Ein Interview mit Erik Tuchtfeld
„Der Zugang zum Internet ist ein grundlegendes Menschenrecht“.
Welche unbeabsichtigten Auswirkungen haben digitale Plattformen? Warum sind Regulierungen dringend notwendig, um Inklusivität und Sicherheit zu gewährleisten? Und wie engagiert sich D64 für eine demokratische Organisation der digitalen Öffentlichkeit? Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64, hat die Antworten.
Inwiefern haben digitale Plattformen bestehende strukturelle und institutionelle Ungleichheiten verstärkt? Und welche Maßnahmen sind nötig, um diesen unbeabsichtigten Folgen wirksam entgegenzuwirken?
Digitale Plattformen spielen eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, strukturelle und institutionelle Ungleichheiten zu überwinden. Gemeinschaften jenseits des Mainstreams können sich nun weltweit vernetzen, demokratische Bewegungen profitieren von digitaler Unterstützung und Stimmen von Dissidenten in autoritären Regimen werden auf der ganzen Welt wahrgenommen. Gleichzeitig sind mit diesen Fortschritten auch neue Herausforderungen entstanden. Das Konzept der „digitalen Kluft“ beschreibt die Ungleichheit beim Zugang zu Informationstechnologien. Vor allem Menschen mit schlechtem Zugang zum Internet oder ohne Englischkenntnisse werden dabei benachteiligt. Die Vorherrschaft des Englischen birgt zudem die Gefahr, dass weniger dominanter Kulturen sukzessive verschwinden. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, sind Investitionen in digitale Basis-Infrastruktur notwendig. Der Zugang zum Internet ist ein Menschenrecht. Kleinere, regionale und diverse digitale Plattformen sollten unterstützt werden, um eine Alternative zum „one-size-fits-all“ -Ansatz der sozialen Netzwerke des Silicon Valley zu schaffen.
In welchem Maß sollte Ihrer Meinung nach der Staat digitale Plattformen regulieren, um Inklusivität und Sicherheit zu gewährleisten, und wie sieht die Haltung der Branche zu diesem Thema aus?
Die Regulierung unserer öffentlichen Räume sollte demokratisch erfolgen. In demokratischen Staaten können staatliche Gesetze daher als Ausgangspunkt dienen, um soziale Plattformen zu regulieren. Dies betrifft beispielsweise das Verbot von Verleumdung, von Volksverhetzung und Todesdrohungen. Dennoch reicht das allein nicht aus. Inklusivität erfordert eine Kommunikationskultur, die auf Vertrauen, Respekt und Wertschätzung basiert. Diese kann nicht vom Staat vorgeschrieben werden. In liberalen, demokratischen Gesellschaften muss die Kommunikationskultur von der Zivilgesellschaft, also „von unten nach oben“ geformt werden. Derzeit wird der Rahmen staatlicher Regulierung jedoch nicht selbstbestimmt durch die Nutzer*innen der Plattformen gefüllt, sondern durch die Oligarchen der großen Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley.
Es ist daher Aufgabe der Gesetzgebung, Verfahrensregeln zu schaffen, die eine demokratische Entscheidungsfindung im digitalen Raum ermöglichen. Dies würde es auch transnationalen Online-Gemeinschaften ermöglichen, ihre digitalen öffentlichen Räume selbst zu verwalten.
Die Tech-Industrie ist auch nicht grundsätzlich gegen staatliche Regulierung, da sie hierdurch teilweise von der Verantwortung entbunden wird, selbst die richtigen Lösungen für schwierige Fragen zu finden. Außerdem schafft umfangreiche Regulierung oft auch zusätzliche Hürden für Mitbewerber:innen, die auf dem Markt Fuß fassen wollen. Tech-Unternehmen haben aber ein Interesse an einheitlichen, skalierbaren Regeln, die die Gestaltung ihrer Plattformen – inklusive der Moderation von Inhalten – betreffen. Sie möchten keine komplexen Regeln, die die Diversität von unterschiedlichen Gemeinschaften und Kulturen berücksichtigen.
In welchen Bereichen ist D64 in diesem Kontext aktiv?
D64 engagiert sich für die demokratische Gestaltung des digitalen öffentlichen Raums. Wir setzen uns für das Recht auf Anonymität im Internet ein, da es insbesondere Angehörige vulnerabler Gruppen schützt. Und wir wehren uns gegen Vorschläge zur Massenüberwachung, etwa die massenhafte Vorratsspeicherung von IP-Adressen oder die allgemeine Überwachung privater Kommunikation, um illegale Inhalte zu entdecken. Wir organisieren bspw. öffentliche Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen. Außerdem begleiten und kommentieren wir die Umsetzung des europäischen Digital Services Acts in Deutschland.
In der Praxis testen und setzen wir selbst alternative Plattformen ein. So betreiben wir zum Beispiel einen Mastodon-Server, einen quelloffenen, föderierten Mikroblogging-Dienst (quasi eine Twitter/X Alternative). Er ist für unsere Mitgliedern auf d-64.social erreichbar. Darüber hinaus haben wir eine quelloffene Machbarkeitsstudie veröffentlicht, die zeigt, wie große Organisationen dezentrale Verifizierungsmechanismen für die Profile ihrer Mitglieder implementieren können. Das kann einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Desinformation durch „Impersonation“ (also Fake-Profile von berühmten Personen) auf Online-Plattformen leisten. Neben öffentlichen Plattformen wie Mastodon bieten wir HumHub, ein quelloffenes soziales Netzwerk, als „Vereinsheim“ für unsere Mitglieder an. Es dient als interner Raum für Diskussionen, den Austausch von Ideen und intensive Zusammenarbeit.
Erik Tuchtfeld ist Co-Vorsitzender von D64, dem Zentrum für digitalen Fortschritt. D64 ist eine der größten zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bereich Digitalpolitik in Deutschland. Erik Tuchtfeld ist Jurist und beschäftigt sich insbesondere mit der Regulierung sozialer Plattformen sowie der Meinungsfreiheit und dem Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter. D64 widmet sich mit dreizehn Arbeitsgruppen der gesamten Bandbreite der digitalen Transformation, mit besonderem Fokus auf digitalen öffentlichen Räumen und möglichen Antworten auf den aufkommenden Rechtspopulismus in Europa und anderen Regionen der Erde.