Geduld und Übung
Wie Blinde das Internet nutzen
Information, Unterhaltung, Shopping, Bankgeschäfte. Das alles erledigen wir heute wie selbstverständlich im Internet. Aber habt ihr euch schon mal gefragt, wie Sehbehinderte das Internet nutzen und wahrnehmen?
Michal Jelínek schreibt rasend schnell eine E-Mail – die Roboterstimme, die ihm dabei hilft, gehört zum Screenreader JAWS. Wie viele Sehbehinderte nutzt er dieses Programm, um online zu gehen. „So, jetzt ist die Nachricht fertig, ich kann sie mir vorlesen lassen, die Rechtsschreibung überprüfen und dann mit einem einfachen Keyboardshortcut abschicken.“
Der 32-jährige, blinde Computernarr Jelínek lehrt andere Sehbehinderte, wie man im Internet surft. Seit einigen Jahren schon arbeitet er im Tyflokabinet, dem Computerlabor der tschechischen Blindenorganisation SONS direkt im Zentrum von Prag. Wie genau nehmen Blinde das Internet wahr? „Das Programm präsentiert mir zuerst die Informationen zur Seite, wie viele Links, Überschriften und Felder sie hat. Und dann fängt die Computerstimme an, mir die Seite vorzulesen. Aber kaum einer lässt sich die komplette Seite vorlesen, das wären zu viele Information.“
Den Inhalt der Website können Blinde mit Hilfe der Tastatur navigieren, Überschriften durch Keyboardshortcuts anklicken und sich den Inhalt einzelner Artikel dann laut vorlesen lassen. Das ermöglicht es blinden Internetusern zum Beispiel, Onlineversionen großer Tageszeitungen zu lesen, die nicht in Blindenschrift veröffentlicht werden. Das ist nur einer von vielen Vorteilen, sagt Jelínek, der auch gerne im Internet shoppt. „Ich kaufe vor allem CDs und Bücher, aber manchmal auch Geschenke, Anziehsachen und Elektronik. Für mich ist es sehr angenehm, in Ruhe online einzukaufen. Ich habe es nicht so gern, wenn sich mir in Geschäften die Verkäuferinnen aufdrängen. Da lese ich lieber Kundenmeinungen im Web. Online Shopping ist für mich auf jeden Fall ein großer Vorteil des Internets.“
Zu viele Informationen
Online-Banking, im Internet einkaufen, rasche Recherche mit Google. All das macht das Internet auch für blinde User sehr attraktiv. Trotzdem ist deren Zahl im Vergleich zu Nichtsehbehinderten noch relativ niedrig. Welche Hindernisse gibt es? „Der schwierigste Aspekt ist sicherlich die Flut an Informationen“, so Jelínek. „Jemand, der sieht, sortiert da ruck zuck aus, ignoriert Anzeigen und so weiter einfach. Aber für uns Blinde machen es diese Elemente schwierig, einen Überblick über die jeweilige Webseite zu gewinnen und zu verstehen, wie diese strukturiert ist.“
Programme wie JAWS können auch eine Braillezeile, also eine Zeile in Blindenschrift, ansteuern, anstatt den Text laut vorzulesen. Ein solcher Brailledisplay, der einen bestimmten elektrischen Effekt speziell gezogener Kristalle nutzt, um die Schrift vom Bildschirm in Braille darzustellen, kann aber 10.000 Euro und mehr kosten. „Eine Braillezeile haben wirklich nur die, die sie oft nutzen. Studenten oder Menschen, die für den Beruf viel mit Text oder mit Tabellen arbeiten müssen. Der Vorteil hier ist, dass man den Text wirklich unter der Hand hat, man hat einen besseren Überblick, den kann die Sprechversion nicht liefern.“
Visuell angelegtes Medium
Jelínek leitet zwischen fünf und zehn Kursen pro Woche. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass man Blindschreiben kann, also das Zehnfingersystem beherrscht. Oft zeigt sich, dass Schüler, die erblindet sind, aber zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben sehen konnten, sich im Internet schneller zurechtfinden, als Menschen, die blind geboren wurden. Es sei halt doch ein sehr visuell angelegtes Medium, meint Jelínek. Trotzdem ist er zuversichtlich, dass sich die Zahl der sehbehinderten Internetuser in Zukunft deutlich vergrößert. „Ich glaube, die Situation wird sich verbessern. Heutzutage sitzen junge blinde Menschen, genauso wie die, die nicht sehbehindert sind, schon viel früher vor dem Computer und surfen im Internet. Natürlich wird es für Blinde immer sehr viel schwieriger sein, als für Menschen, die sehen. Aber diese Schwierigkeiten zu überwinden hat nur mit Übung und Geduld zu tun.“
Jelínek, der sich einen Technikfreak nennt, ist das beste Beispiel: Er hat sich das Internetsurfen sogar selbst beigebracht.