Reportagen
Blitze überm Ozean

Thomas und Erika Mann, 1938
Thomas und Erika Mann, 1938 | Quelle: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Erika Mann, Aufruf zum Boykott deutscher Waren, 15. März 1937 im Madison Square Garden

Bei allem, was wir gegen Hitler tun und planen, sollten wir immer seine Psyche, seine hysterisch-verletzliche, manisch-labile Gemütsart mit in Betracht ziehen. Das Nazi-Reich steht und fällt mit Hitler. Hitler steht und fällt mit seinem Selbstbewußtsein, mit der Überzeugtheit davon, daß er, – Hitler, mächtig, herrlich, glücksbegünstigt und weithin geachtet, nun einmal dazu berufen ist, nach Deutschland die ganze Welt seinem diktatorischen Willen zu unterjochen …

Mißerfolg aber, Mißtrauen und Nichtachtung sind sehr dazu geeignet, das Selbstgefühl der aggressiven Mimose ins Wanken zu bringen, – denn es ist auf Sand gebaut. … Und sollte es gelingen, durch konsequenten Boykott der deutschen Waren dem Nazimachthaber zu zeigen, daß die Welt nichts von ihm hält und daß sie wünscht, er möge sich entfernen, das wäre bereits ein großer und wichtiger Schritt in Richtung dieser Entfernung. … Der Boykott deutscher Erzeugnisse bedeutet eine entscheidende Schädigung des Dritten Reiches, das ohne Ausfuhr seiner eigenen Produkte die Rohstoffe nicht einführen kann, die es braucht; die es nicht dazu braucht, um sein Volk zu ernähren und dessen Lebensstandard menschenwürdig zu halten (das Volk hungert, und sein Lebensstandard ist auf Kriegsniveau gesunken!), sondern die es benötigt, um die Schlachten vorzubereiten, mit denen es den Frieden der Welt bedroht.
 

Erika Mann, Frauen im Exil, 1938

In dem Flüchtlings-Meer, das sich, aus den Diktaturländern kommend, über die Erde ergießt, finden sich viele Frauen. Es sind mehr Frauen unter den Flüchtlingen, als dem Prozentsatz entspräche. Denn nimmt man an, daß außer den aus Rassegründen in Deutschland (und nun auch in Italien) Verfolgten, in der Hauptsache die politisch Aktiven es sind, die von Diktatoren die Kerker- und Todesstrafe zu fürchten haben, und bedenkt man ferner, wie wenige Frauen (wiederum prozentual) offiziell aktiv politisch tätig waren, dann überrascht die Zahl der weiblichen Exilierten durch ihre Größe. Überdies gibt es unter den exilierten Männern viele, die auf Zureden ihrer Frauen die Heimat verließen. Und fast scheint es, als ob die Frauen im allgemeinen schneller und gründlicher als die Männer zu der Erkenntnis gekommen seien, daß in der faschistischen Diktatur zu leben qualvoll und schändlich sei.
 

Erika Mann, Gastgeber Amerika, 1941

Dreieinhalb Jahre lang, vom März 1933 bis zum September 1936, war eine Reihe von europäischen Ländern mein Gastgeber: die Schweiz, Österreich, die Tschechoslowakei, Holland, Frankreich, das winzige Luxemburg. Ich mochte sie alle, und ich bin ihnen allen dankbar. Und doch bin ich dort immer ein Gast, ein Fremder, ein Ausländer geblieben. War das meine Schuld? Ich glaube nicht. Denn nichts hätte mich glücklicher gemacht, als ein Gleichberechtigter, ein Freund und Mitverteidiger der bedrohten Demokratie von diesen Ländern akzeptiert zu werden, in denen ich eine Weile bleiben durfte. Nichts wäre befriedigender als ihre Erlaubnis gewesen, mich wie zu Hause zu fühlen. Seit ich am 12. März 1933 Deutschland verließ, habe ich nirgendwo zu irgendeinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, wirklich zu Haus zu sein – bis ich am 19. September 1936 in die Vereinigten Staaten einreiste.
 

Quelle: Erika Mann: Blitze überm Ozean. Aufsätze, Reden, Reportagen. Rowohlt, 2001.
 

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