Formelhafte Wendungen
Lernen in grossen Stücken
Bei Wortschatz denken Lernende meist an gefühlt unendliche Listen von Einzelwörtern, die es einzuüben gilt. Tatsächlich gibt es aber in der Sprache häufig formelhafte Wendungen mit spezifischen Bedeutungen, deren genauere Betrachtung lohnenswert ist, auch wegen ihrer kulturellen Konnotation.
In Lehrwerken und Übungsbüchern stößt man bei der Benennung von Wortgruppen wie „Öl ins Feuer gießen“ auf Bezeichnungen wie komplexe Einheiten, Redensarten, Sprichwörter, Phraseme, Funktionsverbgefüge, Idiome und Kollokationen. All diese Bezeichnungen lassen sich unter dem Oberbegriff formelhafte Wendungen erfassen: mehrgliedrige und feste Wortverbindungen, die formelhaft genannt werden, weil die Komponenten nicht frei kombinierbar sind. Sie kommen in der Sprache häufig vor, sind situationsgebunden und haben unterschiedlich komplexe Strukturen sowie konkrete oder übertragene Bedeutungen. Einige Beispiele veranschaulichen die Vielfalt der Wendungen in der folgenden Box.
eine Frage stellen | tief in der Krise stecken | Ist hier noch frei? |
platonische Liebe | jmdm einen Bären aufbinden | herzhaft lachen |
schwarze Zahlen | stechend scharfe Bilder | Mit freundlichen Grüßen |
Bis bald! | Der frühe Vogel fängt den Wurm. |
Formelhafte Wendungen erkennen
Die Identifikation dieser Wendungen ist nicht immer leicht, weil Lernende eher wortfixiert sind. Sie brauchen Strategien, die dabei helfen, die Merkmale Mehrgliedrigkeit und feststehende Wendung zu erkennen. Dazu können Suchübungen auf der Textebene beitragen: Integriert in die Übungen zum Leseverstehen suchen Lernende in Texten Partnerwörter, die in einer engen Verbindung zueinander stehen. Erstsprachige Entsprechungen können die Suche unterstützen, vor allem wenn die Bestandteile in der Ausgangs- und in der Zielsprache nicht äquivalent sind. Denn aus der Sicht einer weiteren Sprache, der Muttersprache oder einer Fremdsprache zeigt sich besonders deutlich, wie spezifisch der Wortschatz ist.Aus der Perspektive des Englischen fällt beispielsweise die Wendung „Vorurteile abbauen“ auf, denn eine wörtliche Übersetzung ist im Englischen nicht gebräuchlich (hier heißt es „to break down a prejudice”). Die Sensibilisierung für Wendungen ist besonders wichtig, wenn im Glossar eines Lehrwerks vorwiegend Einzelwörter stehen. Solche Glossare bestärken Lernende darin, sich an Worte zu klammern – umso wichtiger ist also eine Ergänzung durch Wendungen. Werden diese Ergänzungen in digitalen Tools wie Quizlet angeführt, kann das verbesserte Glossar von der Gruppe gemeinsam erstellt werden. Hinzugefügte Bilder und verlinkte Texte und Lieder zeigen Wendungen im Text und erhöhen so den Lerneffekt.
Der Chunk-Ansatz
Eine praktische Anwendung des Wissens um formelhafte Wendungen ist der Chunk-Ansatz: Wenn Lernende versuchen, ihre Äußerungen aus einzelnen Wörtern zu konstruieren, verlangsamt sich ihr Sprechtempo. Der Rückgriff auf Chunks (wörtlich „Klumpen“, „große Stücke“) dagegen führt zum flüssigeren Sprechen. Chunks sind automatisierte größere sprachliche Fertigteile im Gedächtnis, die im mentalen Lexikon als Ganzes, eben als „Klumpen“ gespeichert sind. Die Verwendung von Chunks ist für das Gedächtnis ökonomisch, denn so verringert sich der kognitive Aufwand.Um die zielsprachigen Chunks im Gedächtnis zu verankern, müssen sie bereits im Lernprozess als Einheiten behandelt und gefestigt werden. Nehmen wir exemplarisch das Beispiel „Herzlichen Glückwunsch“. Für den Chunk-Ansatz ist die funktionale Annäherung typisch. Die Wendung wird in der Situation „jemandem zu einem besonderen Ereignis gratulieren“ in einem Dialog eingeübt und durch häufiges Wiederholen automatisiert. Zur Festigung wendet der Lernende den Ausdruck in einem neuen Kontext an. Mit einer nachhaltigeren Speicherung ist zu rechnen, wenn er in der Anwendungsphase den Ausdruck mit persönlich relevanten Ereignissen verbindet. Die grammatische Form – in diesem Beispiel, dass die Wortverbindung im Akkusativ steht – bleibt vorerst unberücksichtigt. Da die Lernenden die Einheit als Ganzes speichern, brauchen sie keine Regel. Wichtig ist dabei natürlich, dass sie sich die Wendung nicht fehlerhaft aneignen.
Lückentexte, in denen jeweils ein Bestandteil in der formelhaften Wendung fehlt, gelten als nicht besonders lernfördernd. Sie sind allenfalls für Leistungskontrollen geeignet. Für die Festigung des Wortschatzes ist es notwendig, dass Lernende die ganze Wendung als Einheit lückenlos vor sich haben. Statt Lückentexte bekommen Lernende Bedeutungsumschreibungen und erkennen die Wendungen im Text, wo diese als Ganzes präsent sind. Eine produktive Übung kann beispielsweise ein gesteuertes Schreiben oder Sprechen in einer handlungsorientierten Aufgabe sein.
Der kulturelle Kontext
Nachdem die Wendung als Einheit automatisiert ist, folgt eine zeitlich versetzte Bewusstmachungsphase. Lernende besprechen explizit, in welchem Kontext oder in welcher Situation die Wahl der Wendung angemessen ist. Etymologische Angaben haben hier über die Lernförderung hinaus den Vorteil, dass Lernenden kulturhistorische Informationen vermittelt werden. Die Behandlung solcher kultursensitiver Wendungen trägt damit auch zur Entwicklung der interkulturellen Kompetenz bei. So kann die Auseinandersetzung mit der Kollokation „Hände schütteln“ Informationen dazu liefern, in welcher Situation welche Kommunikationspartner im deutschsprachigen Raum sich die Hände reichen.Die Links in der rechten Spalte führen zu vielen Übungen für verschiedene Lernniveaus. Sie sind eine gute Hilfe, um diese und andere feste Wendungen einzuüben. Also: Auf die Plätze, fertig, los!
Literatur
Barkowski, Hans/Grommes, Patrick/Lex, Beate/Vicente, Sara/Wallner, Franziska/Winzer-Kiontke, Britta (2014): Deutsch als fremde Sprache. (=Deutsch Lehren Lernen; 3). München: Klett-Langenscheidt.