Gewalt gegen Frauen
„Opfer zu sein ist kein Makel mehr“
![Nach der „Nein heißt Nein“-Debatte 2016 sehen viele Frauen ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gestärkt Nach der „Nein heißt Nein“-Debatte 2016 sehen viele Frauen ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gestärkt](/resources/files/jpg536/Nein-heisst-nein-695-formatkey-jpg-w320m.jpg)
Gewalt gegen Frauen, damit beschäftigt sich Rechtswissenschaftlerin Monika Frommel seit Jahrzehnten. Im Interview spricht sie über typische Fälle und Schutz vor Attacken durch den eigenen Partner.
Frau Frommel, in den Ländern der Europäischen Union ist jede dritte Frau über 15 Jahre schon einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt geworden. Das hat 2014 eine Untersuchung der EU gezeigt. Jede fünfte dieser Frauen musste Gewalt durch den eigenen Partner erleben. Wie häufig ist Gewalt gegen Frauen in Deutschland?
Welche Formen von Gewalt spielen eine Rolle?
Die Bandbreite ist groß. Es gibt die häusliche Gewalt in der Partnerschaft: In ihrem vertrauten Umfeld ist die Gefahr für Frauen am größten, verprügelt, vergewaltigt oder gedemütigt zu werden. Auch nach einer Trennung ist es für viele Frauen noch nicht vorbei. Ihnen wird weiter gedroht oder es gibt Psychoterror durch Stalking. Unter Gewalt gegen Frauen versteht man auch Fälle, in denen Männer das „Nein“ übergehen. Meistens waren sie in der Vergangenheit schon gewalttätig und die Frauen in diesen Beziehungen entziehen sich den Übergriffen nicht. Etwa, weil sie nicht wollen, dass die Kinder vom Lärm der Auseinandersetzung aufwachen. Mitte 2016 gab es in Deutschland eine Debatte über „Nein heißt Nein“, die unter anderem zu einer Änderung des Sexualstrafrechts geführt hat. Nach diesem Grundsatz kann künftig bestraft werden, wer sexuelle Handlungen erzwingt, indem er sich über den „erkennbaren Willen“ des Opfers hinwegsetzt.
„Kein Öl ins Feuer gießen“
Wie können sich Frauen am besten wehren?Ich halte es nicht für schwierig, sich gegen häusliche Gewalt zu wehren. Ich würde einer Frau dabei nicht raten, eine Strafanzeige zu erstatten. Das Gewaltschutzgesetz von 2002 zieht in solchen Fällen besser. Die betroffene Frau geht zum Amtsgericht, erhält dort die Formulare, auch Prozesskostenbeihilfe, und stellt den Antrag, dass das Gericht eine Schutzanordnung erlässt. Danach muss der Mann entweder die Wohnung verlassen oder Auflagen befolgen. Wenn er dies nicht tut, ist das strafbar.
Warum ist das besser als eine Anzeige?
Weil auf die Beziehung eingewirkt wird – und zwar sofort. Der Mann muss die Wohnung verlassen, auch wenn sie ihm gehört. Es ist ein rabiates Gesetz, das unglaublich effektiv angewandt wird. Die Frau hat ja nichts davon, wenn nach einer Anzeige das Verfahren möglicherweise eingestellt wird. Im Gegenteil: Die Situation spitzt sich zu, es kann noch mehr Gewalt entstehen. Das ist, als würde man Öl ins Feuer gießen.
Auch Männer können Opfer werden
Können Sie typische Fälle schildern, in denen es schwierig ist, sich juristisch zu wehren?Beispielsweise Fälle, in denen die Frau den Geschlechtsverkehr über sich ergehen lässt. Sie kennt den Mann und weiß, dass er schwierig und gewalttätig ist. Dann geht sie zur Polizei. Das sind sogenannte beweisschwierige Fälle, denn bei diesem angezeigten Sexualkontakt gegen ihren Willen war keine Gewalt im Spiel. Sie hätte sich auch entziehen, die Wohnung verlassen oder den Partner hinauswerfen lassen können, eben durch das Gewaltschutzgesetz. Die Frau nutzt es aber nicht. Das ist leider oft der Fall. Gerade bei Beziehungsdelikten ist die Beweisführung schwierig. Da steht Aussage gegen Aussage, es sind oft keine physischen Verletzungen zu sehen.
Auch Männer werden in Deutschland Opfer von Gewalt.
Ich hatte einen Mandanten, der durch eine Stalkerin schwer bedrängt wurde. Sie drang sogar in seine Wohnung ein. Er wollte aber nicht mit Hilfe des Gewaltschutzgesetzes gegen sie vorgehen. Stattdessen ist er umgezogen mit anonymer Adresse. In der Anzeigebereitschaft von Frauen und Männern gibt es eine starke Asymmetrie. Männer, die Opfer von Gewalt werden, scheuen noch viel stärker davor zurück, mit einer Anzeige oder einem Gang zum Amtsgericht zu reagieren.