Ein notwendiger Film

Aus dem Nichts
© 2017 bombero int. Warner Bros. Ent. / Foto: Gordon Timpen

Er war ein unerwarteter Gewinner bei den Golden Globes und ebenso unerwartet war es, dass er für die Oscars 2018 nicht nominiert wurde: Der neue Film von Fatih Akin hat es dennoch geschafft, seine Botschaft in die Welt hinauszutragen.
 

Oft merken wir, wie weit wir von Europa entfernt sind, wenn wir uns die Kinostarts in den chilenischen Programmen ansehen. Es mangelt an europäischem Kino allgemein und an deutschem speziell. Aber zum Glück gibt es Filmfestivals, die diesen Mangel beheben. Diesbezüglich ist Aus dem Nichts, der neue Film von Fatih Akin, ein bemerkenswertes Beispiel. 2017 hatte er seine Premiere auf dem Filmfestival von Cannes und ließ keine*n Besucher*in unberührt. Für ihre schauspielerische Leistung erhielt die Hauptdarstellerin, Diane Krüger, die Goldene Palme als beste Schauspielerin, aber auch die Macht seiner Geschichte wurde vielfach kommentiert. Der Film handelt von einer Frau, deren Mann und Sohn bei einem Terroranschlag der radikalen Rechten getötet werden und von ihrer intensiven Suche nach Gerechtigkeit.

Ich erinnere mich an die Begeisterung des Direktors des SANFIC-Filmfestivals, Carlos Núñez, bei seiner Rückkehr aus Cannes. Nicht nur, weil er von dem Film beeindruckt war, sondern auch, weil er, dank enger Beziehungen zu German Films, Kontakte geknüpft hatte, um so den Film und dessen Kameramann, Rainer Klausmann, für die SANFIC-Version im Jahr 2017 nach Chile zu bringen. Und tatsächlich war Klausmann einer der Stars von SANFIC 2017, wo er darüber berichten konnte, wie es war, fast alle Filme von Fatih Akin zu drehen, sowie bei Dreharbeiten mit Werner Herzog und anderen hervorragenden deutschen Regisseuren mitzuwirken.

So feierte Aus dem Nichts im August 2017 im Rahmen von SANFIC an dem Tag seine Premiere in Chile, an dem bekannt wurde, dass er Deutschlands Oscar-Kandidat wird und lange bevor er im November 2017 in die deutschen Kinos kam. Nach der Vorführung nahm Klausmann an einem Gespräch in der Cineteca Nacional teil, wo er unter anderem über die Dreharbeiten berichtete. Dabei erzählte er, dass Akin neben dem Drehbuch eine klare Vorstellung davon hatte, wie er den Beginn des Films (das Attentat) sowie die Schlussszene zeigen wollte. Die Feinarbeit jedoch habe darin bestanden, Schritt für Schritt die Glaubwürdigkeit der Rolle von Diane Krüger herzustellen, damit der komplette Prozess, vom Anfang bis zur Schlussszene, plausibel sei. Möglicherweise ist das das Geheimnis dieses großartigen Films.

Aus dem Nichts ist ein packender, unvergesslicher, und mehr noch, notwendiger Film. Fatih Akin erklärte in einem Interview mit dem NDR, dass das Thema Rechtsradikalismus für ihn bereits seit Beginn der 90er Jahre wichtig gewesen sei, er aber sein Werk diesbezüglich habe reifen lassen. Als er sich schließlich dazu entschied, den Film zu machen, wurde es sein am schnellsten produzierter Film. Zum Teil wegen seiner Wut über die NSU-Morde und die Art und Weise, wie Polizei und Staatsanwaltschaft mit diesen Verbrechen umgegangen sind: Zunächst wurden Angehörige und das familiäre Umfeld der Opfer unter die Lupe genommen und die Opfer wurden im Frühstadium der Untersuchungen zu Tätern gemacht. Fatih Akin empfand es als skandalös, wie er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte, “dass die Ermittler davon ausgingen, dass die Opfer und ihre Familien irgendwie Dreck am Stecken hatten - einfach aufgrund der Herkunft”. Und das war etwas sehr persönliches für Akin, dessen Eltern aus der Türkei stammten und sich ein Leben in Deutschland aufgebaut haben. “Als jemand mit türkischem, mit ausländischem Hintergrund hatte ich (...) schon das Gefühl, dass mich das persönlich angeht. Das hätte auch mich treffen können."

Auch andere Regisseur*innen haben sich mit dem Thema NSU beschäftigt und das Filmarchiv des Goethe-Instituts wird schon bald, im Jahr 2018, zum ersten Mal eine Fernsehfilm-Reihe zu diesen Prozessen zeigen können. Es handelt sich um einen Dreiteiler aus dem Jahr 2016, in dem sich drei junge Regisseure mit den Prozessen befassen - aus Sicht der Opfer, der Täter und der Justiz. Züli Aladag führte bei “Die Opfer  -Vergesst mich nicht” Regie, während Florian Cossen (Gewinner bei SANFIC mit “Das Lied in mir”) mit “Die Ermittler - Nur für den Dienstgebrauch” die Perspektive der Staatsanwaltschaft zeigt und Christian Schwochow (“Westen”, “Paula”) übernahm “Die Täter - Heute ist nicht alle Tage”. Diese Serie räumte letztes Jahr bei den Fernsehpreisen in Deutschland ab und brachte das Thema erfolgreich zurück auf den Schirm. Fatih Akin jedoch hat es mit seinem Golden Globe geschafft, seine Botschaft in die ganze Welt hinauszutragen.