Mode neu denken
Mode neu denken: In einem Deutsch-Bangladeschischem Austauschprogramm suchen junge Designer*innen Lösungen für eine nachhaltigere Textilindustrie.
Von Anna Kessel
„Mode-Studierende aus Deutschland kennen Bangladesch, derzeit eines der international wichtigsten Produktionsländer für Textilien, vor allem vom Hörensagen. Angehende Mode-Designer*innen in Bangladesch werden zwar in ihrem zukünftigen Arbeitsleben für Märkte in den USA, Asien und Europa arbeiten, während ihres Studiums werden ihnen aber zur Zeit noch beschränkte Informationsmöglichkeiten zum aktuellen, internationalen Modegeschehen geboten.”, konstatiert Prof. Heike Selmer, Mitbegründerin und Projektleiterin von LOCAL INTERNATIONAL, Modedesignerin, Professorin für Modedesign an der weißensee kunsthochschule berlin und Gründerin des greenlab, des Labors für Nachhaltige Design Strategien. Im Austauschprogramm LOCAL INTERNATIONAL IV social design + crafts treffen Studierende und Nachwuchsdesigner*innen aus Berlin und Dhaka mit international agierenden Designer*innen und Produzierenden zusammen, um eigene Antworten für dringliche Themen der Textilindustrie zu entwickeln. Im Fokus des ersten Moduls: soziale, ökologische und kulturelle Nachhaltigkeit.
Wachsendes Bewusstsein für eine ausbeutende Industrie
Die Mode- und Textilindustrie handelt mit Schönheit, hat jedoch ihre Schattenseiten. Der hohe Einsatz an Dünger und Pestiziden sowie der Verbrauch von Wasser beim Anbau und Herstellung von Baumwolle, die eingesetzten Chemikalien in textilen Herstellungsprozessen und nicht zuletzt die enormen Produktionsmengen machen die Industrie zu einer der größten Umweltverschmutzer weltweit. Auch die Realität der Produktionsbedingungen ist unschön: Das Label „Made in Bangladesch“ ist auf Kleidung weltweit zu finden und steht zwar für den erfolgreichen internationalen Aufstieg einer Nation zum Produktionsland Nummer eins, gleichsam jedoch für extreme Niedriglöhne, kritische Arbeitsbedingungen und den Verlust von lokalem Wissen rund um traditionelles textiles Handwerk.Tragödien, wie der Einsturz der Rana Plaza Fabrik in Bangladesch im Jahr 2013 und der Klimawandel tragen dazu bei, dass vermehrt nach Lösungen gesucht wird. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit wächst – sowohl bei Verbraucher*innen als auch bei den Tonangebenden in Design und Produktion. Zwei Bereiche der Textilindustrie rücken dabei besonders in den Fokus und sind auch im Austausch zwischen den Studierenden aus Berlin und Dhaka im Sommer 2020 nicht aus den Diskussionen wegzudenken: Die globalen Lieferketten sowie textile Wertschöpfungsketten.
„The reversible supply chain“ von Arianna Nicoletti, The Green Fashion Tours | © Illustration: IstelaIllustrated
Lieferketten neu denken
Arianna Nicoletti und Ariane Piper, beide u.a. Teil des Bildungs-Projekts Green Fashion Tours, erklären in ihren Online-Seminaren anschaulich, was der Paradigmenwechsel zur sogenannten Fast Fashion – also billig produzierter Massenware – in den vergangenen 15 Jahren für Probleme geschaffen hat. Durch die Auslagerung vieler Produktionsschritte in Länder des Niedriglohnsektors sind die Lieferketten selbst für auftraggebende Textilunternehmen unübersichtlich und schwer nachvollziehbar. An ihrem Ende finden sich nicht selten mangelnde Gewerkschaftsfreiheit, Geschlechterungerechtigkeit und Niedriglöhne – an ihrem Anfang wiederum die fehlende Rechtsgrundlage, Unternehmen für das, was innerhalb ihrer Lieferketten passiert, haftbar zu machen. Vor allem das Thema Lohnpolitik ist dabei so komplex wie wichtig, erklärt Ariane Piper. Man* müsse in der Diskussion unbedingt einen Unterschied zwischen Mindest- und existenzsichernden Löhnen machen. Es reiche nicht, das internationale Großkonzerne in ihren „Transparency Reports” Mindestlöhne bei ihren Produktionspartnern nachweisen könnten, das ließe sich am Beispiel Bangladesch gut nachvollziehen. Erst 2019 wurden im Land die Mindestlöhne gehoben – auf einen monatlichen Lohn von 95$. Renommierte internationale Organisationen wie die Kampagne für saubere Kleidung und auch Piper behaupten jedoch, dass dies immer noch zu niedrig ist. Ein angemessener, existenzsichernder Lohn sollte bei rund 260$ liegen, um die Kosten für ein menschenwürdiges Lebens zu decken. Die Einzelhandelspreise für ein T-Shirt würden bei entsprechend fair gestalteten Löhnen, so Piper, um lediglich geringe Werte steigen. Ihr Plädoyer: „Unternehmen und große Marken müssen ihre Preispolitik unbedingt überdenken.“ Und, das ist ihr ebenfalls wichtig: „Wir stehen derzeit vor zu vielen freiwilligen Lösungen. Was wir am Ende brauchen, sind internationale Gesetze und verbindliche Vorschriften für die Industrie!“Während politische Lösungen auf sich warten lassen, hat Piper aber einen Rat an die angehenden Designer*innen:
Wenn wir als Designer*innen Produktionsprozesse mitgestalten können und entsprechend auch neu denken, müssen wir unbedingt die Stakeholder stärker involvieren!
Nach dem Stakeholder-Ansatz sollte ein Unternehmen jede einzelne seiner Interessengruppen kennen und deren Bedürfnisse berücksichtigen – gewinnbringend für alle Beteiligten. Das heißt für Designerinnen wie Natascha von Hirschhausen, selbst ehemalige Teilnehmerin bei LOCAL INTERNATIONAL und Gewinnerin des Bundespreises ecodesign, Partnerschaften auf Augenhöhe und auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen einzugehen. Die Berliner Designerin hat sich bei ihrer Gründung für eine lokale Produktion im eigenen Atelier auf Nachfrage mit Zero Waste Designs entschieden, wie sie den Teilnehmenden erzählt. Das Thema Lieferketten betrifft bei ihr also vor allem Stoffe und Materialien. Auch hier gilt: Augen auf und bis zum Garn auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit schauen. Unter dieser Prämisse ist u. a. ihre Kollaboration mit Living Blue aus Bangladesch entstanden, das sie auf ihrer Reise mit LOCAL INTERNATIONAL nach Bangladesch in 2015 kennenlernte. Das von den Handwerker*innen eigengeführte soziale Unternehmen hat sich der Restauration textiler Kulturtechniken verschrieben und dabei besonderes Augenmerk auf die bengalische Kulturpflanze Indigo und deren Anbau und Verarbeitung gelegt. Zu Gast bei LOCAL INTERNATIONAL erklärt Murtaza Jahangir, Manager bei Living Blue, die ökonomische Prämisse hinter dem Projekt: Die Dachorganisation, unter der sich heute über 3.000 Indigo-Bauern und Bäuerinnen in familiengeführten Farmen organisieren, garantiert nicht nur eine faire Lohnpolitik sondern trägt zur Schaffung eines nachhaltigen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens bei. Dass die Produkte auf dem Markt so gut angenommen werden, ist also eine Win-Win Situation für Designer*innen, die auf der Suche nach nachhaltigen Materialien sind und die Anbauenden von Living Blue gleichermaßen. „Als Mode Designende,« das macht auch Arianna Nicoletti noch einmal stark, »tragen wir enorme Verantwortung, die Lieferketten mit- und vor allem neu zu gestalten. Dafür brauchen wir ein holistisches Verständnis der Industrie und müssen jeden Schritt, den ein Kleidungsstück durchläuft, kennen.“
Satranji-Weberinnen in Rangpur (Nord-Bangladesch). SICA nutzt textilen Verschnitt-Abfall (Clipping), für ihre handgewebten Accessoires | © Illustration: IstelaIllustrated
Zirkuläre Wertschöpfungsketten schaffen
Das Thema Kreislaufwirtschaft liegt Nicoletti, ehemalige Teilnehmerin der vom Goethe Institut UK und dem V&A Museum of art, design & performance ausgeschriebenen Residency zum Thema Circular Fashion, dabei besonders am Herzen. Denn nicht nur die Arbeitsbedingungen entlang der Lieferketten sind ein dringliches Thema, sondern auch ökologische Nachhaltigkeit bei der Produktion. In den vergangenen Jahren ist, das zeigen die bei LOCAL INTERNATIONAL eingeladenen Unternehmerinnen wie Natascha von Hirschhausen, auf der Suche nach neuen Materialien und nachhaltigeren und ressourcenschonenderen Herstellungsmethoden sehr viel geforscht und ausprobiert worden. Wenn wir uns aber die jährlich produzierten Massen an Textilien anschauen, brauchen wir, das ist für Nicoletti klar, Lösungsansätze im größeren Maßstab. Nicolettis Perspektive:Wir müssen von der linearen Art und Weise, wie wir heute produzieren und konsumieren wegkommen, die viel zu viel Abfall produziert und diesen nicht als wertvolle Ressource anerkennt.
Schon in den Fertigungsprozessen, erklärt sie, fallen unglaubliche Massen an textilem Abfall an, dazu kommt der durch Überproduktion entstehende Deadstock sowie der Post Consumer Waste, also die Kleidung, die den Second Hand Markt überschwemmt. Zirkuläre Wertschöpfungsketten könnten Abhilfe bieten, indem recycelte Materialien direkt in die Entwurfsphasen zurückgeführt würden. Hier gelte es interdisziplinäre Lösungen zwischen Designenden und Produzenten zu entwickeln.
Wie das angewandt aussehen kann? Simone Simonato, Gründerin des Unternehmens SICA up-cycling, hat sich dem Kreislaufdenken vor allem in puncto Materialbeschaffung und Design verschrieben. Während ihres Master-Studiums begann die Designerin mit einem Unternehmen in Bangladesch zu kollaborieren. Mit SICA Clipping Up lagert Simonato heute erfolgreich Textilabfälle aus der Konfektionsindustrie in Bangladesch an Handwerksbetriebe im ländlichen Rangpur im Norden Bangladeschs um, um dort gemeinsam mit den Handwerker*innen die lokalen Webtechniken so weiterzuentwickeln, dass aus den Textilabfällen neue Produkte entstehen.
Das deutsche Label Natascha von Hirschhausen macht hochwertige Mode, die nachhaltig ist – und ohne Abfall produziert wird | Illustration: IstelaIllustrated
Auf lokales Wissen zurückgreifen – ein Ausblick
Mit der Integration lokaler Webkunst in ihr Anliegen, nachhaltige Lösungen für die Textilindustrie zu finden, trifft Simonato bei den angehenden Designer*innen aus Berlin und Dhaka auf großes Interesse. Das Thema lokales Wissen ist nicht nur deshalb von Interesse, da die industrialisierte Textilproduktion sowohl in Deutschland als auch in Bangladesch zum schleichenden Verlust von Handwerkstechniken geführt hat. Die Hoffnung ist im Seminar vor allem groß, eine sozial, ökonomische und vor allem ökologisch verträgliche Produktion zu entwickeln, die sich den Bedürfnissen ihrer Umgebung anpasst. Dies beschränkt sich natürlich nicht auf Handwerk, sondern umfasst so komplexe Themen wie Rohstoffe, Materialentwicklung und Wiederaufbereitung.Tau Pibernat, eine der Teilnehmer*innen bei LOCAL INTERNATIONAL und ehemalige Teilnehmerin im greenlab, Labor für nachhaltige Designstrategien der weißensee kunsthochschule berlin schaut dem Verlauf des Austauschprogramms deshalb mit Spannung entgegen:
„Ich habe an meiner Universität jedes mögliche Nachhaltigkeitstraining absolviert und in Berlin bereits auch am greenlab teilgenommen. Aus diesem Interesse heraus habe ich bereits ein Projekt entwickelt, das die Brennnessel als wild wachsende, nachhaltige Ressource ergründet. Das Wissen darüber, wie die Brennnessel als nachhaltige Faser verwendet werden kann, hat an Relevanz verloren – es war also geradezu archäologische Forschung, an die ich mich da gewagt habe. Mich interessiert sehr, welche Art von Textilwissen verloren gegangen ist und ob in diesem nicht Lösungen für heutige Probleme zu finden sind. Auch den aktuellen Trend zum Urban Mining und die Wiederentdeckung von Ressourcen, die bereits in unserem System zirkulieren finde ich spannend. Ich glaube, dass wir in dem intensiven Austausch über LOCAL INTERNATIONAL viel voneinander, aber auch über uns selbst lernen werden.“ – Tau Pibernat, Teilnehmerin bei LOCAL INTERNATIONAL.