Gemüse wächst nicht im Supermarkt
Sich an ein Tischchen setzen, einen guten Kaffee bestellen und ein bißchen in einem abgegriffenen Buch lesen. Das alles umgeben von duftenden Kräutern, exotischem Gemüse und Blumen. Die zwei passionierten Gärtnerinnen Lucie Hrušová und Petra Matyášová wollen genau so eine grüne Oase im Zentrum von Liberec erschaffen. Hier sollen sich die Studenten der örtlichen Universität, Eltern mit ihren Kindern und auch ältere Generationen begegnen.
Ähnliche Freuden und Sorgen verbinden. Genauso wie sich zwischen zwei völlig fremden Hundebesitzern schnell ein Gespräch ergibt, können Kleinbauern und Hobbygärtner auf einen unerschöpflichen Vorrat an Themen zugreifen. Vom Wetter über tierische Schädlinge bis hin zu den neuesten Pflanzenarten. Und es macht überhaupt nichts aus, dass sie gar kein eigenes Grundstück besitzen. Um so liebevoller können sie sich um ihr „Beetchen“ im Gemeinschaftsgarten der Stadt kümmern. So ein kleines Beet kann zum Beispiel nur aus einem Sack gefüllt mit Erde bestehen. Auch darin lassen sich nämlich zarte Radischen oder süße Erdbeeren züchten, die natürlich völlig anders schmecken als solche aus dem Supermarkt. Das alles verbirgt sich unter dem Begriff „Urban Gardening, oder auch das Gärtnern in der Stadt“.
Gärtnern in der Stadt
„Unsere schöne Stadt wird durch eine Menge verwahrloster Betonflächen und Schrottplätze verunstaltet. Leider befindet sich die Mehrheit davon genau im Zentrum. Wir kommen also oft an diesen Stellen vorbei und sind jedes Mal traurig. Das Gärtnern macht uns Spaß, und noch lieber kochen wir etwas aus dem eigenhändig hochgepäppelten Gemüse. Deswegen wollen wir in Liberec einen Ort erschaffen, an dem jeder die Möglichkeit hat, auf kleinem Raum ein paar Radieschen, Salat, Bohnen, Kräuter und einfach alles anzupflanzen, worauf er Lust hat“, erklärt die Stadtgärtnerin Petra Matyášová.
Ist aber der Begriff „ökologisch gezüchtetes Gemüse“ mitten in einer Stadt mit hunderttausend Einwohnern nicht ein Widerspruch in sich? „Das größte Risiko stellt Erde dar, die mit Giftstoffen und Schwermetallen verunreinigt ist. Uns betrifft das aber nicht, weil wir in unserem Stadtgarten alles ausschließlich in Gefäßen oder in erhöhten Beeten anpflanzen werden. Die befüllen wir dann mit einem hochwertigen Substrat und heimischem, reifem Kompost. In den Gefässen kann man am besten schnell wachsende Gemüsesorten und Kräuter pflanzen. Bei denen besteht nicht die Gefahr, dass sie Smog und in ihm enthaltenen Giftstoffen ausgesetzt werden,“ argumentieren Lucie und Petra.
Die Idee, in der Stadt Lebensmittel selbst anzubauen ist in Tschechien sicher nicht neu. Auf einem ähnlichen Prinzip basiert auch das Projekt Prazelenina im Prager Stadtteil Holešovice. Interessierte mieten sich in der Zeit von April bis Oktober für 850 Kronen (etwa 30 Euro) einen oder mehrere Säcke mit Erde. Jeder kann in ihnen anpflanzen, was er möchte. Außer dem Sack, der Erde, dem Wasser, dem Zutritt in den Gemeinschaftsraum mit Verpflegung und dem Sandkasten für Kinder ist auch eine Holzpalette als Unterlage für den Sack im Preis enthalten. Außerdem werden die Pflanzen auch dann gegossen, wenn man selbst in den Urlaub fährt.
„Die städtischen Gemeindegärten funktionieren bereits seit Längerem in Paris, New York, London oder Berlin. Da wollen wir in der nächsten Zeit hinfahren und ein paar Inspirationen sammeln. Der Gedanke, etwas Ähnliches für die Bewohner von Liberec zu erschaffen, begeistert uns.“ erklären Lucie Hrušová und Petra Matyášová. Beide haben in Liberec studiert und leben jetzt dort. Und veide vermissen einen Ort, an dem man bei schönem Wetter draußen auf der Wiese sitzen oder sich mit Freunden treffen kann. Und weil beide kleine Kinder haben, halten sie es für richtig ihnen anschaulich zu zeigen, dass Obst und Gemüse nicht im Supermarkt wachsen.
„Gleichzeitg würden wir im Garten von Liberec gerne ein kleines Cafe eröffnen. Dort wäre es möglich, sich in die Sonne zu setzen und sich den Augenblick des Faulenzens mit einem Leckerbissen zu versüßen, der ausschließlich von Lieferanten vor Ort stammt.“ stellt Lucie Hrušová das Ziel des gemeinschaftlichen Treffpunkts vor. Soweit es ihnen die Örtlichkeiten erlauben, würden sie dort auch gerne kulturelle und gesellschaftliche Veranstaltungen ausrichten. Das könnten das Keltern von Saft, sommerliche Filmvorführungen oder Grillfeste sein. „Es geht uns darum, die Menschen wieder ins Zentrum von Liberec zu zurückbringen,“ fügt Lucie hinzu.
Im Schatten wächst nichts
All diese guten Absichten lassen sich jedoch nicht ohne das geeignete Grundstück in die Tat umsetzen. Laut ihrer eigenen Aussage haben sich Petra und Lucie alle Grundstücke angesehen, die in Frage kommen könnten. Das Projekt des Urbanen Gartenbaus wird auch durch Stadtverwaltung unterstützt, aber ein Garten kann nicht ohne Sonne existieren. „Leider hat keines der von der Stadt vorgeschlagenen Grundstücke die Grundvoraussetzungen erfüllt, deshalb suchen wir nach anderen urbanen Flächen“, erklären die Gärtnerinnen. „Zur Zeit verhandeln wir mit einem Privatbesitzer über die Pacht eines Geländes, das wir ‚das Grundstück unser Träume‘ nennen. Es befindet sich im Zentrum von Liberec auf einem Feld, wo Sonne schön scheint, und es ist sogar teilweise umzäunt,“ verrät Petra. Jetzt müssen sie sich nur noch auf einen Preis einigen, einen gemeinnützigen Verein gründen, für Sicherheit auf dem Gelände sorgen und eine ausreichende Wasserzufuhr sicherstellen.
Holundersaft für die Förderer
In der diesjährigen Saison haben die Gärtnerinnen bisher nur versuchsweise ein paar Gemüsesorten bei sich zuhause gesät und gepflanzt. Hauptsächlich, um das Anpflanzen einem Sack aus Leinen (Big Bag) auszuprobieren. Trotzdem haben die Initiatorinnen des Projekts schon rund dreißig Leute angesprochen, die sich aktiv beteiligen wollen. Wie die beide Gründerinnen betonen, sind alle willkommen, die ihre Leidenschaft für die Gemüsezucht teilen und das öffentliche Leben in Liberec mitgestalten wollen.
Das erste Treffen für Interessenten des Urbanen Gartenbaus in Liberec findet am 17.August im Rahmen des internationalen Festivals Restaurant Day statt. Wie viele andere Liebhaber von gutem Essen, eröffnen auch Petra und Lucie für einen Tag ein Restaurant und servieren ein Menü mit selbstgemachtem Holundersaft. Und in einem Jahr findet man den Sirup der Holunderblüte vielleicht auch auf der Getränkekarte des neuen Gartencafes im Zentrum von Liberec.
kann mit leerem Magen selbst die größten kulturellen Highlights nicht genießen. Nach dem Besuch einer Ausstellung geht sie idealerweise in eine Café und bestellt Schokoladentorte.
Übersetzung: Hanna Sedláček