser Eindruck jedoch, denn fast alle Kriminalitätsarten sind rückläufig. Allerdings gibt es immer wieder medienwirksame Einzelfälle, mit denen dann begründet wird, den Sicherheitsbehörden immer neue Überwachungsbefugnisse zu bewilligen.

Aktuell wird stark das sogenannte Sicherheitspaket der Bundesregierung diskutiert, welches nach dem Terroranschlag in Solingen für mehr Sicherheit sorgen soll. Dort geht es unter anderem darum, dass die Sicherheitsbehörden beliebige Bilder aus dem Internet durchsuchen können und diese Daten für biometrische Analysen nutzen dürfen. Weiterhin sollen nachträglich Bilder aus Überwachungskameras öffentlicher Plätze biometrisch ausgewertet werden dürfen. Dieser massive Überwachungsvorstoß zur Gesichtserkennung wird jedoch nicht begründet.

Wie bewerten Sie die aktuellen Entwicklungen bei der Nutzung von Polizeidaten und der Chatkontrolle auf EU-Ebene in Bezug auf die digitale Privatsphäre?

Polizeiliche Daten sollen automatisiert mit Software analysiert und sogar für das Testen und das Training von „KI-Anwendungen“ genutzt werden. Das impliziert eine bislang nicht zulässige Zusammenführung polizeilicher Datenbanken. Es ist auch sehr zweifelhaft, inwiefern dieses Vorhaben den Anschlag in Solingen hätte verhindern können, aber darum geht es im Diskurs auch nicht mehr. Die Regierung will offenbar Handlungsfähigkeit demonstrieren, auf Kosten unserer Freiheit. Freie öffentliche Räume, egal, ob im Internet oder physisch, werden somit ohne Not immer kleiner.

Ein weiteres aktuelles Überwachungsvorhaben betrifft die sogenannte Chatkontrolle auf EU-Ebene. Dabei geht es zusammengefasst darum, dass Smartphone-Messenger wie WhatsApp oder Signal im Namen des Kinderschutzes dazu verpflichtet werden sollen, automatisiert nach illegalen Bildern in Nachrichten zu suchen und diese Nachrichten im Zweifel an eine EU-Polizeistelle zu senden. Nicht nur ist das ein Bruch der datenschutz- und gesellschaftsrelevanten Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und die Erkennung solcher Bilder ist prinzipiell sehr fehlerbehaftet, es wird auch noch ein Medium reguliert, was gar nicht maßgeblich für diese Art von Verbrechen gegen Kinder verwendet wird.

Welche Bedrohungen für die digitale Privatsphäre sehen Sie im privatwirtschaftlichen Bereich, insbesondere durch die Nutzung von Nutzerdaten?

Auch im privatwirtschaftlichen Bereich sind die sogenannten „digitalen Rechte“, der Datenschutz und die Privatsphäre zunehmend bedroht. Es werden immer mehr (Nutzungs-)Daten angehäuft und zur detaillierten Profilerstellung genutzt, um profitgetriebene Werbung und andere Verhaltensänderungen bei den Nutzer*innen zu bewirken. Wenn es nur um einfache Kaufentscheidungen geht, mag das nur ärgerlich wirken, aber spätestens wenn es um politische Beeinflussung und die Verbreitung von Falschmeldungen geht, ist das ein Problem. Dazu kommt noch, dass in vielen Firmen die angehäuften Daten sogar noch verkauft werden oder gar von Kriminellen erbeutet werden, weil die IT-Sicherheit nicht ausreichend umgesetzt war. All das erzeugt große Gefahren, wieder ohne wirklich einen Nutzen erzeugt zu haben.

Wie genau tragen zivilgesellschaftliche Organisationen und Graswurzelbewegungen dazu bei, den Schutz digitaler Privatsphäre in politischen Entscheidungsprozessen zu stärken?

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Graswurzelbewegungen spielen in dreierlei Weise eine wesentliche Rolle beim Schutz von Menschen im digitalen Zeitalter. Erstens haben sie die Funktion von sogenannten „Watchdogs“, also von unabhängigen Expert*innen, die das politische Geschehen beobachten und bei relevanten Entwicklungen mit Stellungnahmen, Demonstrationen, Mitmach-Kampagnen oder künstlerischen Beiträgen darauf aufmerksam machen, sodass Medien und damit die Gesellschaft angeregt werden, sich damit kritisch zu beschäftigen.

Zweitens liefern große und kleine NGOs auch regelmäßig bei formalen Anhörungen von Gerichten oder Parlamenten wichtige Impulse, fundierte Kritik und konkrete Vorschläge. Das sind stets wichtige Beiträge, damit auch in komplexen politischen Entscheidungsprozessen mit vielen Interessen die digitalen Grundrechte nicht unter die Räder kommen.

Drittens sind zivilgesellschaftliche Organisationen und Graswurzelbewegungen auch oft ganz praktisch wirksam. Einige verklagen staatliche und privatwirtschaftliche Akteure, wenn sie gegen Datenschutzgesetze verstoßen, andere bauen technische Alternativen, die konkret für den Schutz der Privatsphäre verwendet werden können oder aber als Prototyp zeigen können, was technisch so alles möglich ist, und wieder andere gehen in Schulen, Bars oder Fußgängerzonen, um Menschen zu informieren (Aufklärungsarbeit) oder ihnen konkret zu helfen (z. B. Cryptoparties).

Wie kann Ihrer Ansicht nach eine nachhaltige Digitalisierung aussehen, die sowohl technologischen Fortschritt ermöglicht als auch den Schutz persönlicher Daten gewährleistet?

Zunächst müssen wir uns fragen, was die Begriffe Fortschritt und Innovation eigentlich bedeuten und bezwecken sollen. Geht es darum, mit immer mehr Ressourcenverbrauch und gesellschaftlicher Ungleichheit nur noch vor präzise personalisierten blinkenden (Werbe-)Bildschirmen zu hängen, die perfide die menschlichen Schwächen ausnutzen, oder aber wollen wir eine Zukunft mit intakter Natur, Grundrechten für alle, bedeutungsvollen menschlichen Interaktionen und erfüllender Beschäftigung? Wenn wir Zweiteres als Zielmarke nehmen, gibt es gar keinen Widerspruch, denn dann sind Fortschritt und Innovation genau solche Entwicklungen, die das Leben tatsächlich besser machen für alle und das braucht gar nicht so viele Daten.

Über Rainer Rahek

Rainer Rehak ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gruppe „Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Teilhabe“ am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und promoviert aktuell an der TU Berlin zu systemischer IT-Sicherheit und gesellschaftlichem Datenschutz. 

Er studierte Informatik und Philosophie in Berlin und Hong Kong und beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit den Implikationen der Computerisierung der Gesellschaft. Seine Forschungsfelder sind Datenschutz, IT-Sicherheit, staatliches Hacking, Informatik und Ethik, Technikfiktionen, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, konviviale und demokratische Digitaltechnik sowie die Implikationen und Grenzen von Automatisierung durch KI-Systeme.

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