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Goethes Pfadfinder
Schriftsteller unter Pferden

Jaromír Novák - Schriftsteller unter Pferden
Jaromír Novák - Schriftsteller unter Pferden | Foto: Jaromír Novák, Autor der Reportage

Chefredakteur von Universitätszeitung und Schriftsteller auf Entdeckungsreise bei der größten europäischen Messe Pferd und Jagd

Von Jaromír Novák

Gleich zu Beginn sei gesagt, dass sich meine Kenntnisse über Pferde – obgleich ich auf dem Lande aufgewachsen bin – darauf beschränkten, dass es sich um Pflanzenfresser handelt und dass man auf ihnen reiten kann. Einmal habe ich es als Kind auch ausprobiert und hinkte danach noch etwa zwei Jahre auf einem Bein. Auf der Jagd war ich ein einziges Mal, weil ich sehen wollte, wie das so ist. Interessant war, dass die Jäger weder ein Wildschwein, noch einen Fasan oder ein Rebhuhn trafen, dafür aber leider den Vorsitzenden des Jagdvereins. Und das hat mich dann ein für alle Mal davon abgehalten, wieder an einer Jagd teilzunehmen.

Gehüllt in fromme Unkenntnis dieser Art, habe mich auf den Weg gemacht, um die größte europäische Messe zum Thema Pferd und Jagd zu besichtigen und sie mit unvoreingenommen kritischem Blick zu bewerten.

Schon morgens um acht, zwei Stunden vor der regulären Öffnungszeit, fand ich mich auf dem Messegelände der Expo Hannover ein. Da die Messe in wenigen Tagen zu Ende gehen sollte, versprach ich mir davon, dass ich mehr oder weniger alleine und ohne großes Gedränge durch die Ausstellungen schlendern kann. Dennoch hatte ich sicherheitshalber eine Zeitreserve von zwei Stunden eingeplant, da ich damit rechnete, dass ich zunächst die richtige Ausstellungshalle und einen Parkplatz suchen muss. Vielleicht deshalb, dass ich wirklich sehr früh da war, war ich tatsächlich einer der ersten vor Ort. Inmitten des riesigen Messegeländes mit seinen monumentalen Hallen befiel mich an diesem spätherbstlichen Morgen regelrecht eine Kafkasche Atmosphäre der Trostlosigkeit und Verlassenheit. Ich irrte eine Weile umher auf der Suche nach den Hallen 16 bis 22. Völlig unerwartet tauchte von irgendwoher ein Mann in Warnweste auf, und nach ihm noch weitere, und lotsten mich zum richtigen Parkplatz. Da lernte ich wieder einmal die sprichwörtliche deutsche perfekte Organisation schätzen. Alle sprachen dazu Englisch – was mir mit meinen vier Jahren Deutschunterricht von anno dazumal am Gymnasium sehr zu passe kam -, wussten gut Bescheid und waren freundlich.   

Menschenmassen und etwas Physik

Kurz darauf erwies sich, dass es eine gute Entscheidung gewesen ist, mit so viel Zeitvorsprung hier einzutreffen. Denn ab neun Uhr strömten Massen an Menschen auf die Eingangshalle zu. Ich versuchte herauszufinden, welche Gruppe am zahlreichsten vertreten war. Aber das war nicht möglich: Es waren Alte, Junge, Männer, Frauen, Kinder, Hunde, sogar ein Pferd – aber das musste sich aus einer Ausstellungshalle hierher verirrt haben -, Menschen in schicken Anzügen ebenso wie Menschen in Flecktarn- oder Ranger-Bekleidung, Menschen weißer, schwarzer und gelber Hautfarbe. In unglaublich kurzer Zeit füllten sich die Parkplätze. In fast pausenlosen Takt fuhren Straßenbahnen in die Endstation, die sich fast direkt vor dem Eingang zum Messegelände befand, ein und reihten sich zu endlos scheinenden Zügen aneinander.

In der Eingangshalle, die an das Getümmel in einer Flughafenhalle erinnerte, hatten sich kurz vor der Eröffnung, meiner Schätzung nach, einige Tausend Menschen versammelt. Dafür dass die Ausstellung schon in drei Tagen zu Ende gehen sollte, war das eine unglaubliche Menge. Pünktlich um zehn Uhr gaben sympathische Hostessen (und ein großgewachsener Host) die Drehkreuzanlagen am Eingang frei. Wäre in diesem Moment ein enthusiastischer Physiker vor Ort gewesen, hätte er sicher an diesem praktischen Beispiel der Bernoullische Energiegleichung seine helle Freude gehabt. Für diejenigen, die in Physik nicht so bewandert sind, sei erläutert, dass diese Gleichung in etwa besagt: Wenn eine Flüssigkeit mit konstanter Geschwindigkeit durch eine Rohrleitung fließt, führt eine Verringerung des Querschnitts der Rohrleitung zu einer Erhöhung der Fließgeschwindigkeit, wobei als die „Flüssigkeit“ hier in unserem Falle natürlich die vielen Tausend Besucher zu betrachten sind. Auf der einen Seite des Drehkreuzes ein riesiges Menschengetümmel, auf der anderen Seite geordnete Menschenschlangen, die zielgerichtet den jeweiligen Ausstellungshallen zustrebten. Und wenn wir schon einmal bei der Physik sind: Aus der Höhe betrachtet, musste das alles irgendwie an die Chladnischen Klangfiguren erinnern.  
  Von einem der Besucherströme wurde ich erfasst und in die erste Halle getragen. Obwohl ich fest entschlossen war, nichts zu kaufen - denn ich besitze weder ein Pferd, noch gehe ich zur Jagd -, stellte ich schon nach kurzer Zeit fest, wie viele Dinge es gab, die ich eigentlich mehr oder weniger dringend brauchte. Hier gab es nämlich tatsächlich alles, was auch nur im entferntesten mit Pferden oder Jagd zu tun hatte. Natürlich werde ich hier nicht alles aufzählen, aber das, was mir selber am interessantesten vorkam, möchte ich gern erwähnen.

Die Jagd ist ein schöner Sport und Pferde sind schöne Tiere

Das waren vor allem Jagdhochsitze. Ich habe in Geschäften schon alles Mögliche gesehen, was zum Verkauf angeboten wird, aber das hier noch nicht! Hier gab es alle nur vorstellbaren Arten von Hochsitzen: ganz gewöhnliche, aber auch welche mit Tarnanstrich, mit Dach, mit Heizung, und ich nehme an, dass in den Luxusausführungen auch eine gut ausgestattete Minibar nicht fehlte. Bei uns auf dem Dorf war es so, dass die Männer sich ab und zu zusammentaten und sich selber einen Hochsitz zusammenzimmerten. Die hochprofessionellen Exemplare, die es hier zu sehen gab, waren zwar deutlich ansehnlicher, aber ihnen fehlte der gewisse Charme volkskünstlerischer Kreativität.

Dann gab es Sattel, Schuhe und Lederartikel. Ich kenne einen Sattler und schaue ihm gern bei der Arbeit zu, und daher weiß ich auch, wie schwer es ist, Leder zu bearbeiten. Doch was es hier zu sehen gab, machte den Eindruck, dass jemand das Dekorieren von Leder regelrecht zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, denn auf den hier angebotenen Waren war wohl jeder Quadratzentimeter mit Ornamenten verziert. Es sah aus wie im Frognerpark in Oslo: von der Fläche her vergleichbar, nur eben mit dem Unterschied, dass sich anstelle von Skulpturen Lederartikel befanden.

Letztendlich ist es mir sogar gelungen, mich bis zu einer Pferde-Show durchzuschlagen, auf der hübsche Mädchen in sexy Cowboy-Kostümen mit ihren Pferden unglaubliche Kunststücke vorführten. Die Pferde zeigten Schritt, Trab und Galopp, liefen seitlich, stellten sich auf Vorder- und Hinterhufe, drehten sich im Kreis und für eine kurze Zeit waren ihre Bewegungen perfekt synchronisiert. Fast habe ich erwartet, dass noch ein gemischter Pferdechor oder ein Pferdeballett auftreten werde.

Gern wäre ich noch geblieben, aber wenn ich noch etwas schaffen wollte, musste ich mich losreißen. Auf dem Weg vorbei an den Konferenzräumen hörte ich einen Vortrag mit, von dem ich nur den Grundgedanken verstand (und zwar die Jagd ist ein schöner Sport und Pferde sind schöne Tiere), nahm einen kleinen Imbiss im Restaurant und wanderte durch die Ausstellung mit Outdoor-Bekleidung, die jedem Outdoor-Shop Ehre gemacht hätte. Der einzige Nachteil war, dass sich an fast jedem Kleidungsstück zumindest ein klitzekleines Element in oranger oder gelber Reflexfarbe befand.

Nach diesen im Messegetümmel verbrachten Stunden habe ich für mich selbst folgendes Fazit gezogen:

- Ja, es stimmt. Pferde sind wunderschöne Tiere, Ponys sind noch dazu niedlich.

- Ich werde lernen, mit dem Lasso mindestens so gut umzugehen wie der Mann mit dem Hut. Das ist echt cool!

- Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, auf ein Tier zu schießen. Aber mit einem Hirsch durch den Wald zu jagen, könnte ganz lustig sein.

- Auch wenn ich meinem Drang, einen Cowboy-Hut zu kaufen, hier nicht nachgegeben habe, werde ich mir doch dringend einen anschaffen müssen. Und auch Lederschuhe, einen Sattel, und ein Pferd …

- Die besten Würste macht mein Großvater in Mähren, die zweitbesten gibt es in Hannover.

- Die Deutschen sind kulturvolle und anständige Menschen. Ich habe mich selbst in dieser Menschenmenge wohl gefühlt, obwohl ich sagen muss, dass das ständige Einander-den-Vorrang-geben und Sich-Entschuldigen für kleine Rempeleien ganz schön zeitraubend ist.

- Die Organisation der ganzen Veranstaltung war von unglaublicher Perfektion. Zwei Polizisten haben sogar den Verkehr auf der Autobahn gestoppt, nur damit ich bequem vom Parkplatz herausfahren konnte.

- Ich habe meine Kenntnisse beträchtlich erweitern können, hinsichtlich dessen, was man alles braucht, wenn man Pferde halten will, oder auf die Jagd gehen will oder zu Pferd auf die Jagd reiten will …..

P.S.: Den Hut habe ich mir schließlich am Abend noch übers Internet bestellt. 

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