Gesprayte Träume
Seinen Tags und Mosaikherzen begegnet man bei einem Spaziergang durch das Zentrum von Liberec nahezu an jeder Ecke. Der Graffiti- und Streetart-Künstler Pezt ist ungemein produktiv, auch wenn er nach wie vor in einer halblegalen Sphäre tätig ist. Im Interview verrät der gebürtige Liberecer, wie der Kampf der Sprayer gegen die Polizei aussieht, und wie das persönliche Leben einen Sprayer bei seiner Kunst beeinflusst.
Sind Sie eigentlich Sprayer oder Writer?
Ich fühle mich als Mensch und durchschnittlicher Vandale.
Könnten sie ein wenig Ihre Unterschrift erklären? Die beiden ersten Buchstaben des Tags PEZT erinnern mich an Köpfe mit Irokesenschnitt oder den geflügelten Škoda-Pfeil, manchmal wieder an Hund und Katz … Bestimmt der konkrete Ort und die Inspiration, wie schließlich die Unterschrift aussieht?
Pezt macht eine Entwicklung durch. Am Anfang gab es Pest – das englische Wort für Schädling. Die Buchstaben gefallen mir auch einfach gut. Später habe ich mir eine Definition für die Buchstaben ausgedacht. So ist folgendes Motto entstanden: Potřeba Esteticky Zpracovat Téma (etwa: Die Notwendigkeit ein Thema ästhetisch zu verarbeiten). Die endgültige Gestalt der Bilder entsteht meistens erst als Improvisation an der Wand. Nur selten mache ich mir vorher eine Skizze. Nach einiger Zeit eignet man sich aber eine Art „Muster“ an und so gleicht oft ein Piece dem anderen.
Haben Sie gleich mit dem Sprayen ihres Pseudonyms begonnen? Dabei geht es wohl nicht nur um eine Belebung des öffentlichen Raums. Mich erinnert das ein wenig an einen Hund, der sein Revier markiert. Spielt der Versuch, einen bestimmten Raum zu beherrschen, eine Rolle?
Ich weiß gar nicht, womit man sonst anfangen sollte als mit dem Sprayen seines Pseudonyms. Also wahrscheinlich ja. Sicherlich spielt das Bemühen, möglichst präsent zu sein, also einen möglichst großen Raum zu „markieren“, eine große Rolle. Den wirklichen Versuch, den Raum zu beherrschen, sehe ich aber ganz woanders, zum Beispiel in den Hotdog-Buden im Tempel-Komplex von Karnak in Ägypten oder die gleichen Buden in dem Ort Hamr na Jezeře, an dem ich als Kind gerade die unberührte Natur, den Wald und das Wasser geliebt habe.
Wie hat sich Ihr Stil entwickelt? Mir sind unter anderem Außerirdische aus dem legendären Videospiel Space Invaders aufgefallen oder auch Motive des Emo-Stils. Gibt es beim Graffiti auch Modewellen?
Mein Stil entwickelte sich von einer Graffiti-Besessenheit zu einem Spiel mit dem öffentlichen Raum. Im Laufe der Jahre und mit zunehmenden Problemen haben sich meine Werte gewandelt. Heute geht es nicht mehr darum, der „König“ der Straße zu sein. Es geht mir wirklich eher ums Spiel. Invaders-Bilder haben – angelehnt an DEN Invader aus Frankreich – viele Leute auf der ganzen Welt gesprayt und vor mir auch ein paar Fans der legendären 8-Bit-Spiele aus Liberec.
Gehören Sie irgendeiner Gruppe an oder arbeiten Sie alleine?
Momentan gehöre ich keiner Gruppe an. Vor ein paar Jahren gab es eine Clique, wir waren die crew Cumpans. Das ist etwa sechs Jahre her. Meine Arbeit ist zweifellos von meinem Denken beeinflusst. Da spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass ich mit der Antifa und ihren Positionen sympathisiere.
Wie sehr spielt es für Ihre Arbeit eine Rolle, was sich gerade in ihrem persönlichen Leben abspielt? Ungefähr vor anderthalb Jahren haben Sie überall zweifarbige Herzen geklebt, die zwei Blickwinkel der Liebe darstellen, aber auf einmal haben Sie auf Facebook „R.I.P. Heart“ gepostet.
Die zweifarbigen Herzen entstanden am 14. Februar 2012. Ursprünglich war das nur ein Valentinstag-Geschenk an meine Freundin. Nach und nach habe ich dann realisiert, dass dieses Mosaik und dieses Zeichen der zwei sich beeinflussenden und genau zusammenpassenden Teile eine sehr viel breitere Ebene symbolisieren kann, beispielsweise gerade im Hinblick auf rassistische Vorurteile und verschiedene andere Aspekte des Lebens. Nach dem Ende der Beziehung wollte ich keine Herzen mehr kleben, aber gerade diese Mehrdimensionalität und gleichzeitig Klarheit und Einfachheit (das ist meine persönliche Meinung) dieses Emoticons hat mich überzeugt damit weiterzumachen.
Haben Sie einen Überblick, ob irgendein Herz aus dieser Phase erhalten geblieben ist? Wie sieht es überhaupt mit der Lebensdauer von Streetart aus?
Es sind viele Herzen erhalten geblieben. Die Lebensdauer eines Streetart-Werkes steigt proportional zur Höhe seiner Anbringung. Alles, was leicht erreichbar ist, bleibt nicht lange bestehen. Es gibt aber auch sehr alte Bilder, die erst mit der Sanierung oder dem Abriss des Objektes verschwinden.
In Liberec gibt es ein paar legale Flächen, wo gesprayt werden darf. Wie sind da die Regeln? Gibt es irgendeine Absprache, dass bestehende Bilder nicht übersprayt werden?
Writer einigen sich oft auf gemeinsame Produktionen, aber das ist ganz sicher keine Regel. Eine Absprache über das Nicht-Übersprayen von legalen Bildern gibt es hoffentlich nicht. Ich persönlich bin gegen die Glorifizierung von einigen legalen Pieces, egal von wem sie sind. Deshalb ist es legal: Damit jeder malt, der will. Ich werde jedenfalls niemandem verbieten, meine Sachen zu übersprühen.
Fehlt beim legalen Sprayen nicht der Adrenalinstoß, den es vor allem nachts gibt, beim Besprühen verbotener Flächen?
Es gibt Leute, die sprayen ausschließlich legal. Und es gibt solche, die nur auf der Straße malen. Und dann wieder solche, die beides machen und sich nicht für Absprachen interessieren. So war das, und so wird es immer sein. Ich kenne ein paar Leute, die wegen des Besprühens von Straßenbahnen oder Waggons lange Zeit im Gefängnis waren. Oft passiert das aber nicht. Meistens gibt es Bewährung, eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit. Verfolgungsjagden mit Polizisten kenne ich gut, und ein paar Mal war ich der langsamere.
Was bedeutete das für Sie? Wieviel Stunden gemeinnützige Arbeit oder wieviel Monate Bewährung haben Sie auf ihrem Konto?
Mein erstes Graffiti entstand 2003. 2007 habe ich ungefähr 30 Panels (Graffiti auf Eisenbahnwaggons) gemacht. Davon war ich ziemlich besessen, ich liebte das. In dem Jahr wurde ich auch das erste Mal gefasst und kassierte 24 Monate auf Bewährung. Probleme hatte ich immer nur wegen Panels, nie wegen Tags auf der Straße. Insgesamt habe ich rund 500 Stunden gemeinnütziger Arbeit geleistet und war alles in allem etwa drei Jahre auf Bewährung. Dann habe ich auch ein paar Stunden in einer Arrestzelle verbracht, das lässt sich als Sprayer nicht vermeiden. Eingesperrt war ich nie. Ich denke, dass ich ein anständiger Mensch mit festem Job bin, der eine individuelle Freizeitbeschäftigung hat.
2011 haben sie auf dem jüdischen Gebetshaus, das Bestandteil der Liberecer wissenschaftlichen Landesbibliothek ist, einen Holzstuhl installiert. Wie kamen Sie darauf?
Das war ganz einfach nur ein Wortspiel von žid und židle , da gab es keine Nebengedanken. Auf Gebäuden rumklettern macht mir Spaß, also hatte ich die Idee auf die Synagoge zu klettern und dort einen Stuhl anzubringen. Das sah aus wie der Bug eines Schiffes. Ich hatte damals eine jüdische Freundin, der das auch gut gefallen hat, also denke ich, dass das niemanden irgendwie empört hat. Der Stuhl war antik und frisch lackiert, kein Teil vom Sperrmüll; zwei Wochen hing der dort.
Wovon leben Sie eigentlich? Da Sie auch Mosaike verwenden, tippe ich auf ein Handwerk im Maurer-Bereich.
Ich arbeite im Bauwesen, aber Maurer bin ich nicht. Ich versuche, möglichst viele Abfälle und Reste von Baustellen zu verwenden, die man sonst nicht mehr benutzen würde.
Haben Sie schon mal ein Angebot bekommen, eine Wand im Rahmen von „Mural Art“ zu „verzieren“? Ein Beispiel dafür ist beispielsweise das Kunstzentrum DOX in Prag. Würde Sie so etwas überhaupt reizen, wenn ein Thema vorgegeben wäre?
So ein Angebot habe ich noch nicht bekommen, aber das würde mich sicherlich reizen. Ich denke, dass das der Traum der meisten Graffiti-Sprayer ist.
Übersetzung: Ivan Dramlitsch