Das Medienkunstprojekt „Smile to Vote“ stellt eine Wahlkabine vor, die Gesichter scannt und selbstständig Stimmabgaben durchführt. Der Künstler Alexander Peterhaensel kritisiert damit, dass IT-Systeme zunehmend in unsere Privatsphäre eindringen.
Der durchschnittliche CDU-Wähler hat ein starkes Kinn. Wer ein feines Näschen besitzt, wählt Grün. Und eine hohe Stirn verrät den SPD-Anhänger. Alles Quatsch, kompletter Blödsinn? Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Der Berliner Medienkünstler Alexander Peterhaensel hat eine Wahlkabine entworfen, die vorgibt, per Gesichtsscan innerhalb von Sekunden die politische Gesinnung einer beliebigen Person bestimmen zu können und für sie dann auch die Stimmabgabe durchzuführen. Es genügt ein Blick in die Kamera und schon hat der Wähler seine Stimme abgegeben. Erfunden und vertrieben wird die fiktive Wahlkabine von der ebenso fiktiven Firma Smile to Vote.
Psychometrie und Politik
Smile to Vote – Political Physiognomy Analytics ist bisher nur ein Kunstprojekt. Völlig abwegig ist die Idee einer solchen Wahlkabine aber nicht, denn sie basiert auf Technologien und Vorgehensweisen, die in anderen Bereichen bereits angewendet werden.
Inspiriert wurde Peterhaensel von den Forschungsergebnissen des amerikanischen Psychologen und Professors der Stanford Universität, Michal Kosinski. Dieser behauptet in einer 2017 veröffentlichten Studie, dass eine Software aus den Gesichtern von Menschen herauslesen kann, ob eine Person homo- oder heterosexuell ist – und das mit hoher Treffgenauigkeit. Anhand nur eines Porträtfotos soll die Künstliche Intelligenz in 81 Prozent der Fälle richtig einschätzen können, ob ein Mann homosexuell ist oder nicht, bei Frauen liege sie bei 74 Prozent richtig. Dafür vergleicht die künstliche Intelligenz das Bild der jeweiligen Person mit einem Datenset an Bildern von hetero- und homosexuellen Personen und macht Gemeinsamkeiten ausfindig.
Der Scanvorgang von Smile to Vote
| Foto: Smile to Vote, Screenshot psychometrische Analysesoftware © Alexander Peterhaensel 2017
Peterhaensel war verblüfft von den Ergebnissen. Für sein Kunstprojekt spitzte er die Grundidee auf die politische Gesinnung von Menschen zu: Die Wahlkabine Smile to Vote vergleicht das Gesicht des Wählers mit einem Datenpool aus Politikerfotos. Blitzschnell zieht sie daraus Schlüsse auf dessen – vermeintliche – politische Vorliebe. Der Wähler braucht das Ergebnis nicht mehr bestätigen, es wird dem Projekt zufolge unmittelbar als gültige Stimmabgabe an die zuständige Wahlbehörde übermittelt.
Der Glaube an übermenschliche Objektivität
Mit seinem Projekt möchte Peterhaensel aufzeigen, was es bedeutet, wenn Gesellschaften immer mehr Entscheidungen an IT-Systeme abgeben. Das Thema treibt ihn schon lange um – vor allem auch die Sorglosigkeit, mit der Politik und Bürger bereit sind, Algorithmen Vertrauen zu schenken und ihre Daten preiszugeben. Unter anderem habe er im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 in Deutschland festgestellt, „wie erschreckend groß das Unwissen der politischen Entscheider in Bezug auf Künstliche Intelligenz und Gesichtserkennung ist“.
Gesichtserkennung ermöglicht unter anderem, dass Softwares über eine Kamera jeden Menschen identifizieren können, dessen biometrische Daten zuvor hinterlegt wurden. Der Apple-Konzern etwa nutzt in seinen Mobiltelefonen mit der Funktion Face-ID potente Gesichtserkennungstechnologien und legt hochauflösende physiognomische Datensätze der Nutzer an. Und der chinesische IT-Riese Alibaba hat bereits 2017 in einem Fastfood-Restaurant das Bezahlen via Gesichtserkennung eingeführt. „Da wird Gesichtserkennung zum begehrenswerten, angesagten Lifestyle-Produkt, ohne dass sich der Nutzer der schwindenden Privatsphäre und dem Abtreten von Entscheidungen an IT-Systeme bewusst wird.“ Alibabas Smile to pay stand daher auch Pate für den Titel von Peterhaensels Kunstprojekt.
An der Grenze von Realität und Fantastischem
In der Wahlkabine wird die Physiognomie der Wähler gescannt.
| Foto: Smile to Vote, Wahlkabine © Alexander Peterhaensel 2017
Die Walkabine von Smile to Vote gibt es wirklich. Die Stimmabgabe aber ist fiktiv, und das Unternehmen dahinter ebenso. Ein Ziel der multiperspektivischen Konzeptkunst-Arbeit ist jedoch auch, dass beides möglichst real wirken soll. Das fiktive GovTech-Startup Smile to Vote wirbt daher mit einer täuschend echten Website: „Natürlich spielte hier auch die ästhetische Kritik an der IT-Industrie eine Rolle“, kommentiert Peterhaensel, der als künstlerischer Mitarbeiter am Institut für zeitbasierte Medien der Universität der Künste in Berlin tätig ist.
Die Rolle der Wissenschaft ist ein weiterer Baustein: Nicht nur hat Peterhaensel ein wissenschaftliches Paper über Smile to Vote verfasst, zudem entwickelte er ein vermeintlich wissenschaftliches Informationsvideo, das die Funktionsweisen der E-Wahlkabine darlegt. Nicht wenige Zuschauer nahmen es ernst und reagierten zum Teil mit heftiger Kritik. Die zugrunde liegende Methode der Physiognomie behauptet, aus Gesichtszügen Rückschlüsse auf die Eigenschaften von Personen ziehen zu können. Dass diese Methode in der Rassenlehre des Nationalsozialismus großen Schaden angerichtet habe, bekommt Peterhaensel häufiger zu hören. Den Glauben an die übermenschliche Objektivität algorithmischer Entscheidungsprozesse, den global agierende IT-Konzerne mit geradezu religiösem Weltverbesserungsanspruch verbreiten, kritisierten indes die Wenigsten: „Im Kern ist Smile to Vote also auch eine Frage nach der Conditio Humana: Was ist Menschlichkeit? Wie menschlich oder unmenschlich sind IT-Prozesse, die unsere Lebensrealität mitgestalten und mitentscheiden?“
Auch Peterhaensel selbst ist Teil von Smile to Vote, indem er unterwegs und auf Reisen stets eine Visitenkarte des fiktiven Unternehmens in der Tasche trägt. Wenn ihm dann Investoren anbieten, in das Startup zu investieren, gerät das vermeidliche Geschäftstreffen zur Performance. Auch auf dieses Changieren an der Grenze von Realität und dem Fantastischen, auf den „magischen Realismus oder Hyperrealismus“, ziele Smile to Vote ab, so Peterhaensel.