Der Alkoholiker im Bier und Jetzt

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„Wie als Zeichen einer neuen Religion recken wir die Flaschen hoch über unsere Köpfe.“ Foto: © Falko Hennig

Biergruß statt Sonnengruß. Jhula bietet in Berlin Bieryoga an. Ja wirklich: Bieryoga! Für einen trockenen Alkoholiker eine echte Herausforderung – in jeder Hinsicht.

Ich flüchte vor dem Wolkenbruch in die Durchfahrt. Wie eine Rettung erscheinen mir die jungen Frauen mit Yogamatten: Ja, sie wollen auch zum Bieryoga. Vereint werden wir es finden! Auf der Homepage heißt es: „Sowohl mit Yoga als auch mit Bier, lassen Menschen seit Jahrhunderten die Seele baumeln und entspannen Körper und Geist.“

Vergeblich suchen wir nach einem Hinweis, auch durch die Fenster ist nichts zu ahnen: Die Scheiben der netten Kneipe namens Loftus Hall sind weiß gestrichen. Ich erinnere mich an den Werbetext: „Die Ausgelassenheit, die das Biertrinken mit sich bringt und das Körperbewusstsein von Yoga lassen sich zu einer energetisierenden Erfahrung verbinden. Im Bier und Jetzt. Prost!“

Ich stelle mich der hübschen, 30-jährigen Frau vor, die nur Jhula genannt werden will und das Bieryoga erfunden hat, jedenfalls die erste ist, die es in Deutschland praktiziert. Sie ist blond, sportlich ohne eine Spur von Bierbauch. Der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland ist gegen die Verbindung von Bier und Yoga: übermäßiger Alkoholgenuss sei nicht mit der im Yoga nötigen Konzentration vereinbar.

Etwas bang ist mir schon, riskiere ich jetzt meine Heilung? Denn ich bin seit 2010 trockener Alkoholiker und das wäre ich bestimmt niemals geworden, wenn ich davor nicht zu viel getrunken hätte. Mich stören Bier- oder Schnapstrinker nicht, seitdem ich nicht mehr mittrinke. Sie sind allerdings auch sehr viel weniger unterhaltsam geworden, so dass ich nur noch selten bis zuletzt bleibe. Es gibt alkoholfreies Bier! Meine Rettung! Ich rolle meine Isomatte aus. „Herzlich willkommen beim Bieryoga!“, ruft Jhula, die zwanzigste Stunde gibt sie und es ist ausverkauft. Sie hat schon immer sowohl Yoga gern praktiziert als auch das Biertrinken geliebt und will es so miteinander verbinden.

„Wer hat schon mal Yoga gemacht?“ Alle. Auch nach der zweiten Frage, wer schon mal Bier getrunken habe, gehen alle Hände hoch. Jhula ist zufrieden, denn es sei schwierig, wenn man beides noch nie praktiziert habe und bei beidem sollte man seine eigenen Grenzen kennen. Es sei hier kein Wettbewerb und bisher sei noch nie etwas passiert. Wenn die Bierflasche umkippt, sei das hier nicht schlimm. Das stimmt, man kann es riechen. Hier ist es nicht schlimm, wenn Bier umkippt. Man wird es nicht einmal merken.

Auf einer kleinen Bühne macht Jhula die Positionen oder Übungen vor oder wie auch immer man das beim Yoga nennt. Ihr Bieryoga beginnt mit einer Meditation, die Bierachtsamkeit sollen wir zulassen, merken, wie die Flasche sich anfühlt, ist sie noch kalt oder schon warm? „Jetzt könnt ihr mal so riechen an der Bierflasche!“ Und nun dürfen wir einen Schluck in den Mund nehmen, merken, wie es prickelt, wie der Schluck die Speiseröhre runterrutscht. Die schönen Frauen und Männer lachen.

„Prost!“ Wie als Zeichen einer neuen Religion recken wir die Flaschen hoch über unsere Köpfe. Die nächste Stellung nennt sich „Bierbank“ und wir stehen auf unseren Zehen und Händen: „In dieser Position kann man kein Bier trinken. Jetzt öffnet Euch in die erste Biertrinkerin!“ Damit ist wohl die nächste Position gemeint. Ich hocke mit gespreizten Beinen, das Bier zwischen den nach oben gerichteten Händen und erfahre von Jhula: „Die Inder können das tagelang machen.“ Ach, die Inder, ja, die können das. Die sitzen ja auch auf Nagelbrettern und bauen sich für die Fahrten auf dem Ganges Flöße aus menschlichen Leichen.

Woran ist eigentlich Buddha gestorben? An Yoga?

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„Es wird viel gelacht und das ist gut. Das Lachen ist der Trost der Schwachen.“ Foto: © Falko Hennig

Aus dem „Sonnengruß“ wird ein „Biergruß“ und die „Adlerstellung“, bei der man die Oberschenkel fest zusammenpresst, soll in Zukunft helfen, sich in der Warteschlange vor dem Club-Klo nicht in die Hose zu machen. „Die dritte nützliche Pose im Berliner Kneipenleben.“ Wir trinken mit verknoteten Unterarmen.

Es wird viel gelacht und das ist gut. Das Lachen ist der Trost der Schwachen, ein irrer Gesang gegen die Sonne, das Ventil gegen den Wahnsinn. An der Bar wird die ganze Zeit fleißig Nachschub geholt, die trockene Luft!

„Wir schlingen das rechte über das linke Bein!“ Die Flasche balanciere ich auf dem Knie, während ich versuche, meine Hände hinter dem Rücken an den diagonal verschränkten Armen zusammenzubringen. No way, Alta! Aber ich war schon immer so steif, ich habe sowas nicht mal als Kind gekonnt. So, wie es Gummimenschen gibt, gibt es auch das Gegenteil, Preußen aus sprödem Gusseisen, so wie mich. Eine leere oder ungeöffnete Flasche brauchen wir nun, das passt, meine ist leer. Wir müssen sie auf den Schultern und Füßen liegend unters Steißbein stellen.

Jetzt kommt Butter bei die Fische, denn jetzt beginnen die Partnerübungen. Ihr Arsch ist an meinen gepresst, er fühlt sich gut an und ist sehr muskulös, wir sind auf eine sehr keusche, geradezu freikörperkulturelle Art miteinander und mit all dem Bier im Universum verbunden. Das scheint allen so zu gehen, denn das Gelächter, Gequietsche und Geschrei wird apokalyptisch, als wir Rücken an Rücken in die Hocke gegangen sind und der oder die jeweils andere nach oben gehoben wird.

Jetzt presse ich sitzend meine Fußsohlen gegen die der Spanierin und wir stoßen über unseren aufreizend gespreizten Beinen mit den Bierflaschen an. Der enervierende Geräuschpegel steigt nochmal an auf die Lautstärke einer startenden Interkontinental-Rakete.

Und jetzt sollen wir auch noch das Bier auf den Köpfen balancieren. Die Flaschen fallen reihenweise und zerklirren: gravierende Fälle von Alkoholmissbrauch. Mir kann das nicht passieren, ich traue mich nicht einmal, die Flasche wirklich loszulassen.

Jhula auf der Bühne steht da wie eine besondere Aerobic-Königin, ihre Flasche auf dem Kopf ist so unbeweglich wie ein archimedischer Punkt und blitzt wie polierte Jade. Jetzt sollen wir trinken wie sterbende Schwäne, mit der linken Hand das linke Bein über den Rücken dehnen und dabei Bier trinken. Woran, überlege ich beim Versuch, meine Flasche Warsteiner alkoholfrei an den Mund zu bekommen, woran ist eigentlich Buddha gestorben? An Yoga?

„Dann könnt ihr mal das Reden einstellen!“ Das Licht geht aus. „Zur Ruhe kommen! Euch nachspüren, was der Yoga und der Alkohol bewirkt haben! Überlegen, wann Ihr das letzte Mal auf dem Boden eines Klubs gelegen habt!“ Bei mir war es die Bleibar, zirka 1993. Eine sehr spannende Geschichte, mit der ich hier beliebig Zeilen schinden könnte.

Dass Bieryoga zur Therapie von Alkoholikern taugt, wird niemand behaupten. Wenn es allerdings gelänge, Alkoholkranke dazu zu bringen, nur einmal pro Woche beim Bieryoga zwei kleine Bier zu trinken, wäre das sehr nahe an einer völligen Heilung.

„Zu Euch kommen mit geschlossenen Augen!“ Wir singen zum Abschluss ein „Ommmm“ und ein „Prost!“ Ich unterhalte mich noch kurz mit der Yogalehrerin Jhula und erfahre von ihr, dass sonst einige Männer mehr mitmachen. Die Öffentlichkeit soll von ihr nur wissen, dass sie gern Bier trinkt und Yoga macht. Den Tschechen rät sie, doch einfach mal vorbeizukommen, um zu erleben, dass sich bewusster Biergenuss auf sehr sportliche Art steigern lässt.

Falko Hennig

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Mai 2016

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