Kreative Amanita
Entgegen verbreiteten Vorurteilen sind nicht alle Computerspiele blutig und gewalttätig. Die Helden des Adventure-Genres beispielsweise setzen sich nicht mit Muskelkraft und Maschinengewehren durch, sondern befreien sich mit Intelligenz und Cleverness aus jeder schwierigen Situation. Solche Adventure-Games sind die Domäne der unabhängigen Brünner Spielerentwickler von Amanita Design. Sie haben dabei einen ganz eigenen Zugang zum Genre. Dadurch verfügen sie innerhalb der kaum zu überblickenden Flut an Computerspiel-Produktionen über einen markanten Widererkennungswert.
Wenn das Hirn die Waffen besiegt
Adventure ist ein ganz eigenes Computerspiel-Genre, das sich von den anderen deutlich unterscheidet. Statt rasender Action stehen eine Geschichte und das Lösen von Rätseln im Vordergrund. Die Spieler schlüpfen in die Rolle einer Figur, entdecken eine unbekannte Welt, führen Dialoge mit deren Einwohnern, sammeln Gegenstände und lösen mit Hilfe von Kreativität und Logik Probleme, mit denen sie in der Spielwelt konfrontiert werden.
Adventures sind aufgrund des geringeren Spieltempos, der Notwendigkeit intensiven Nachdenkens und der allgemein eher spezifischen Zielgruppe so etwas wie die Outsider unter den Computerspiel-Genres. Allerdings kann man derzeit innerhalb der unabhängigen Computerspielszene von einer Art Comeback des Genres sprechen. Gerade in Tschechien verfügen diese Spiele aus der Perspektive der Eigenproduktionen über eine starke Tradition. Hier entstanden so populäre Titel wie die Serie Polda (Der Bulle) , Dračí historie (Die Drachen-Story) , 7 dní a 7 nocí (7 Tage und 7 Nächte) , Gooka oder Posel smrti (Bote des Todes) . Gegenwärtig wird diese Reihe auch mit Spielen des Entwicklerteams von Amanita Design ergänzt, das einen ganz eigenen, charakteristischen Zugang zum Genre pflegt. Aus ihrer Werkstatt stammen so erfolgreiche Titel wie Samorost (2003), Machinarium (2009) oder Botanicula (2012). Chef-Designer Jakub Dvorský ist in Bezug auf die Zukunft von Adventures optimistisch: „Eine Zeit lang sah es so aus, als sei das Genre tot, aber jetzt stellt sich das schon ganz anders dar.“
Merkwürdige, aber schöne Amanita
Das charakteristischste an den Amanita-Spielen ist zweifelsohne die grafische Gestaltung. Für Adventure-Entwickler ist die Grafik ein ganz eigenes Markenzeichen. Oft reicht ein kurzer Blick auf die Spieloberfläche, und es ist klar, welches Entwicklerteam dahinter steht. Amanita bildet in dem Fall keine Ausnahme. Normalerweise tendieren Adventures entweder zu einer realistischen (z.B. Posel smrti) oder zu einer karikaturartigen Darstellung (z.B. Polda). Die Amanita-Games repräsentieren weder das eine noch das andere. Wenn man das Design der Spiele mit einem Kunststil vergleichen sollte, dann könnte dies am ehesten der Surrealismus sein. Allerdings keineswegs dieser schräge Surrealismus, vor dem sich Kinder mit Schrecken abwenden. Die Amanita-Spielwelten wirken nämlich ungemein niedlich und schön, ob es sich nun um eine technisierte Roboterwelt wie in Machinarium oder ein Universum voller anthropomorpher Pflänzchen wie in Botanicula handelt. Diese spezifische visuelle Form ist vermutlich der Hauptgrund, warum die Amanita-Spiele oft mit dem Prädikat „künstlerisch“ belegt werden.
Wie bereits erwähnt wurde, besteht das Prinzip von Adventure-Spielen darin, mit vorhandenen Mitteln und Kreativität bestimmte Situationen zu meistern. Das gilt natürlich auch für die Games aus der Amanita-Werkstatt. „Ich bemühe mich darum, originelle Aufgaben zu stellen und neue Sachen einzuführen, um den Spieler immer wieder zu überraschen“, sagt Dvorský. Machinarium steht in dieser Hinsicht den klassischen, zu Beginn erwähnten Adventure-Spielmechanismen nahe. Der Roboter Josef, der Hauptheld des Spiels, interagiert mit den Gegenständen in seiner Umgebung, sammelt sie, kombiniert, löst logische Denkaufgaben und überwindet somit Hürden. Botanicula funktioniert ein wenig anders. Hier gibt es gleich fünf zentrale Figuren – eine Gruppe von Wesen, die an Pflanzen erinnern. Jede dieser kleinen Figuren ist anders, und bei jedem Problem kommt es darauf an, dass der Spieler jenes Wesen auswählt, das in der Lage ist, das Problem zu lösen. Als Spieler kann man aber nicht nur die Figur bewegen, sondern auch die Umgebung aktivieren. Diese wirkt sehr dynamisch und lebendig – zum Beispiel reagieren auch kleinste Blätter auf leichte Berührungen mit dem Cursor.
Starke Geschichte ohne Worte
Ein weiteres Markenzeichen der Amanita-Spiele, das sie von anderen klassischen Adventures unterscheidet (und damit gleichzeitig die Sprachbarriere überwindet), ist die Abwesenheit von Dialogen. Dialoge mit den Figuren sind ein zentrales Element zahlreicher Adventure-Spiele, und genauso wie in der Literatur und im Film dienen sie dazu, die Geschichte voranzutreiben. Bei Amanita werden Dialoge durch unterschiedlichste Töne oder Gesten der Figuren ersetzt. Und wenn etwas wirklich Grundsätzliches mitgeteilt werden muss, öffnet sich eine Comic-Sprechblase, in der die Information durch eine entsprechende Zeichnung mitgeteilt wird.
Das Nichtvorhandensein von Dialogen bringt natürlich einige Einschränkungen mit sich. So sind die Geschichten nicht übermäßig verzweigt oder kompliziert. In Machinarium und Botanicula sind die Geschichten einfach, für jeden verständlich, dabei trotzdem interessant und im hohen Maße symbolisch. Vielleicht sind die Storys von Aminata gerade aufgrund dieses Minimalismus im Ergebnis so ansprechend und einnehmend.
Independent-Spiele
Die Spiele aus der Amanita-Werkstatt zeigen das große Potential der aktuellen unabhängigen Spielentwicklerszene auf. Auch Dvorský ist sich dieses Potentials bewusst: „Es gibt viele kleine Firmen, die äußerst interessante Spiele machen, und ich bin sehr gespannt, was sich aus dieser Independent-Szene noch so entwickelt.“ Unabhängige Spiele-Entwickler werden aus kreativer Sicht durch nichts eingeschränkt. Deshalb können sie Werke schaffen, die innovativ sind und bestehende Konventionen und Stereotypen überwinden – und damit auch großen Erfolg beim Publikum erzielen können. Die Spiele von Amanita Design sind weltbekannt und erhalten eine Auszeichnung nach der anderen. Bei einer kürzlichen Wohltätigkeitsaktion des Servers Humble Bundle wurde Botanicula hunderttausendfach verkauft. Man kann also mit Freude konstatieren, dass Computerspiele nicht zu den Medien gehören, wo die kreative Freiheit auf irgendeine Weise eingeschränkt wird oder originelle und innovative Werke nicht wertgeschätzt würden – Amanita Design ist dafür das beste Beispiel.