„Und wer wird malochen?“
Aus der Perspektive eines Menschen, der auch das Leben ohne Obdach und ohne Einkommen im klassischen Sinn kennengelernt hat: Zdeněk Straka macht sich Gedanken über die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens.
Über das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) hörte ich zum ersten Mal, als ich an dem Projekt Čtvrtý svět (Vierte Welt) von Magda Stojowská und Tereza Durdilová teilnahm. Es handelte sich dabei um dokumentarisches Theater. Es gab kein Skript. Das Stück entwickelte sich aus den biographischen Erzählungen der fünf Mitwirkenden, die das Schicksal bis ganz nach unten verschlagen hatte. Auf die Straße. In dem Stück brachte die Kollegin Eduarda, eine Pfarrerin, die Frage des BGE auf. Nach einer feurigen Diskussion auf der Bühne schnappten wir uns ein Mikrofon und führten eine Umfrage unter den Zuschauern durch.
Es war zwar anstrengend den Meinungsaustausch abzuwarten und danach endlich mit dem noch unvollendeten Stück fortzufahren. Trotzdem habe ich mich auf jede Umfrage in unseren insgesamt sieben Vorstellungen sehr gefreut. Ich persönlich würde im Hinblick auf meinen Gesundheitszustand irgendeine Sicherheit wie das Bedingungslose Grundeinkommen gut gebrauchen können. Vor allem deshalb, weil ich als Single lebe und mich nicht auf die Hilfe anderer verlassen kann. Ganz sicher würde ich mir auch noch etwas hinzuverdienen.
„Woher wollen sie das nehmen?“, echauffieren sich die einen.
„Endlich wird es Gerechtigkeit geben!“, eifern die anderen, für die das BGE so etwas wie ein Mantra ist.
„Und wieviel wird das sein? Ich will nicht der arme Verwandte des restlichen Europas sein! Ich will mir das Gleiche leisten können, wie die anderen!“ argumentieren weitere und weitere und weitere.
„Wieder lassen wir Versuchsballons steigen! Hat das überhaupt mal jemand ausprobiert?“
Ja, zum Beispiel in Alaska. In Europa ist Finnland das erste Land, das zu Jahresbeginn 2017 ein Experiment mit dem BGE gestartet hat. Unter den Arbeitslosen des Landes wurden 2000 Menschen ausgelost, die 24 Monate lang 560 Euro erhalten – bedingungslos und steuerfrei. In verschiedenen Ausprägungen wurde das BGE auf allen anderen Kontinenten realisiert. Mit unterschiedlichem Erfolg. Von erhöhtem Alkoholkonsum am Tag der Auszahlung, bis zur Verbesserung der sozialen Bedingungen in Afrika.
„Und wer wird malochen?“
Das werden doch diejenigen, die eine Arbeit machen, die sie zwar nicht ernährt, aber die ihnen Spaß macht. Künstler, Wissenschaftler. Alle, die ihren Beruf für eine Berufung halten.
„Was ist mit Dienstleistungen? Wer wird Handwerksaufträge ausführen?“
„Wird uns jemand untersuchen? Und heilen?“
„Es entsteht eine neue Gesellschaft! Sozial Schwache, die die meisten Kinder haben, werden zur Crème de la Crème gehören, zu den oberen Zehntausend. Wie sollen sich dann die vorkommen, die sich bis dahin abgerackert haben? Sie haben ihre Firmen aufgebaut. Schließlich sind wir eine junge demokratische Gesellschaft. Werden sie dann zu den Armen gehören? Zu den sozial Ausgegrenzten?“
Habt ihr schon mal gesehen, dass jemand das Kind verlässt, das er aufgepäppelt hat? Ich glaube nicht. Unternehmer bleiben. Sie senken ihre Gewinne, um ihren Angestellten das höchstmögliche Gehalt und so viele Zusatzleistungen wie möglich zu zahlen. Ihre Firmen werden weitermachen. Es ist zu erwarten, dass ein neues Konkurrenzumfeld entsteht. Es wird viele neue Selbstständige geben, die ihre Träume bisher nicht verwirklichen konnten. Mein Traum ist es, Menschen zu helfen, die alleine leben. Sie sind allein mit ihrem Leben, ihren Krankheiten und schließlich ihrem Sterben. Ich bin ein Verfechter für die Würde des Lebens, das uns gegeben wurde. Vielleicht bin ich zu empathisch, aber viele Menschen in meinem Umfeld, und diejenigen, die ich auf der Straße treffe, tun mir leid. Ich wünschte, ich könnte ihnen von Nutzen sein.
„Wird es nicht zum Zerfall von Familien kommen? Es gehen die Themen für Gespräche verloren. Zu Hause reden wir am häufigsten über die Arbeit. Die meisten unserer Freunde sind Arbeitskollegen.“
Nein, fürchtet euch davor nicht! Das BGE ist eine Sicherheit. Eine Sicherheit im Fall von Krankheit und Vereinsamung. Die meisten Menschen werden arbeiten, um ihren Lebensstandard zu heben. Aber sie werden sich nicht mehr fürchten, dass sie eine Lebenssituation nicht bewältigen. Der Krankenstand wird sich verringern. Man sagt doch, dass Krankheit ein Gemütszustand ist.
Ein Probem sehe ich darin, dass wir ein sehr konservatives Volk sind. Wir mögen Veränderungen nicht. Nicht einmal die zum Besseren.
Ich bin auch ein Konservativer. Ich bin zum Beispiel gewohnt, jeden Morgen in den chinesischen Laden im Haus zu springen, um frische Hörnchen zum Frühstück zu kaufen.
Auch heute, nach der Einführung des BGE, gehe ich dort hin. Beinahe breche ich mir die Hand beim Öffnen des geschlossenen Ladens. Hinter der Tür stehen Antou und Zoe. Ihre dunkeln Augen funkeln, ihre Wangen zittern und sie grinsen von einem Ohr zum anderen. „Errate es und wir machen auf!“ höre ich durch die geschlossene Tür. Beide zeigen auf das Schild, das an das Glas geklebt ist.
Ich lese:
1. Wir werden vielleicht morgen auf haben.
2. Aus technischen Gründen geschlossen.
3. Ferien.
Unwillkürlich schreie ich auf: „BGE!“
Ihr Grinsen verschwindet und im Schloss rasselt der Schlüssel. Ich trete ein und direkt fährt es aus Antou heraus: „Aus der Bäckerei haben angerufen, dass fertig gebacken. Auto ist losgefahren. Aber hatte kein Sprit. An dritter Tankstelle hatten auf, aber Tankwartin sagte, Raffinerie hat kein Sprit geliefert. Sie im Pech. Versuchen Sie morgen wieder!“ Zoe öffnete die Tür und schob mich hinaus. Mir wird bewusst, dass ich kein Frühstück habe.
Von uns gibt es Millionen. Und genau so viele Gewohnheiten. Was fangen wir an mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen? Auch darüber kann man nachdenken. Keine Arbeit ist überflüssig. Wir brauchen uns gegenseitig. Ob du nun Putzfrau oder Beamter bist. Ich wünsche allen und mir selbst ein BGE. Aber mit Bedingungen, die unsere Bedürfnisse befriedigen. Hoffentlich ist mein Wunsch nicht unerfüllbar.
Übersetzung: Patrick Hamouz