Mitschreiben im Studium
Vorbereitung auf das Verfassen von Mitschriften
Mitschreiben ist im Hochschulkontext und im beruflichen Alltag kaum wegzudenken. Jedoch ist das Mitschreiben eine komplexe Sprachhandlung, die besondere kognitive Fähigkeiten und Strategien erfordert. Die folgenden Überlegungen zeigen, wie man das Mitschreiben im DaF-Unterricht trainieren kann.
Studierende hören zu, verknüpfen Wissen mit Neuem, filtern dabei Wichtiges und notieren es als Erinnerungshilfe für spätere Verwendungszwecke. All das sind Handlungen, die im Studienalltag und später in beruflichen Zusammenhängen ganz selbstverständlich sind.
Was aber geschieht dabei genau? Welche sprachlichen und kognitiven Anforderungen werden dabei an uns gestellt? Und welche zusätzlichen Schwierigkeiten entstehen, wenn das Hör-Seh-Verstehen und produktive Handlungen, wie das Sprechen, Interagieren sowie das Notizenmachen in einer fremden Sprache zu leisten sind? Dies wird am Beispiel des Mitschreibens während einer Vorlesung skizziert.
Mitschreiben ist eine text- und wissensverarbeitende Arbeitstechnik. Die Mitschrift selbst ist eine Hörnotiz, die für spätere Zwecke - etwa ein eigener Aufsatz, eine Hausarbeit oder auch eine Klausurvorbereitung - relevant ist.
Sprachlich-kognitive Fertigkeiten
Beim Mitschreiben sollten Studentinnen und Studenten Gehörtes, oft auch mithilfe von Skripten oder kopierten Präsentationsfolien, mit schriftlichem und manchmal auch visuellem Input abgleichen können. Außerdem sollten sie in der Lage sein, nonverbale und semiverbale Zeichen nachzuvollziehen und angemessen einzuschätzen. Dies gilt insbesondere für Diskussionen mit mehreren Personen, wie sie in Seminaren oder im Anschluss an Vorträge entstehen. Solche Zeichen sind kulturspezifisch geprägt und daher gerade aus fremdsprachlicher sowie fremdkultureller Perspektive nicht immer eindeutig nachvollziehbar.Im Studium ist es zudem von zentraler Bedeutung, dass sich die Studierenden über die Funktionen von Sprachhandlungen im Wissenschaftsdiskurs, etwa dem Argumentieren, dem Belegen oder Einwenden, im Klaren sind. Über die genannten Funktionen der im Studium relevanten Textsorten hinaus, sollten sie beim Zuhören (und Mitschreiben) auch die wissenschaftssprachlichen sowie textstrukturierenden Elemente erkennen und verstehen können. Nur dann können sie einschätzen, wann beispielsweise problematisiert wird oder wann Bezüge zu anderen Einschätzungen erfolgen. Neben der Identifikation von Schlüsselwörtern und wichtigen Informationen im Redeverlauf müssen sie darüber hinaus Diskurspartikel sowie nonverbale und semiverbale Marker aus Gestik, Mimik oder Stimmlagen erkennen und einschätzen können. Dadurch fällt es ihnen leichter, Positionen und Argumentationsstränge nachzuvollziehen und diese der jeweiligen Person zuzuordnen. Des Weiteren müssen die Studentinnen und Studenten strukturierende Mittel, etwa kohäsive Elemente zum Aufbau eines Vortrags oder Redebeitrags, erfassen können, um Hypothesen für die nachfolgenden Ausführungen zu entwickeln. Dies erleichtert wiederum die Rezeption.
Verknüpfung mit dem Vorwissen
Eine weitere Anforderung an die Studierenden ist es, Gehörtes mit ihrem Vorwissen und ihren Hypothesen zu verknüpfen und hinsichtlich seiner Relevanz für die eigene Fragestellung zu prüfen. In diesem Kontext ist es notwendig, Referenztexte (also etwa eine Vorlesung) quantitativ zu reduzieren. Hierbei ist es relevant, auf der einen Seite Wichtiges von Unwichtigem und auf der anderen Seite Neues von bereits gesicherten Wissensbeständen zu unterscheiden. Vor diesem Hintergrund ist eine Auswahl zu treffen, was als Notiz festzuhalten ist.Verschriftlichung der Notizen
Nachdem die Studierenden entschieden haben, welcher Inhalt zu notieren ist, müssen sie diese Auswahl mental vorbereiten, sprachlich verdichten und vor allem paraphrasieren. Sie wird dann mithilfe von individuellen Abkürzungen, Notationen und Symbolen zeitökonomisch und effektiv verschriftlicht (maschinell per Tablet oder aber handschriftlich). Zudem sollten die Studierenden auch Argumentationsstrukturen schriftlich festhalten: Thesen, Antithesen, Argumente und Gegenargumente nachvollziehbar zu notieren, erfordert wiederum zahlreiche Teilkompetenzen. Außerdem ist zu entscheiden, ob die Mitschrift in der Erst- oder aber in der Fremdsprache erfolgt, was vermutlich hauptsächlich vom späteren Verwendungszweck der Mitschrift abhängt. Die Wahl der Sprache hat gegebenenfalls zudem Konsequenzen für das Schriftsystem, in dem die Notizen angefertigt werden.Schall und Rauch – die Flüchtigkeit des Gesprochenen
Während des Schreibens aufmerksam zu bleiben, um den Faden nicht zu verlieren und Anschlussinformationen nicht zu verpassen, ist aufgrund der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes besonders kritisch. Denn Informationen können nicht, wie etwa beim Lesen und Exzerpieren, wiederholt rezipiert werden. Nichtsdestotrotz ist es erstrebenswert, Notizen während des Hörens und Mitschreibens kritisch zu kommentieren, einzelne Punkte in größere Zusammenhänge einzuordnen und mit Querverweisen zu versehen. Auf dieser Basis können die Studierenden schlussendlich neue oder weiterführende Fragen entwickeln.Insgesamt besteht die Herausforderung beim Mitschreiben in der „mentalen Dissoziierung zwischen unterschiedlichen kommunikativen Aufgaben“ (Ehlich 2003: 19). Das heißt, die Studierenden müssen gleichzeitig ganz verschiedene sprachliche und kognitive Handlungen realisieren und das auch noch ohne die Möglichkeit der Wiederholung. An einer Vorlesung oder einem Seminar teilnehmen stellt daher insbesondere in fremdsprachlichen Kontexten ohne Zweifel eine mentale Belastung dar.
Vorbereitung auf die Mitschrift
Das Mitschreiben an der Universität ist in der Regel eng mit den Prüfungsanforderungen des Studiums verknüpft. Aufgaben und Übungen zur Vermittlung dieser Kompetenz in Sprachkursen auf den Niveaustufen B2 und C1 sollten daher inhaltlich und situativ an den realen Verwendungskontext und die Funktion der Mitschriften anknüpfen.Studierende müssen lernen, dass Mitschreiben ihnen bei der Klausurvorbereitung hilft und es ihnen erleichtert, treffende Antworten auf Fragen in einer Prüfungssituation zu geben. Globales, selektives und detailliertes Hörverstehen und das Notieren des Gehörten sind zwar fester Bestandteil des DaF- oder DaZ-Unterrichts von den Anfängen bis zur Niveaustufe C1, aber im Unterricht selbst wird nur selten explizit behandelt, wie Notizen, etwa zur Vorbereitung auf eine spätere Prüfung, effektiv angefertigt werden können. Viele Übungsformen im Bereich des Hörverstehens fordern die Lernenden beispielsweise auf, Informationen zuzuordnen oder auf vorgegebene Fragen zu antworten. Im Gegensatz dazu verlangt das Mitschreiben zur Prüfungsvorbereitung von den Lernenden, eine Auswahl im Hinblick auf prüfungsrelevante Inhalte zu treffen. Dabei ist es wichtig, dass die Lernenden selbstständig zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem bezüglich ihrer späteren Prüfungsleistung unterscheiden und antizipieren können, welche möglichen Fragen sich aus dem Gehörten ergeben.
Dazu sollten Lehrkräfte die Lernenden zunächst für eine strukturierte Mitschrift, die wesentliche Informationen in Kurzform enthält, sensibilisieren. Dies ist anhand von konkreten Beispielen notwendig, damit die angehenden Studierenden Kriterien für das Verfassen ihrer eigenen Notizen ableiten können. Dafür können die Lehrenden die online zugänglichen Vorlesungen aus dem Massive Open Online Course Angebot (MOOC-Angebot) nutzen. Zahlreiche deutsche Hochschulen stellen ihre Einführungsvorlesungen zu den verschiedenen Fächern kostenlos als Onlinekurs, teils mit Zusatzmaterialien und Folien, zur Verfügung.
Im nachfolgenden Dokument wird die Verlaufsplanung für eine 90-minütige Unterrichtssequenz zum Mitschreiben während einer Online-Vorlesung aus dem Hochschulkontext zusammengefasst:
Uns ist wichtig, dass die Integration von studienrelevanten Arbeitstechniken, wie das Mitschreiben in Vorlesungen oder Arbeitssitzungen, im studienvorbereitenden oder studienbegleitenden DaF-Unterricht verankert wird. Denn solche Fähigkeiten stellen sich nicht einfach von selbst im Verlauf des Studiums ein (übrigens auch nicht bei Studierenden mit Deutsch als Erstsprache). Vielmehr sollten wir sie systematisch und handlungsorientiert, wie im aufgeführten Beispiel, in den Unterricht integrieren. So helfen wir den ausländischen Studierenden, ihr Studium effektiv zu gestalten und das enorme Pensum an Wissensverarbeitung zu meistern.
Literatur
Arras, Ulrike (2015): Mitschreiben als hochschulrelevante Sprachhandlung – kann das eine Sprachprüfung testen? In: Knapp, Annelie/Aguado, Karin (Hg.): Fremdsprachen in Studium und Lehre – Foreign Languages in Higher Education. Chancen und Herausforderungen für den Wissenserwerb – Opportunities and Challenges for the Acquisition of Knowledge. Frankfurt am Main: Peter Lang, S. 209-245.Banzer, Roman/Kruse, Otto (2011): Schreiben im Bachelor-Studium: Direktiven für Didaktik und Curriculumentwicklung. In: Berendt, Brigitte /Voss, Hans-Peter/Wildt, Johannes (Hg.): Neues Handbuch Hochschullehre. Lehren und Lernen effizient gestalten. G 4.8. Berlin: Raabe Verlag, S. 1-37.
Ehlich, Konrad (2003): Universitäre Textarten, universitäre Struktur. In: Ehlich, Konrad/Steets, Angelika (Hg.): Wissenschaftlich schreiben – lehren und lernen. Berlin u.a.: De Gruyter, S. 13-28.
Graefen, Gabriele/Moll, Melanie (2011): Wissenschaftssprache Deutsch: lesen – verstehen – schreiben. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Frankfurt am Main: Peter Lang.
Oertner, Monika/St. John, Ilona/Thelen, Gabriele (2014): Wissenschaftliches Schreiben. Ein Praxisbuch für Schreibtrainer und Studierende. Paderborn: Wilhelm Fink.