Sandra Lyra: Sehnsucht nach der Einfachheit
Sandra Lyra ist die Mitarbeiterin, die am längsten, , fast 40 Jahre, für das Goethe-Institut Rio de Janeiro gearbeitet hat. In dieser Zeit hat sie sowohl Veränderungen in der kulturellen Programmarbeit – von der Übernahme von Produktionen, die aus der Zentrale in München kamen, bis zu eigenständigen Entwicklung deutsch-brasilianischer Projekte in Rio –, als auch bei den Kommunikationsmitteln, von Telex bis E-Mail, erlebt. Deutsche und Brasilianer/innen funktionieren ihrer Meinung nach am besten zusammen, wenn sie sich Zeit nehmen, sich unterhalten und sich gegenseitig zu verstehen versuchen.
Wie ist der erste Kontakt mit dem Goethe-Institut Rio de Janeiro gewesen? Was hat Sie hierher gebracht?
Ich bin als 14-Jährige, als Schülerin zum Goethe-Institut gekommen. Meine Mutter hat als Sekretärin in der Sprachabteilung gearbeitet. Und ich habe Deutschkurse bis zur Mittelstufe gemacht. Mit 19 habe ich Pädagogik studiert und den theoretischen Teil dessen gemacht, was Schulverwaltung ist. Als eine junge Frau in Mutterschaftsurlaub gegangen ist und nachdem man beim Goethe-Institut wusste, dass ich Pädagogik studiert habe, hat man mich kontaktiert, um sie zu vertreten. Die Arbeit hat mir großen Spaß gemacht. Als sie zurückgekommen ist, war ich wieder drei Monate draußen. Aber der Verwalter, der ein deutscher Gesandter war – Rio war damals die Zentrale der Goethe-Institute in Brasilien und alle Gesandten aller Abteilungen waren hier – hat sich an mich erinnert und mich wieder kontaktiert.
Sie haben mit insgesamt acht verschiedenen Direktoren zusammengearbeitet, von denen jeder seinen eigenen Kopf, seine eigenen Interessen, seinem eigenen Stil hatte. Haben Sie auch eine Gemeinsamkeit entdeckt?
Die Essenz aller Direktoren, die in Rio Janeiro gewesen sind, ist die Zusammenführung von brasilianischen mit deutschen Events. Dadurch haben sie sich ausgezeichnet. In der Musik und in der Literatur war das einfacher als in anderen Bereichen. Im Bereich der Bildenden Künste hat es ab den 1980er Jahren angefangen, einfacher zu werden. Die Deutschen waren sehr avantgardistisch, und nicht, dass wir keine avantgardistischen brasilianischen Künstlerinnen und Künstler gehabt hätten, aber sie waren nicht in Brasilien. Wir haben es dennoch geschafft. Die Direktoren haben verschiedene Arbeiten mit dieser Verbindung Brasilien-Deutschland gemacht, und sie machen das immer noch und ich hoffe, dass sie dies weitermachen, auch weil das ist eines der Kennzeichen des Goethe-Instituts ist.
Wie funktionieren brasilianische und deutsche Köpfe zusammen?
Lyra: Ich habe Sehnsucht nach der Zeit, in der trotz der vielen Arbeit und mit all den Kommunikationsproblemen – damals gab es keine E-Mail, Fax war das höchste der Gefühle – alles rechtzeitig angekommen und fertig geworden ist. Ich habe Sehnsucht nach der Zeit, in der die Dinge ruhiger waren und wir es geschafft haben, das zu machen, was ausgemacht war. Die Partnerschaft von Brasilianerinnen und Brasilianern mit dem Goethe-Institut in unserer Stadt war immer sehr nah. Eine/r hat dem/der anderen geholfen. Nicht dass es das heute nicht mehr gibt. Aber heute geht alles so schnell, dass man keine Zeit hat, sich hinzusetzen, sich zu unterhalten und zu verstehen, wie der Kopf der/des anderen funktioniert und was sie/er möchte. Ich habe Sehnsucht nach der Zeit, in der man sich hingesetzt hat, sich unterhalten hat und wenn man etwas Schnelles wollte, hat man ein Fax geschickt.
Welche der vielen Projekte, die sie in fast 40 Jahren gemacht haben, haben Sie besonders gesprägt?
Lyra: Ein musikalisches Projekt, das wir mit der deutschen Gruppe “Fun Horns” zusammen mit der brasilianischen Percussiongruppe “Baticum” gemacht haben, war das schönste, was ich bisher im Leben gesehen habe. Im Bereich des Kinos war es eine Retrospektive des deutschen Films, bei der wir in den 1980er Jahren mehr als 150 Filme zusammen mit unseren Kinopartnern, der Cinemateca des “Museu de Arte Moderna” und dem “Estação Botafogo” gezeigt haben. Bei den Bildenden Künsten habe ich mehrere Ausstellungen, die mir besonders gut gefallen, sie zu machen.
Welche waren das?
Eine war die “Cultura da Favela”, außer der Ausstellung gab es Theater, Tanz, Podiumsdiskussionen, Lesungen, Kino. Dann hatten wir die große Ausstellung “Arte da Afrika” mit Hunderten von Originalstücken aus dem “Ethnologischen Museum Berlin” im “Centro Cultural Banco do Brasil”. Dann haben wir noch eine Ausstellung organisiert, bei der wir nicht nur deutsche und brasilianische, sondern auch Künstler/innen anderer Nationalitäten zusammengebracht haben: “Carnaval”. Die haben wir auch im “CCBB” in der Zeit des Karnevals gezeigt. Und noch eine, “Alegoria Barroca na Arte Contemporanea”. Die Künstler/innen haben dabei ein Bankett jener Zeit aufgetischt. Der Eintritt war frei. Das Essen war innerhalb kurzer Zeit zu Ende, man hat Leute mit Truthahn in der Hand aus dem Museum gehen sehen. Aber es gab keinen einzigen Zwischenfall, das hat mich zum Weinen gebracht.
Was würden Sie Ihrer Nachfolgerin und Ihrem Nachfolger sagen, die heute in der Programmabteilung arbeiten?
Für die kommenden 60 Jahre kann ich nicht sehr positiv sein. Die ganze Welt lässt den Kopf hängen. In dem Masse, in dem die finanzielle Unterstützung für das Goethe-Institut immer weniger geworden ist, dieses von Sponsoren abhängt und so wie die Situation Rio de Janeiros ist, halte ich es für schwierig, aber nicht unmöglich, große oder großartige Events zu machen. Ich habe angefangen, als das Goethe-Institut noch viel finanzielle Unterstützung aus Deutschland zur Verfügung hatte, dann gearbeitet, als es auch über brasilianische Gesetze Unterstützung bekommen hat und quasi aufgehört in dieser schwierigen Situation. Deswegen ist es für mich schwer vorzustellen, wie meine Nachfolgerin und mein Nachfolger arbeiten, um Kontinuität zu geben. Das Goethe-Institut ist fundamental für Brasilien.
Inwiefern?
Abgesehen davon, dass das Goethe-Institut die deutsche Sprache und Kultur in der Welt verbreitet, bildet es Lehrer/innen aus, verfügt über exzellente Bibliotheken. Die Möglichkeit, lokale Künstler/innen nach Deutschland zu schicken, deutsche Künstler/innen nach Brasilien zu holen und die Möglichkeit für Freundschaften zwischen Künstlerinnen und Künstlern zu eröffnen, das ist die Arbeit des Goethe-Instituts und sie wird weitergehen.