Kultur

Gestricktes Graffiti

Maria Lyng

Bestrickter Baum © Maria Lyng

Für die meisten ist Stricken oder Häkeln nur etwas für Omas. Handarbeiten gelten als dermaßen langweilig und fad, dass man im Zweifelsfall sogar lieber aufräumt. Allerdings haben mit dem Öko-Boom der letzten Jahre auch die klassischen Handarbeiten einen Aufschwung erlebt. Und was hat Stricken mit Street Art zu tun? Wohl noch nie von Guerilla Knitting („Guerilla-Stricken“) gehört, oder?!

Sowohl Handarbeiten als auch Straßenkunst unterliegen bestimmten Stereotypen. Stricken oder Häkeln, das machen demnach Frauen, und zwar zu Hause. Graffiti gilt hingegen als Männersache, die naturgemäß im öffentlichen Raum stattfindet. Beim Guerilla Knitting (oder auch Yard bombing) verlassen die typischen häuslichen Handarbeiten die Wohnstube und erobern den öffentlichen Raum. Dabei verändern die Strickaktivisten beispielsweise Bäume, Laternen, Geländer, Telefonzellen und andere „Stadtmöbel“, indem sie gestrickte Accessoires anbringen oder die Gegenstände teilweise oder komplett Einstricken.

Currywurst © Knit the City

Mutterinstinkte?

Gerne wird im Zusammenhang mit Guerilla Knitting von einer zarten, weiblichen Form des Graffiti gesprochen, bei dem mütterliche Instinkte eine Rolle spielen – die Stadt wird in weiche Wolle gepackt und damit „geschützt“. In Wirklichkeit gibt es unter den Guerilla-Strickern auch Männer – auch wenn sie bisher noch eine Minderheit bilden. Und obwohl an der erwähnten Theorie etwas dran sein mag, verweigert sich gestrickte Straßenkunst solchen und ähnlichen Interpretationen. Schon allein deshalb, weil sie selbst nicht übermäßig ernst nimmt.

Die Bewegung geht auf die Amerikanerin Magda Sayeg zurück, die 2005 die Türklinke ihres Geschäfts mit einem gestrickten Überzug versah. Das gefiel nicht nur ihr, sondern auch den Passanten. Magda Sayeg hat dann in der Folge ihre Idee unter dem Pseudonym PolyCotN weiterentwickelt. Pseudonyme sind in der Street-Art-Szene üblich, und auch Guerilla-Stricker verwenden sie. In der Regel geht es dabei jedoch nicht darum, anonym zu bleiben. Vielmehr steht die Freude an Wortspielen rund ums Stricken und Häkeln im Vordergrund. Dabei wird nicht selten liebevoll der Hip-Hop-Slang parodiert, so wie im Falle des Strickers SonOfaStitch.

Prager Brücke Čechův most © Guerilláá

Superheld(innen) mit Sinn für Humor

Da sich Neuigkeiten in Zeiten des Internets schnell verbreiten, entstand bereits 2009 in London eine erste Guerilla-Knitting-Gruppe und schon zwei Jahre später wurde der erste Internationale Yarn Bombing Day gefeiert. In den Anfängen ging es um die simple Verzierung von Gegenständen in der Öffentlichkeit durch gestrickte Überzüge. In den vergangenen drei Jahren hat allerdings vor allem die Gruppe Knit the City die ganze Strick- und Häkelbewegung ein ganzes Stück vorangebracht. Deren Installationen erzählen auch immer eine Geschichte über den jeweiligen Ort. Die weiblichen Mitglieder der Gruppe tragen Namen von Superheldinnen, und auch ihre Installationen zeugen von einem Sinn für Humor. Anlässlich der Präsentation der deutschen Ausgabe ihres Buches schuf die Gruppe für Berlin gestrickte Bären, Ballons und sogar Currywürste aus Garn.

Mittlerweile machen die Strick-Guerilleros auch in Tschechien auf sich aufmerksam. Im November 2011 verzierten sie die Prager Brücke Čechův most. Eine der sichtbarsten Aktionen war der „Garnangriff“ auf das Auge im Zeichen des Prager Theaters Laterna Magika. Auf ihrer Internetseite schildern die beteiligten Frauen die gesamte Aktion, die man im Übrigen auch ganz problemlos live vor Ort mitverfolgen konnte. Genauso wie bei ihren britischen Kolleginnen wird vor allem auf die ästhetische Wirkung Wert gelegt.

Weichere und buntere Städte

Manche beschränken sich jedoch nicht nur auf das Stricken, sondern fühlen sich auch dem „Guerilla-Aspekt“ verpflichtet. Das gilt zumal für Crocheted Olek, die gerne maskiert und im Schutze der Dunkelheit arbeitet. Auf diese Weise verhüllte sie eine riesige Kuh-Skulptur mitten auf der Wall Street. Ihr Erkennungszeichen ist das Tarnfarben-Muster. Aber das Prinzip der Anonymität von Straßenkunst konterkariert sie mit ironischer Souveränität: Auf den Fotos ihrer Installationen posiert sie gerne komplett eingehüllt – einschließlich Gesicht – in einem wollenen Overall. Die Künstlerin verhüllt alles Mögliche mit Strickwerk: Schlagzeuge, Autos oder Skulpturen im öffentlichen Raum.

Crocheted Olek

Crocheted Olek. © Crocheted Olek

Handarbeiten haben eine jahrhundertelange Tradition. In die Straßen der Städte sind sie erst 2005 expandiert. Im Juni 2012 wird der zweite Internationale Yarn Bombing Day gefeiert, und man kann jetzt schon gespannt sein, was zu diesem Anlass auf den tschechischen Straßen auftaucht. Wer befürchtet, dass nichts zu sehen sein wird, hat noch genügend Zeit, sich Omas Stricknadeln zu schnappen und die Situation zu retten. Noch längst wurden nicht alle Ideen ausgeschöpft – und für alle Superheldinnen und Superhelden ist mehr als genug Raum vorhanden, um unsere Städte weicher und bunter zu gestalten.

Veronika Rollová
Übersetzung Ivan Darmlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
April 2012
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