Alfons Hug: weibliche Stärke in der brasilianischen Kultur
Geboren in Hochdorf im Süden Deutschlands, ist Alfons Hug Weltbürger und den Künsten verpflichtet. Allein an Biennalen hat er Venedig, São Paulo, Curitiba, Montevideo und Dakar kuratiert, außerdem die Bienal do Fim do Mundo in Argentinien und die Biennale des Mercosul. Seit 1980 bereist er die Welt, leitete Goethe-Institute in Lagos, Medellín, Caracas, Moskau, Brasília und Rio de Janeiro. Dort hat er Wurzeln geschlagen und blieb von 2002 bis 2015.
In diesem Interview räumt Hug mit dem Mythos auf, dass Brasilianer sich nicht für Kunst interessieren und lobt die Gesetze zur Kulturförderung. Frauen spielen seiner Meinung nach eine entscheidende Rolle in der Kultur des Landes.
Unter Ihrer Leitung hat das Goethe-Institut Rio de Janeiro große Projekte durchgeführt. Hat die Konjunktur zur Realisierung der Ausstellungen beigetragen?
Die Zeit von 2002 bis 2015 war sehr produktiv. Nicht nur für das Goethe-Institut, sondern auch für die Stadt und Brasilien insgesamt. Die finanzielle Unterstützung fand Mitte des ersten Jahrzehnts ihren Höhepunkt, sowohl bei der Zuteilung von Mitteln durch das Land als auch durch Firmen, begünstigt durch die brasilianischen Kulturförderungsgesetze. Unter meiner Leitung konnten wir große Projekte mit bedeutendem Budget von brasilianischen Partnern realisieren. An erster Stelle vom CCBB, gefolgt von Caixa, von Oi Futuro, den Filmfestspielen, Tanzveranstaltungen, der FLIP, unter vielen anderen. Es haben sich viele Möglichkeiten aufgetan.
Wie schätzen Sie diesen Markt in Brasilien ein?
Nicht alle wissen, dass die brasilianischen Kulturförderungsgesetze Vorbild für die ganze Welt sind. Nur wenige Länder bieten so viele Möglichkeiten zur Unterstützung kultureller Veranstaltungen. Das Institut hat von diesen Möglichkeiten profitiert. Natürlich hat das Goethe-Institut auch viele eigene Mittel zur Verfügung gestellt, aber die Höhepunkte wie beispielsweise die Ausstellung „Arte da Áfrika“, die 2003 und 2004 in Rio, Brasília und São Paulo zu sehen war, konnten nur durch die Unterstützung des Banco do Brasil realisiert werden. Die Ausstellung hat insgesamt mehr als R$ 3 Millionen gekostet.
Das war wohl mein größtes Projekt und hatte große soziale Auswirkungen, weil sie die afro-brasilianische Diasporagemeinde ansprach. Vielleicht war das das erste Mal, weil weder Brasilien noch der Rest Lateinamerikas große Sammlungen afrikanischer Kunst besitzen. Die größten Sammlungen befinden sich in Europa, eine davon in Berlin. Von dort haben wir etwa 300 Exponate geholt.
Welche anderen Projekte heben Sie hervor?
Das zweite Projekt, das ich hervorhebe, ist die Ausstellung “Os Trópicos“, die in Rio, Brasília und Berlin gezeigt wurde. Ich habe, wann immer möglich, versucht, Werke von hier nach Deutschland zu bringen. Diese Ausstellung war sehr interessant, weil sie alte und zeitgenössische Kunst nicht nur aus Südamerika, sondern aus allen tropischen Ländern, auch aus Afrika und Asien, versammelte. Diese Nebeneinanderstellung hat einen sehr interessanten Dialog eröffnet.
Wir haben auch kleinere, aber sehr wichtige Projekte realisiert, wie die “Alegoria Barroca na Arte Contemporânea“ im CCBB. An Karneval haben wir auch eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst organisiert, zu der wir die traditionellen Hexen aus dem Süden Deutschlands geholt habe, um am Straßenkarneval in Rio teilzunehmen.
Wie sehen Sie angesichts der Krise die Zukunft der Kultur in Brasilien?
Ich finde es schade, dass die aktuelle Situation in Brasilien so weit gekommen ist, aber wir wissen aus Erfahrung, aus der Geschichte, dass diese Perioden zyklisch sind. Trotz der Krise ist die letztjährige Biennale in São Paulo unter fast idealen Umständen durchgeführt worden. Ich habe keine großen Einschnitte im Budget feststellen können. Es scheint, dass Rio stärker betroffen ist, auch wegen der Auswirkungen der Olympischen Spiele. Das ist schade, weil sich Brasilien in Lateinamerika immer hervorgehoben hat. Deshalb ist das Land auch so wichtig für das Goethe-Institut – Brasilien hat sechs Institute. Das Land hat nicht nur eine sehr reiche nationale Kultur, sondern verfolgt und versteht internationale Tendenzen. Es ist leicht, das Publikum anzusprechen und auch Spezialisten auf den verschiedensten Gebieten zu finden: Kino, Literatur, Musik, Tanz.
Aber es gibt Stimmen, dass Brasilianer wenig Kunst konsumieren.
Zeitgenössische Kunst ist kein Fußballspiel, sie kann nicht so populär sein. Und trotzdem verzeichnet die Biennale in São Paulo fast eine Million Besucher. Im internationalen Vergleich ist das eine außergewöhnliche Zahl. Noch nicht einmal die Biennale in Venedig oder die documenta empfangen so viele Besucher. Als ich 2002 und 2004 Kurator der Biennale war, hat mir der Frauenanteil imponiert. Ich habe den Eindruck, dass die brasilianische Kultur von den Frauen getragen wird.
Museen und Kulturzentren spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung des Publikums. Das Goethe-Institut hat es mit der Ausstellung „Futebol“ tatsächlich geschafft, Leute ins CCBB zu bringen, die noch nie dort drin waren. Das gleiche geschah mit der Ausstellung „Arte da África“. Wir konnten auf eine gewisse Weise zur Heranbildung eines neuen Publikums beitragen.
Vor welchen Herausforderungen steht der kulturelle Austausch in den nächsten Jahren?
Bedauernswerte historische Ereignisse wie der Erste und Zweite Weltkrieg haben das Verhältnis zwischen Brasilien und Deutschland beeinflusst. Die deutsche Sprache wurde im Süden als Geisel genommen. Seit den 1950er und 1960er Jahren jedoch wurden die Beziehungen wieder aufgenommen und gestärkt. Ich glaube, dass Deutschland aus einer diplomatischen, politischen und kulturellen Sicht von den Brasilianern bewundert wird. Das Land wird wegen seines philosophischen und theologischen Inhalts geschätzt und wegen großer internationaler Veranstaltungen wie der Berlinale, die eine der führenden Filmfestspiele der Welt ist, und der documenta in Kassel für zeitgenössische Kunst, auf der es immer eine brasilianische Beteiligung gibt. Die Frankfurter Buchmesse ist ein weiteres Beispiel einer wichtigen Veranstaltung, bei der Brasilien schon Gastland war.
Somit besitzt Deutschland eine große Anziehungskraft für junge Künstler, die einen Austausch suchen. Die kulturellen Beziehungen sind gut, aber noch ausbaufähig, wovon beide Seiten profitieren können. Die Herausforderung besteht darin herauszufinden, welche neuen Tendenzen in Brasilien und Deutschland entstehen und welche Berührungspunkte es geben wird. Auf den Gebieten der darstellenden Künste, des Theaters, des Tanzes und der Musik gibt es einen sehr intensiven Austausch auf verschiedenen Festivals, unter anderem in Berlin, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg. Viele in Deutschland im Kulturbetrieb Tätige sprechen Portugiesisch, was den Austausch fördert. Es gibt auch hervorragende Übersetzer auf beiden Seiten. Ich glaube, dass alle Voraussetzungen erfüllt sind, damit die beiden Länder gemeinsam wachsen können.