Gemeinsam gegen Crystal
Tschechischer Verkäufer, deutscher Konsument – so sieht nach herkömmlicher Vorstellung die traditionelle Geschäftsbeziehung beim Handel mit Crystal Meth (Pervitin) aus, einer Droge, deren Verbreitung beide Länder mit Sorge betrachten. Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds (DTZF) hat deshalb beschlossen, dass er 2014 rund sieben Millionen Kronen (etwa 260.000 Euro) zur Unterstützung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit im Bereich der Drogenprävention bereitstellen wird. Dabei sollen verstärkt Akteure aus der Bürgergesellschaft und dem Bildungsbereich in die Drogenbekämpfung eingebunden und ihr zivilgesellschaftliches Engagement bei der Drogenprävention gefördert werden.
Es dauert noch nicht einmal zehn Sekunden. Ein Mann hält bei einem Vietnamesen-Stand im tschechischen Grenzgebiet an. Er fragt den Verkäufer, ob er nicht „dieses… Crystal“ habe. Dann bezahlt er 40 Euro für ein Gramm und fährt nach Hause. Dieser Test von Redakteuren des Radiosenders Berlin-Brandenburg zeigte, wie problemlos man an diese billige Droge gelangen kann, die nach Expertenmeinung gefährlicher als Kokain und Heroin ist. In den vergangenen zwei Jahren hat die Präsenz von Crystal Meth vor allem in Bayern, Sachsen und Thüringen massiv zugenommen; das Problem schwappt jetzt aber allmählich auch in die anderen Bundesländer über. Tschechien fungiert in diesem System als ein zentraler Ort für die Drogenproduzenten und -lieferanten.
Konflikten zuvorkommen
Neben den Gesundheitsrisiken geht es den Vertretern des Deutsch-Tschechischen-Zukunftsfonds auch um den möglichen negativen Einfluss des Crystal-Handels auf die bisher guten Beziehungen beider Länder. „In der Problematik steckt Konfliktpotenzial, auch können dadurch negative Stereotypen gefördert werden“, so der tschechische DTZF-Geschäftsführer Tomáš Jelínek. Im kommenden Jahr können diejenigen deutschen und tschechischen Organisationen und Initiativen mit finanzieller Unterstützung rechnen, die sich gemeinsam bestimmten Aspekten der Prävention widmen werden.
In der Praxis können das beispielsweise thematisch ausgerichtete Austausch-Aufenthalte zwischen Schulen sein, analytische Arbeiten in Bezug auf den Gesamtcharakter der Drogenproblematik oder aber direkte Präventionsarbeit vor Ort. Bedingung ist jedoch ein „Partnerprojekt“, das die tschechische und die deutsche Seite gemeinsam durchführen. Tomáš Jelínek empfiehlt allen Interessenten, sich bereits in der Frühphase des Projektes an den Zukunftsfonds zu wenden.
Adrenalin-Kick für Teenager?
Gerhard Krones hat Erfahrung mit der steigenden Beliebtheit von Crystal in Bayern. Er ist Leiter der Fachambulanz für Suchtprobleme der Caritas in Weiden, die sich an der Initiative „Need no Speed“ beteiligt. 2011 hat man eine massive Steigerung des Verbrauchs bei deutschen Drogenkonsumenten registriert; seit dem hat sich die Anzahl verdoppelt bis verdreifacht.
Einen typischen Konsumenten oder eindeutige Gründe für den Drogenkonsum gibt es laut Krones nicht, die Frage der Motivation ist noch nicht restlos geklärt. Trotzdem kann er die fünf häufigsten Konsumentengruppen benennen. Neben Teenagern, die auf der Suche nach dem ultimativen Adrenalin-Kick sind, begegnet Krones auch Langzeitabhängigen, die Crystal mitunter schon zehn Jahre konsumieren.
„Medizin“ gegen Frust
Über die weiteren Gründe wird in der Öffentlichkeit nicht viel gesprochen. So kommt es beispielsweise beim Konsum von Crystal Meth zu einem gesteigerten Sexualerleben. Das wird nicht nur im privaten Bereich genutzt, sondern auch von Prostituierten, denen die Droge dabei hilft, ihre Tätigkeit psychisch zu bewältigen. Zwangsprostitution unter Crystal-Einfluss ist keine Seltenheit.
Ein weiteres bekanntes Motiv für den Konsum hängt mit einer Nebenwirkung der Droge zusammen – dem rapiden Verlust an Körpergewicht. In diesem Zusammenhang spielen auch Ess- und Ernährungsstörungen eine Rolle. Hier stellt sich auch die Frage, ob eine forcierte Aufklärung über die Folgen, aber auch die Wirkung von Crystal nicht vielleicht zu einem erhöhten Konsum bei Risikogruppen führen könnte. Also bei denen, die bereit wären, für eine von der Mode-Industrie propagierte Figur alles zu opfern. Ein solch drastischer Gewichtsverlust hat als Nebenwirkungen einen fortschreitenden Ruin des Körpers zur Folge. Wer einem rachitischen Äußeren dennoch nicht abgeneigt ist, der sei auf einige weitere Nebenwirkungen hingewiesen: faulende und ausfallende Zähne oder eine Haut voller Akne und Ekzeme. Wer mit dieser Droge anfängt, wird nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen.
Die Tschechen und die anderen
Crystal, in Tschechien Pervitín oder im Slang auch „perník“ („Lebkuchen“) genannt, wird in der allgemeinen Diskussion, aber auch in den Medien als eine „tschechische Sache“ wahrgenommen. Das bestätigten auch kürzlich erfolgte Analysen von Abwässern, in denen sich Spuren von Stoffen finden lassen, die bei der Herstellung von Drogen anfallen. Forscher haben auf diese Art und Weise 19 Städte untersucht. Das Ergebnis: Während in Westeuropa Kokain und Heroin dominierte, war es in Tschechien vor allem Crystal. Aber Tschechen sind nicht die einzigen, die den deutschen Markt beliefern.
Bisher konnten vier Wege ausfindig gemacht werden, auf denen Metamphetamine in die Bundesrepublik geschleust werden. Neben Tschechien führen die Spuren nach Afrika, China und Litauen. Aber auch die Deutschen spielen eine Rolle. „Wir konnten auch Fälle verzeichnen, bei denen die Rohstoffe von Deutschland nach Tschechien gebracht und dann dort verarbeitet wurden“, deutet Krones die Komplexität der Problematik an.
Euphorischer Trip in die Psychiatrie
Kurz nach der Einnahme der Droge spürt man weder Hunger noch Müdigkeit, und die Gehirntätigkeit beschleunigt sich um ein mehrfaches. Lässt die Wirkung nach, fühlt man sich absolut erschöpft und neigt zu Aggressionen. Darüber hinaus handelt es sich um einen stark abhängig machenden Stoff, auch wenn das den „Wochenend“-Konsumenten nicht bewusst wird. Es kommt zu Störungen der normalen Körperfunktionen, die Abhängigen sind innerhalb kürzester Zeit nicht in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen, beispielsweise zur Arbeit zu gehen. Mit fortschreitender Zeit isolieren sie sich selbst vom normalen Leben und suchen erneut Trost in der Droge. Auch Schizophrenie und andere psychische Störungen können Folge des Crystal-Konsums sein.
Auch wenn diese Droge weder in Tschechien noch in Deutschland vollkommen beseitigt werden kann, so ist die vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds unterstützte Einbindung des zivilgesellschaftlichen Engagements in die Diskussion und die Präventionsarbeit hilfreich. Und schließlich kann damit das Vertrauen auf beiden Seiten der Grenze gestärkt werden.
Übersetzung: Ivan Dramlitsch