Kristina Michahelles: Auf den Spuren der Avantgarde
Kristina Michahelles sagt von sich, dass sie beruflich mindestens drei Leben hat. Das Goethe-Institut Rio de Janeiro hat die Deutsch-Brasilianerin bereits als Kind und Jugendliche kennengelernt, und darüber auch avantgardistische Trends aus Europa, vor allem aus der Musik und der Literatur. Inzwischen ist die ehemalige Wirtschaftsjournalistin und Deutschland-Korrespondentin selbst Teilnehmerin oder Moderatorin von Veranstaltungen, arbeitet als Übersetzerin und Vorstandsmitglied der “Casa Stefan Zeig” mit dem Goethe-Institut zusammen.
Frau Michahelles, wie war der erste Kontakt zum Goethe-Institut Rio de Janeiro?
Seitdem ich einigermaßen lesen und schreiben kann, ist das Goethe-Institut für mich ein Begriff, denn mein Vater hat sich für das Projekt sehr engagiert. Wir haben allerdings nie Goethe-Institut gesagt, sondern nur ICBA, früher hieß das ja noch so. Mein Vater ging dann auch zu den Versammlungen, das Institut gehörte als Institution der Deutsch-Brasilianer in Rio einfach dazu. Er wollte mir das Amt, das er im Beirat hatte, später sogar abgeben. Aber ich habe gesagt, dass ich zu jung bin und dann hat er es meinem Bruder gegeben. Ich habe allerdings regelmäßig Kontakt zum Goethe-Institut gehabt, auch durch sehr gute Freundinnen wie Thea Schünemann oder Theresa Graupner, die dort gearbeitet haben.
Was hatte das Goethe-Institut für Sie für eine Bedeutung?
Als ich dann in meiner Jugendzeit eigenständig meine Wege im kulturellen und intellektuellen Bereich suchte, war das Goethe-Institut von allergrößter Wichtigkeit, weil alle diese avantgardistischen Trends, die es damals gab und die aus Europa kamen, über das Institut hierher gelangten. Und diese Veranstaltungen habe ich dann mit 14, 15 Jahren fast alle besucht, Konzerte vor allem, aber auch Vorträge.
Es heißt, Hans-Joachim Koellreutter , der damalige Präsident des Goethe-Instituts, habe eine enorme Bedeutung für die klassische Musik in Brasilien gehabt.
Ja, Koellreutter hat die Zwölftonmusik von Arnold Schönberg und andere Tendenzen der neuen Musik nach Brasilien geholt. Und sehr viele ausländische Musiker, die in der “Sala Cecilia Meirelles” gespielt haben. Davor war auch der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff in Brasilien, das war ein Riesending.
Sie sind in Rio de Janeiro geboren, haben zu Hause Deutsch gesprochen. Hatten Sie auch mit der Sprachabteilung etwas zu tun?
Ich habe im Goethe-Institut das große und das kleine Sprachdiplom abgelegt, wobei ich damals großen Respekt vor den Räumlichkeiten des Instituts in der Nilo Peçanha hatte, die haben mir sehr imponiert. Auch andere Muttersprachler, die hier geboren sind, machen bis heute noch das Sprachdiplom.
Hatten Sie auch einmal keinen Kontakt zum Goethe-Institut?
Ja, vielleicht als ich als Wirtschaftsjournalistin unterwegs war. Nachdem ich Korrespondentin in Berlin, nach dem Mauerfall und während der Wiedervereinigung, gewesen und zurückgekommen war, war ich dann bei Veranstaltungen selbst Teilnehmerin oder Moderatorin, etwa einer Podiumsdiskussion über die Situation in Deutschland.
Nach dem Journalismus began Ihr zweites Leben als Übersetzerin.
Da war ich dann auch öfter im Goethe-Institut oder habe mit dem Institut zusammen gearbeitet, etwa über das Literaturvermittlungsprogramm LITRIX. 1996/1997 haben wir das erste große Übersetzer-Treffen im Goethe-Institut mit Ray-Güde Mertin, Karin Schweder Schreiner und Bertold Zilly veranstaltet. Dann habe ich 2008 selbst ein Übersetzertreffen in der “Academia Brasileira de Letras” organisiert. Danach kam das Vice Versa-Programm, von dem ich vier Werkstätten mit einer deutschen Kollegin selbst geleitet habe. Bei all den Übersetzungsaktivitäten war das Goethe-Institut sehr hilfreich und ist es bis heute noch. Viele meiner Übersetzungen ins Portugiesische sind auch vom Goethe-Institut gefördert worden. Auch als Vorstandsmitglied der “Casa Stefan Zweig”, was sozusagen mein drittes Leben ist, habe ich viel mit dem Goethe-Institut zusammen veranstaltet, Lesungen oder Buchvorstellungen.
Wenn Sie Bilanz ziehen – was ist Ihr Ausblick für die kommenden 60 Jahre deutsch-brasilianischer Zusammenarbeit und worin liegen die Herausforderungen für das Goethe-Institut?
Während die Richtung am Anfang vor allem eine war und die Absicht in den ersten Jahrzehnten, deutsche Sprache und Kultur in Brasilien zu verbreiten, arbeitet man heute mehr mit Austausch wie bei der FLUPP (Festa Literária das Periferias) oder dem Residenzprogramm für Schriftsteller. Das ist auch sehr wichtig, um sich die hiesige Realität zu vergegenwärtigen und Klischees gegenseitig abzubauen. Da hat das Goethe-Institut weiter eine wichtige Rolle, die man bestimmt noch ausbauen kann.