Geraldo Carvalho: das Beste aus beiden Welten
Nehme etwas der deutschen Strenge und Kompetenz, kombiniere es mit etwas brasilianischer Flexibilität und das Ergebnis ist eine perfekte Balance, mit dem Besten beider Kulturen. Das findet Geraldo Carvalho, Gründer des Werther-Instituts, welches Deutschkurse in Juiz de Fora (MG) anbietet. Als größte Herausforderung sieht er, den Kursteilnehmern einen differenzierten und durchaus kritischen Blick, nicht nur über die Kultur der deutschsprachigen Länder, aber auch über die brasilianische Lebensweise, zu ermöglichen.
Herr Carvalho, wie ist Ihre Verbindung zum Goethe-Institut Rio de Janeiro entstanden?
Mein erster Kontakt mit dem Goethe-Institut Rio war, würde ich sagen, etwas angespannt und zugleich voller Erwartungen. Wir waren an das Goethe-Institut Belo Horizonte angeschlossen, dass mich in meinen Anfängen als Deutschlehrer sehr unterstützt und mir in meiner Ausbildung sogar ein Stipendium für vier Monate in München gegeben hat. Als das Goethe-Institut Belo Horizonte 1996 geschlossen wurde, habe ich die Nachricht erhalten, dass das Institut, das die Region, inklusive Juiz de Fora, übernehmen würde, das Goethe-Institut Rio wäre. In jener Zeit hatte ich wegen all der negativen Nachrichten über die Stadt in den Medien ein großes Misstrauen gegenüber allem, was aus Rio kam, das schloss auch die Personen ein.
Hat der kulturelle Unterschied zwischen Rio de Janeiro und Minas Gerais auch eine Rolle gespielt?
Ich habe mich im Goethe-Institut Belo Horizonte zu Hause gefühlt, das war Minas, ich kannte die Leute, wir hatten die AMPA gegründet etc. In Rio war alles neu, mir unbekannte Lehrer*innen, ein feindliches Klima (all das war in meinem Kopf). Bis ich den ersten Anruf des BKD von Fernando Gil in einem sympathischen und freundlichen Ton bekommen habe. Und ich wurde sogar dazu eingeladen, an einem Seminar teilzunehmen, das das Goethe-Institut in Posse / Petrópolis veranstaltete. Ich war voller Vorbehalte, aber nach drei Tagen Seminar habe ich mich so gut in der Gruppe aufgehoben gefühlt und eine so andere Welt wahrgenommen, dass meine Sorgen sich aufgelöst haben und da hat eine solide und glückliche Partnerschaft begonnen, die bis heute andauert.
Was bedeutet es für Sie, ein Prüfungszentrum des Goethe-Instituts zu sein?
Das ist eine Qualifikation, auf die wir sehr stolz sind, eine Anerkennung der ernsthaften Arbeit, die wir im Laufe der Jahre entwickelt haben. Der Siegel des Goethe-Instituts auf unserer Seite gibt unserer Aktivitäten in Juiz de Fora und der Region größere Glaubwürdigkeit. Davon profitieren auch die Schüler*innen und es öffnet sogar andere Türen, zum Beispiel, dass wir für den Test „Deutsch als Fremdsprache“ lizenziert wurden. Aber das war ein langer Prozess. Über viele Jahre ist Gil immer aus Rio gekommen, um die Prüfungen hier in Juiz de Fora mit mir abzunehmen. Auch haben wir hier einige Seminare für Lehrer*innen mit Vortragenden aus Rio und São Paulo gehabt.
Woher kommt ihr Bezug zur germanischen Welt?
Von klein auf habe ich Französisch und Portugiesisch parallel gelernt. Da ist mein Interesse für alles entstanden, was aus dem Ausland kommt. Eines schönen Tages, ich war zwölf oder so, ist mir im Hause meines Onkels eine Modezeitschrift auf Deutsch in die Hände gefallen und ich war fasziniert von der Länge der Wörter. Davon ausgehend habe ich in meinem Dorf jemanden gefunden, der etwas Deutsch konnte und angefangen, die Sprache zu lernen. In meiner Familie, die deutscher Abstammung ist, hat niemand Deutsch gesprochen, aber ich glaube, ich hatte die Lust am Reisen und an Entdeckungen in den Genen, nachdem mein Urgroßvater, bevor er in Brasilien angelegt hat, schon viel gereist ist.
Davon, Deutsch zu lernen bis dahin, eine Schule aufzumachen und ihr den Namen “Werther” zu geben, ist es aber noch ein gewisser Weg.
Nachdem ich Französisch sprach und schon seit langer Zeit unterrichtete, hatte ich schon Erfahrung als Sprachlehrer und habe angefangen, Deutschunterricht für Anfänger im “Instituto Schiller“ in Juiz de Fora zu geben. Als diese Einrichtung wegen fehlender Mittel ihre Aktivitäten eingestellt hat, habe ich die Räumlichkeiten gemietet und dort auf eigene Rechnung weiter Deutsch- und Französischstunden gegeben, bis wir zusammen mit drei Kollegen den Kurs aufgemacht haben und einen Namen, der an Goethe angelehnt ist, beibehalten wollten. Nachdem schon andere Institute mit ähnlichen Namen existierten, hatten wir die Idee, eine Figur von Goethe zu verwenden. Unter denen, die uns am meisten zugesagt haben, war der junge Werther, jung wie unser gerade gegründetes Institut. Außerdem ist es ein Name, der für Brasilianer*innen leicht auszusprechen ist – und es hat geklappt.
Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung für die Brücke zwischen Brasilien und Deutschland?
Genau das, diese Brücke zu bauen zwischen der deutschen Strenge und der brasilianischen Flexibilität. Als wir Unterricht in der Fabrik von Mercedes-Benz in Juiz de Fora gegeben haben, haben wir regelmäßig gehört, wie schwierig es sei mit den Deutschen zu arbeiten und die haben das Gleiche über die Brasilianer gesagt. Was am besten geklappt hat war, wenn die beiden Kulturen das genutzt haben, was die andere jeweils Gutes hat und so ein Gemisch gebildet haben: die deutsche Kompetenz verbunden mit der brasilianischen Flexibilität. Und in unseren Stunden heute ist die größte Herausforderung einen kritischen Blick, nicht nur auf die deutschsprachigen Länder, sondern auch auf die eigene Lebensweise in Brasilien zu vermitteln. Es ist diese Annäherung, die wir in unseren Kursen anpeilen.
Worin besteht die Brücke in Ihrem Leben?
Ich würde sagen, dass sich meine Karriere nicht nur als Deutschlehrer, Kursleiter, Prüfungsbeauftragter, sondern auch als Übersetzer und heute auch als Chefredakteur und PR-Beauftragter des Internationalen Deutschlehrerinnen und- und Deutschlehrerverbandes (IDV) ohne das Goethe-Institut – zuerst Belo Horizonte und dann Rio de Janeiro – nicht so entfaltet hätte. Das war ein konstantes Lernen im Laufe von Treffen in Rio, Seminaren und Stipendien. Mein Verhältnis zu den Leiterinnen und Leitern der Sprachabteilung, von Hagen Schulz bis heute Susan Zerwinsky, ist das beste (gewesen), das ich mir vorstellen kann. Alle sind nach Juiz de Fora gekommen, einige mehr als einmal, um unsere Kurse und Projekte zu unterstützen. Umgekehrt habe ich mich im Goethe-Institut Rio de Janeiro immer wie ein willkommener Gast gefühlt. Das hat mich geprägt.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die Rolle des Goethe-Instituts in ihrer Unterstützung für die Vereinigungen von Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern. Ich habe mich immer für diese Art von Arbeit engagiert, zuerst in der AMPA (Associação Mineira de Professores de Alemão), dann in der ABraPA (Associação Brasileira de Professores de Alemão) und jetzt im IDV (Internationale Deutschlehrerinnen und- und Deutschlehrerverband). Und ich kann bestätigen, dass ohne die Unterstützung des Goethe-Instituts die Vereinigungen allgemein auf der Welt, und in unserem besonderen Fall die von Minas und Rio, ihre Rolle nur sehr schwer in der Form ausüben könnten, wie sie das heute tun. Das Goethe-Institut ist der wichtigste Partner der Vereinigungen und das Goethe-Institut entzieht sich dieser Regel nicht, es war immer an unserer Seite.
Wie sehen Sie die Situation für die deutsche Sprache in Juiz de Fora, Minas Gerais im Gegensatz zu Rio de Janeiro und die Zukunft des deutsch-brasilianischen Austauschs, den Sie zusammen mit dem Goethe-Institut repräsentieren?
Wir gehen durch eine Zeit der Veränderungen: wirtschaftliche, politische und was unsere Ziele angeht. In Juiz de Fora haben wir hier im Institut schon höhen und Tiefen erlebt, aber bis heute hat das Interesse für die deutsche Sprache nie aufgehört zu steigen. Das ist, was über all diese Jahre stabil geblieben ist. Das liegt zum großen Teil an den Partnerschaften in den verschiedenen Bereichen zwischen den beiden Ländern, unter anderem von Universitäten und Unternehmen. Und in diesen Partnerschaften spielen unsere Institute in Rio und in Minas eine entscheidende Rolle. Denn über sie konkretisiert sich der Austausch. Ohne das Werkzeug der Sprache, das Verstehen des Anderen, ist es schwierig, sich eine gemeinsame Zukunft vorzustellen.