Jahre 1990–1996
Die schönste Aufgabe
Am Tag nach der Wiedervereinigung, am 4. Oktober 1990 wurde das Goethe-Institut im Gebäude der ehemaligen DDR-Botschaft eingerichtet. Jochen Bloss, der Gründungsdirektor des Goethe-Instituts in Prag erinnert sich an die Zeit, als selbst der Staaspräsident bei uns zu Gast war.
Von Jochen Bloss
Nach der Wende gab es auf beiden Seiten der Grenze Neugierde, den Wunsch nach mehr Informationen, ein starkes Interesse und eine unglaubliche Offenheit. Nach der Samtenen Revolution schien alles möglich. Die Aufbruchsstimmung war unvergesslich in einem Land mit einem Dramatiker und Menschenrechtler als Präsidenten, der weltweit Anerkennung genoss. Er besuchte ein paar Mal unsere Veranstaltungen.
Das Goethe-Institut in Prag wurde zwar am 4. Oktober 1990 gegründet, allerdings erst am 3. Februar 1993 von Kulturminister Milan Uhde und Außenminister Klaus Kinkel offiziell eröffnet. Durch Vermittlung von Václav Havel konnten wir dort einziehen. Um die Zwecke eines Kulturinstituts zu erfüllen, war ein zweijähriger totaler Umbau vonnöten.
Die erste tschechische Mitarbeiterin war Štěpánka Kudrnáčová als meine Sekretärin. Über drei Jahrzehnte haben wir außer mit ihr noch mit zehn anderen tschechischen Freunden und Bekannten Kontakt, schreiben und treffen uns.
Die erste Veranstaltung war bereits im Dezember 1990; eine Lesung des Autors Gerhard Köpf. Unser berühmtester Gast im Kulturprogramm war wohl Golo Mann, der Autor der Wallenstein-Biografie, außerdem die Nobelpreisträger Günter Grass und Herta Müller, sowie Martin Walser und Peter Härtling. Literatur und Literaturveranstaltungen spielten eine große Rolle. Wir veranstalteten drei große, dreitägige internationale Colloquien über Franz Kafka, Rainer Maria Rilke und deutschsprachige Literaturgeschichte im Prager Kontext, jeweils dokumentiert in wissenschaftlichen Publikationen.
Einen ganzen Monat stellten wir die gesamte Kulturszene Berlins unter dem Titel Dnes a tady mit Musik, Theater, Kunst und Literatur vor. Der Autor Tankred Dorst führte sein Stück Herr Paul auf Tschechisch auf.
Sehr wichtig waren die regelmäßigen Kunstaustellungen in der Mittelböhmischen Galerie von Jan Sekera zusammen mit dem New Yorker Kunstsammler Serge Sabarsky; unter anderem mit Max Ernst, Emil Nolde, Lyonel Feinigner und Joseph Beuys. Fruchtbare Beziehungen pflegten wir durch mehrere Seminare mit der tschechischen Ex-Stipendiat*innen-Vereinigung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Meine Erinnerungen an bedeutende Tschechen sind besonders von Prof. Hugo Rokyta, Bischof Václav Malý und dem Exbotschafter František Černý geprägt. Das Presse-Echo und die Wahrnehmung in der Prager Öffentlichkeit waren stets groß. Es war beruflich meine interessanteste und schönste Aufgabe.
Kommentare
Kommentieren