„Zum Comic kam ich aus Versehen“
Jaromír Švejdík alias Jaromír 99, Musiker, Künstler und bekannt geworden als Zeichner des Comics „Alois Nebel“, hat unlängst Kafkas Roman „Das Schloss“ für den Comic adaptiert. Im zweiten Teil des Interviews spricht der Zeichner über seinen Werdegang, seine Pläne und warum es der Comic in Tschechien so schwer hat.
Jaromír, wie war eigentlich ihre erste Begegnung mit Comics?
Ich habe mit Comics furchtbar spät angefangen, eigentlich eher aus Versehen. Als Kind habe ich die Volkskunstschule besucht, fünf Jahre Geige, dann wechselte ich in der fünften Klasse heimlich zur Bildenden Kunst. Da habe ich die Grundlagen gelernt, aber schließlich überwog doch die Musik, der ich mich immer stärker widmete. Als wir dann mit meiner Band Priessnitz ungefähr am vierten Album arbeiteten, waren wir so arm, dass wir uns noch nicht mal einen Designer leisten konnten, der uns das Cover gestaltet. Da fiel mir ein, dass ich das eigentlich mal gelernt hatte und dass mir immer Cover wie beispielsweise die von Faith No More gefallen haben. So bin ich zum Comic gekommen und habe dann das Cover für unser Album gestaltet. Als wir dann einen Videoclip drehten, fiel das irgendeinem Werbemenschen auf, und ich fing dann an, Storyboards für Filme und Werbespots zu zeichnen. Somit bekam ich es professionell mit sequentieller Kunst zu tun und zeichnete Drehbücher – da ist der Schritt zum Komik nicht mehr weit.
Suchen Sie sich ihre Themen meist selbst aus oder bekommen Sie Angebote?
Als wir an Alois Nebel arbeiteten, war das ein bisschen so wie in einer Band. Ich hatte die Idee, einen Comic zu machen, Jarda Rudiš [Jaroslav Rudiš ist ein tschechischer Schriftsteller, Dramatiker und Drehbuchautor, der auch in deutscher Sprache schreibt. Anm. d. Red.] sagte, er hätte eine Figur, die vielleicht gut wäre. Ich sagte wiederum, dass das im Jeseníky-Gebirge spielen muss, wo die Eisenbahn ist. Der Entstehungsprozess war also so eine Art Ping-Pong. Dann arbeitete ich am Bomber, das war mehr so eine eigene Sache, eher introvertiert und atmosphärisch als erzählend. Und Kafka war wiederum ein Angebot, bei dem ich wusste, dass das hektisch und chaotisch wird, dass ich damit eine Menge Zeit verbringe und dass es sich eigentlich nicht lohnt, aber dass das die Schritte sind, die man machen muss und Angebote, die man nicht ablehnen kann, wenn man weiterkommen will. Jetzt habe ich die Absicht, einen Comic ohne Worte zu machen, in dem die Geschichte nur durch die Bilder erzählt wird.
Hat das in Tschechien schon mal jemand gemacht?
Ja, aber meistens sind sie nur kurz – keine Graphic Novels von 100 Seiten oder große Geschichten mit einem Handlungsbogen. Im Ausland ist das aber nichts Ungewöhnliches. Mal sehen, was passiert, vielleicht komme ich zur Buchvorstellung von Das Schloss nach London und bekomme dort Dostojewski oder Nietzsche angeboten (lacht).
Wie sieht es mit der Konkurrenz im Bereich Comic aus?
Wie überall sonst auch, nur dass es in Tschechien für Comics kein Geld gibt, weshalb nicht so viel entsteht. Aber dass es richtig Konkurrenz gäbe, kann man eigentlich nicht sagen, der Markt ist nicht sonderlich groß. Wenn man 1000 Exemplare eines Comics verkauft, dann gilt das schon als Bestseller. Und dass uns mit Alois Nebel ein Wunder gelungen ist, das ist eine ganz andere Geschichte. Da haben wir die Werbetrommel gerührt, da geht es um die Geschichte, um die Verbindung mit der Musik, dem Film – das alles zusammen hat geholfen und sich gegenseitig unterstützt. Seit ich Comics mache, hat sich allerdings eine Sache geändert: es ist keine ignorierte Randerscheinung mehr, sondern ein akzeptiertes Genre. Und wenn ich schaue, wie das international läuft, dann ist das wie mit der Musik: Die Konkurrenz ist riesig und die Leute sind ungemein fleißig. Wenn ich die Arbeit von bestimmten Autoren verfolge, dann sind das junge Typen, die schon einen Film und 20 Bücher gemacht haben, zusätzlich illustrieren und dazu noch in der Welt rumreisen und überall Ausstellungen machen. Ich glaube es geht um diesen Fleiß, diese harte Arbeit, und das ist bei uns nicht vorhanden.
Glauben Sie wirklich?
Vielleicht doch, aber wir haben hier das Pech, dass wenn ein Mensch etwas kreiert, dann ist das Feedback nicht so, wie er es eigentlich bräuchte. Ich kenne bildende Künstler, die richtig frustriert sind und einfach aufgehört haben. Es ist immer besser, wenn es irgendein Feedback gibt, denn das gibt einem den Mut auch mal über die eigenen Grenzen zu gehen. Comics fristen bei uns immer noch ein Schattendasein. Der Comic gilt als eine Art Disziplin für Kinderbücher, und die Autoren genießen kein Prestige. Beim Film reicht es, irgendwas abzuliefern und gleich steigt man im Ansehen, als hätte man fünf tolle Alben herausgegeben und was auch immer Großartiges gezeichnet. Deshalb denke ich, dass die Leute hier bis jetzt noch nicht ausreichend motiviert sind, sich damit zu befassen.
Haben Sie schon neue Ideen, die Sie verwirklichen möchten?
Mit Jarda Rudiš haben wir so eine Idee, über die wir ständig reden, aber wir sind nicht in der Lage das durchzuziehen. In Bílý Potok (Weißbach) im Altvatergebirge wurde der berühmte Schauspieler Rudolf Rittner geboren. Er ging nach Wien, um dort Theater zu spielen, stand dann in Berlin auf der Bühne, spielte in Stummfilmen mit. Mit 40 kehrte er in seine Heimat zurück, baute sich dort ein kleines Schlösschen und wollte Folkloredichter seiner Heimatregion werden. Allerdings wurde er von den Eingesessenen nicht als der Ihre akzeptiert. Schließlich ist er erst im Alter in seiner Heimat sesshaft geworden, als er schon psychisch krank war. Ich denke, dass das eine tolle Geschichte wäre – das Berlin der 20er Jahre, die Verbindung zum Sudetenland und dieses ständige Auf-der-Flucht-Sein. Ich denke, dass gerade solche Projekte in Deutschland positive Resonanz haben könnten. Nur bei uns in Tschechien bekommt man eben nicht das Geld zusammen, damit ich mich ein halbes Jahr oder ein Jahr hinsetzen und zeichnen könnte. Comics nehmen furchtbar viel Zeit in Anspruch, wenn man es ordentlich macht. Aber wenn man etwas machen will, dann macht man das schließlich auch. Einfacher wäre es natürlich, wenn man das als Auftrag bekommen würde, aber das funktioniert in Tschechien bisher nicht.
Vielleicht ändert sich das einmal…
Kann sein, wenn die Leute solche Ideen wie in England haben, sie begreifen, dass Kafka ein Weltautor ist, und wenn man es in englischer Sprache macht, dann ist vollkommen egal, ob das in Tschechien oder in Vietnam herausgegeben wird, weil das auf jeden Fall Verbreitung findet. Aber vor allem müssen die Stoffe interessant sein. Ich denke, dass die lokal verankerten Themen für alle viel interessanter sind, als sich an irgendwelchen Weltfriedens-Dramen abzuarbeiten.