Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Beuys in der Tschechoslowakei
Der bekannte unbekannte Joseph Beuys

Joseph-Beuys-Poster für eine Vortragstournee durch die USA: Energy Plan for the Western Man, 1974, organisiert von dem Galeristen Ronald Feldman, New York
Joseph-Beuys-Poster für eine Vortragstournee durch die USA: Energy Plan for the Western Man, 1974, organisiert von dem Galeristen Ronald Feldman, New York | © Ronald Feldman Fine Arts / CC BY-SA 3.0

Eingefahrene Modelle des menschlichen Denkens zu verändern – das war von jeher die künstlerische Absicht von Joseph Beuys, einer der herausragenden Künstlerpersönlichkeiten der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Unermüdlich war er bestrebt, künstlerische Kreativität in alle Bereiche des Lebens einzubringen, denn er war überzeugt davon, dass alle Menschen ohne Unterschied an ihr teilhaben können.  

Von Olga Staníková

Als Jindřich Chalupecký im Sommer 1968 in der Prager Špála-Galerie die Ausstellung Westdeutsche und West-Berliner Avantgarde für Lidice zeigte, waren hier auch Werke von Joseph Beuys vertreten. Der andeutende Charakter von Beuys’ Zeichnungen machte damals auf die Öffentlichkeit mindestens einen ungewohnten Eindruck. In den 1970er und 1980er Jahren gab es für die tschechische und slowakische Öffentlichkeit fast keine Möglichkeit, Arbeiten internationaler zeitgenössischer bildender Künstler kennenzulernen, und wenn doch, dann fand dieses Kennenlernen vermittelt anhand kurzer Informationen und Reproduktionen von Werken in Kunstzeitschriften und Katalogen statt. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass Beuys in der Tschechoslowakei lange unbekannt war.

Grundsätzlich veränderten sich die Möglichkeiten für die Rezeption ausländischer und damit auch der deutschen Kunst erst nach dem Fall des kommunistischen Regimes. Die erste selbstständige Ausstellung mit Werken von Joseph Beuys in der Tschechoslowakei fand Ende 1991 / Anfang 1992 im Prager Kinsky-Palais statt, also erst fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers. Unter dem Titel Joseph Beuys. Zeichnungen, Objekte, Graphiken wurde sie damals von der Nationalgalerie gemeinsam mit dem Institut Auslandsbeziehungen in Stuttgart veranstaltet. 

Schritt für Schritt zu Beuys 

In den folgenden Jahren waren Beuys’ Werke in Tschechien gleich in mehreren Gruppenausstellungen, auf denen wertvolle Sammlerkollektionen präsentiert wurden oder in denen eine bestimmte Schaffensepoche oder eine bestimmte Aktivität der Fluxus-Bewegung vorgestellt wurde, zu sehen. Eine Besonderheit stellen Beuys’ Kollektionen von Objekten und Dokumenten dar, die sich dauerhaft in Sammlungen tschechischer Künstler befinden. Ende 1995 / Anfang 1996 wurde im Prager Haus Zur schwarzen Muttergottes (U Černé Matky Boží) eine interessante Kollektion von Werken der Fluxus-Bewegung aus den Sammlungen des Ehepaars Knížák ausgestellt und Beuys’ Arbeiten denen anderer Künstler aus der Fluxus-Bewegung gegenüberstellt. Die Möglichkeit zum Vergleich des Schaffens tschechischer Künstler mit dem Schaffen internationaler Künstler aus unterschiedlichen Zeitperioden des 20. Jahrhunderts bot 2001 die Ausstellung Objekt/Objekt. Metamorphosen in der Zeit, die sich vollständig auf die unterschiedlichen Herangehensweisen der Künstler an ihre Objekte konzentrierte. Fünf Jahre später zeigte eine Ausstellung deutscher Kunst der zurückliegenden 40 Jahre in der Galerie der Hauptstadt Prag den gewaltigen Einfluss von Joseph Beuys auf die deutsche und die internationale Nachwuchsgeneration.
 
„Die Sichtweise von Joseph Beuys bewegte sich stets zwischen zwei Extremen – zwischen absolutem Unverständnis und vorbehaltloser Bewunderung. Seine Arbeiten trugen keiner Tradition Rechnung, furchtlos machte er öffentlich auf Probleme der Zeit aufmerksam, und angesichts seiner originellen Handlungsweisen gab es niemanden, der dazu keine Meinung gehabt hätte. Die Organisatoren der Ausstellung mussten sich auch dieser schwierigen Tatsache stellen. Umso mehr sind deren Anstrengungen für die Veranstaltung der ersten komplexen Ausstellung von Beuys’ Werken in der damaligen Tschechoslowakei zu würdigen“, schrieb die Kunsthistorikerin Věra Jirousová im Katalog der vorstehend erwähnten Ausstellung im Kinsky-Palais in Prag. 

Multiples als Stücke der Seele des Künstlers

Auf die nächste Solo-Ausstellung von Werken von Joseph Beuys musste Prag einige Jahre warten. Erst 2006 wurde im Museum Kampa eine umfangreiche Kollektion von Beuys Multiples und Druckgrafiken ausgestellt, eine Leihgabe des Kunstmuseums Bonn, die diesem wiederum von der Familie des Kunstsammlers Günter Ulbricht zur Verfügung gestellt worden waren. Diese Ausstellung war insbesondere für junge Menschen von Bedeutung, denn sie konnten sich hier beim Betrachten Zusammenhänge vor Augen führen und erkennen, dass die Gedanken, die der Künstler mit seinen Werken zum Ausdruck gebracht hat, von dauerhafter Gültigkeit sind. Gerade mit Hilfe seiner Multiples, also künstlerischer Arbeiten, die aus einer bestimmten Anzahl von seriell hergestellten Objekten bestehen, wollte Beuys die Menschen erreichen und in jedem Einzelnen von ihnen den Künstler ansprechen.  
 
Die Idee, in Serie hergestellte gleiche Objekte als Kunstwerke zu erklären und zu signieren, stammt nicht originär von Beuys. Vielmehr kam 1914 schon Marcel Duchamp auf diesen Einfall, als er seinen Flaschentrockner zum Kunstwerk erhob. Wogegen sich jedoch die Geste Duchamps auf Überlegungen zum Thema Original und Reproduktion bezog, sah Beuys in seinen Multiples vor allem ein riesiges Potenzial zur Verbreitung der eigenen Gedanken. Indem sie Energieüberträger zwischen Künstler und Gesellschaft waren, können sie wie eine Batterie fungieren, die im Bewusstsein der Menschen Impulse und Anregungen auslöst, und das auch über den Tod ihrer Schöpfer hinaus.

Im Laufe der Jahre vervielfältigte Beuys seine eigenen Werke zum Teil bis zu tausendfach; seinen eigenen Aussagen zufolge habe er jedes einzelne Objekt nicht nur eigenhändig signiert, sondern auch eigenhändig angefertigt. Unter Multiples rechnete er, neben Objekten, auch Drucke, Fotografien, Flyer, Tonbänder, Filme, Videoaufzeichnungen... Multiples spielten nicht nur für die Verbreitung von Beuys’ Werk eine große Rolle, sondern wurden auch zu Gegenständen des Kunsthandels. Beuys selbst betrachtete Multiples als den zentralen Teil seines Schaffens. In einem Gespräch mit dem Kunstsammler Günter Ulbricht sagte Beuys einmal: „Wenn Ihr alle meine Multiples habt, dann habt Ihr mich ganz.“   
 
Beuys war kein Verfechter der Museumspraxis, wo das Kunstwerk, isoliert von den Menschen, ausgestellt ist und meistens nur von der Fachöffentlichkeit betrachtet wird. Er wollte, dass seine Werke für alle Bevölkerungsschichten intuitiv verständlich sind. Im Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens stand für ihn immer die Frage Was ist Kunst? Mit dieser Frage versuchte er die Menschen anzuregen, über die Kunst als solche nachzudenken. Im Laufe der Zeit erzielte Beuys dank seiner unbeugsamen Anstrengungen beträchtlichen Einfluss und starke Wirkung auf die neue Künstlergeneration, und das nicht nur in seiner näheren Umgebung und deutschlandweit, sondern auch weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Ohne es angestrebt zu haben, wurde er schon zu Lebzeiten zur Legende. Beuys´ Vermächtnis spricht aus seinen Werken bis heute zu uns, sind doch die Verknüpfung von Kunst und Gesellschaft und die Warnung vor den ökologischen Risiken unserer heutigen Lebensweise nach wie vor ständig präsente Themen.  

Weitere artikel zum thema:

Milan Knížák: Mein Leben mit Beuys

 
 

Top