Kultur

„Kafka ist witzig“

Self Made HeroEin Ausschnitt aus dem Comic „ Das Schloss“. © Self Made Hero

© Self Made Hero

Franz Kafka ist zweifellos ein Schriftsteller, den die ganze Welt kennt. Sein Roman „Das Schloss“ ist eines seiner bekanntesten Werke. Jaromír Švejdík alias Jaromír 99, Musiker, Künstler und bekannt geworden als Zeichner des Comics „Alois Nebel“, bekam das Angebot, „Das Schloss“ als Comic zu zeichnen. Obwohl das Buch zunächst in einem britischen Verlag erscheinen wird, verarbeitete Jaromír in dem Buch Motive der Region, die ihm vertraut ist und die er so sehr mag – das Altvatergebirge (Jeseníky). Die Kafka-Bearbeitung war für ihn eine große Herausforderung. Es war ein Angebot, das man nicht ablehnt.

Jaromír, wie sind Sie zu dem Auftrag, Kafkas „Schloss“ als Comic zu zeichnen, gekommen?

Ich wurde vom britischen Verlag Self Made Hero angesprochen, ob ich nicht daran Interesse hätte. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, aber eigentlich auch wieder nicht so sehr. Meine Ambition ist es, den tschechischen Comic international bekannt zu machen, und das war ein Weg. Außerdem hatte ich gerade einen Film und ein paar Musikprojekte abgeschlossen und daher plötzlich Zeit, also kam mir das gelegen. Und als ich in Erfahrung brachte, was Self Made Hero eigentlich für ein Verlag ist, war mir klar, dass das gut wird. David Mairowitz [Amerikanischer Schriftsteller, der unter anderem das Buch „Introducing Kafka“ (1993) herausgab, das vom bekannten Comic-Zeichner Robert Crumb illustriert wurde, Anm. d. Red.] erzählte mir dann, dass er in Deutschland und Frankreich lebt – in Deutschland kaufte er sich den Comic Alois Nebel und in Frankreich sah er den gleichnamigen Film. Er machte Emma Hayley, die Eigentümerin des Verlags, auf mich aufmerksam, und die schrieb mir dann. Es war also eigentlich ganz einfach.

Kann man sagen, dass ihnen „Alois Nebel“ in dieser Hinsicht geholfen hat?

Was kommerzielle Angebote angeht, eigentlich eher nicht, das funktioniert in Tschechien nicht besonders. Eher denken alle, ich sei so teuer, dass sie mich nicht mehr bezahlen können. Vielleicht gab es da auch einige Angebote, aber wenn ich an etwas arbeite, dann lehne ich andere Sachen meistens ab. Es ist wahr, dass Alois Nebel weitere Türen öffnet, weil er international erfolgreich ist – ob nun als Buch oder als Film. Und Kafka? Das ist ein ganz globaler Markt. Darüber hinaus ist das Comic auf Englisch, was für mich ein kleines Problem war. Was Fremdsprachen angeht, bin ich furchtbar untalentiert.

Ein Ausschnitt aus dem Comic „ Das Schloss“. © Self Made Hero

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Wie sind sie bei ihrer Arbeit am Kafka-Comic vorgegangen?

Als erstes bekam ich von David Mairowitz ein storyboard. Er kam nach Prag, und wir sprachen darüber, welches Verständnis wir jeweils von Kafka haben. Dabei waren wir uns einig, dass das alles gar nicht so depri ist, wie es häufig dargestellt wird. David sagte mir, dass Kafka in deutscher Sprache viel witziger als in anderen Sprachen ist, weil das in so einer korrekten Beamtensprache geschrieben ist. Wir einigten uns darauf, dass das Ganze ins Komisch-Groteske gehen könnte. Das war der erste Impuls, auf dessen Grundlage ich begann Figuren zu suchen und mit ihnen ein Casting wie beim Film machte. Am Anfang ließ ich mir das immer absegnen, um nicht die falsche Richtung einzuschlagen. Ich zeichnete also die Hauptfiguren wie K. und Olga. Und David sagte mir dann, wie er sie sich vorstellen würde. Zu Beginn haben wir viel diskutiert – ich habe K. als eine Art bodenständigen Landvermesser gesehen, David eher als Kafka.

Die Ähnlichkeit ihres K. mit dem jungen Kafka ist wirklich nicht zu leugnen. Gibt es dort eine tatsächliche Verbindung?

Ja, ich habe K. als Kafka in einem Alter konzipiert, dass er nicht mehr erlebte, sagen wir im Alter von 35 oder 40 Jahren. Das storyboard lag in literarischer Form vor, deshalb gab es ausreichend Möglichkeiten, eigene Vorstellungen einzubringen. Immer wenn ich zehn oder 15 Seiten geschrieben hatte, schickte ich sie David, und meistens einigten wir uns dann. Viele Figuren entdeckte ich zum Beispiel auf dem sudetendeutschen Friedhof bei uns in Branná. Und genauso wie man Locations für einen Film sucht, suchte ich diese für mein Buch im Altvatergebirge, da ich die Gegend einigermaßen kenne. Vorwiegend inspirierten mich Branná, Javorník und das dortige Schloss, das ich ein wenig modifiziert habe. Dann fing ich an, dass Storyboard zu zeichnen, scannte es ein und änderte dann kaum noch etwas, also ging das im Endeffekt relativ schnell.

Wie lange haben Sie also schließlich an Kafkas „Schloss“ gearbeitet?

Die handwerkliche, harte Arbeit daran dauerte etwa sieben Monate, von September bis April. Aber schon seit dem Sommer 2012 hatte ich viel gelesen, mich mit dem storyboard beschäftigt, viele Skizzen angefertigt und mir diverse Notizen gemacht, wie die Figuren aussehen werden. Ich schaute mir Verfilmungen an und setzte mich auch mit der Art und Weise auseinander, wie zu der Zeit, als Kafka seinen Roman schrieb, gezeichnet wurde. Die Atmosphäre seiner Bücher ist schon sehr spezifisch, und ich wollte mich dem irgendwie annähern. Außerdem habe ich mir eine spezielle Technik ausgedacht, und zwar Scherenschnitte. Das ist für Comics ungewöhnlich, außerdem kann man damit – darauf wurde ich gleich zu Beginn hingewiesen – Details nur schwer gestalten. Nach und nach habe ich das also durchgearbeitet und schließlich festgestellt, dass das eine tolle Geschichte ist, zwar keine einfache, aber eigentlich eine ganz witzige.

Und hat Ihnen das Spaß gemacht?

Mich hat das total begeistert. Klar, die Arbeit erschlägt einen, wenn das mehrere Monate dauert. Wenn es weniger Stress wäre, dann wäre es noch besser. Einige Sachen würde heute etwas anders machen, aber das ist immer so.

Ein Ausschnitt aus dem Comic „ Das Schloss“. © Self Made Hero

© Self Made Hero

Haben Sie irgendein Limit, wie viel Stunden Sie am Tag arbeiten?

Am liebsten habe ich es, wenn ich so gegen neun ins Atelier komme und um sechs oder sieben Schluss mache. Ich versuche das so einzuhalten, aber natürlich kommt es zu Komplikationen und die Zeit wird eng. In der Endphase habe ich dann schon von neun bis neun gearbeitet, bei den letzten 30 Seiten auch mal bis Mitternacht. Aber ich habe so eine Vorgabe, dass ich täglich eine Seite zeichne, und das haut auch qualitätsmäßig hin.

Wie sind Sie damit umgegangen, dass die Geschichte ein offenes Ende hat?

In unserem Buch endet das so, dass K. völlig erschöpft und erledigt ist und beinahe stirbt. Er sagt etwas, aber wir wissen nicht was, es gibt nur eine leere Sprechblase. Komisch wird es dadurch, dass er bei dem gleichen Typen endet, bei dem er auch zu Anfang war. Es ist so ein ewiger Kreis. Meine eigene Interpretation ist die, dass Männer nach Macht streben, versuchen, sich ins Schloss vorzukämpfen, um dort eine Funktion zu bekleiden und dass Frauen Männer mit Macht begehren. Und so ist das meiner Meinung nach bis heute.

Wie kommt das, dass ausgerechnet ein britischer Verlag Kafkas Schloss herausgibt? Deutschen oder Tschechen ist er doch um einiges vertrauter.

In Deutschland wird das auf jeden Fall erscheinen, irgendwann im Januar, und es wird dazu auch große Ausstellungen geben. Das Ganze wird wohl unter der Schirmherrschaft von David Mairowitz stattfinden, auch eine französische Künstlerin wird sich vorstellen sowie Robert Crumb und Das Schloss. Die Ausstellung wird dann in diversen deutschen Literaturhäusern Station machen, und ich gehe davon aus, dass sie auch in Prag zu sehen sein wird. In Tschechien wird das höchstwahrscheinlich der Verlag Labyrint herausgeben, erscheinen wird es im Rahmen des Festivals Komiksfest. Es geht natürlich immer um die Idee. Self Made Hero ist auf solche Literaturadaptionen spezialisiert und es war deren Idee. Der deutsche Markt scheint zwar groß zu sein, aber als wir uns dort mit Alois Nebel bewegten, stellten wir fest, dass dort 2000 verkaufte Exemplare einen Comic-Bestseller bedeuten, genauso wie bei uns. Das Problem ist, dass niemand dafür bezahlt und umsonst will das niemand machen.

„Jetzt habe ich so eine Idee einen Comic ohne Worte zu machen, wo die Geschichte nur über das Bild erzählt wird“, sagt Jaromír 99. Aber er bleibt offen für neue Aufträge: „Mal sehen, was passiert, vielleicht bekomme ich bei der Vorstellung des Schlosses in London Angebote, Dostojewski oder Nietzsche zu machen.“ Darüber und wie Jaromír 99 zum Comic kam und wie er die tschechische und internationale Comic-Szene sieht, erfahrt ihr im zweiten Teil des Interviews.

Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
September 2013

    Das Schloss

    Den Roman Das Schloss schrieb Franz Kafka 1922, das Buch erschien aber erst vier Jahre später, nach seinem Tod. Da er das Werk nicht vollendete, hat die Geschichte ein offenes Ende. Held ist der Landvermesser K., der sich vergeblich darum bemüht, ins Schloss zu gelangen um die Beamten zu konsultieren, welche Arbeit er dort zu tun habe. Am Ende stirbt er offenbar an Erschöpfung, erst dann bekommt er die Nachricht, dass er endlich das Schloss betreten darf. Die Geschichte symbolisiert den unendlichen und nahezu aussichtslosen Kampf des Einzelnen gegen die Bürokratie.

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