Erinnerungen an den Brutalismus
Das Kaufhaus Prior. Politisch ein Symbol des Kommunismus. Architektonisch ein Symbol des Brutalismus. Für die meisten Menschen der Name einer traditionellen tschechischen Kaufhauskette, die zahlreiche Erinnerungen weckt. Kann man sich aber an Orte erinnern, die heute schon ganz anders aussehen? Verschwindet mit dem Umbau traditioneller kommunistischer Bauten nicht auch die Nostalgie und Authentizität? Oder sollten nicht gerade diese Erinnerungen durch eine neue Realität ersetzt werden, die die Gegenwart besser widerspiegelt?
Das legendäre Kaufhaus öffnete 1982 auch in Olomouc (Olmütz) den Kunden seine Pforten, und zwar direkt im historischen Stadtzentrum neben der St.-Moritz-Kirche, nur ein paar Meter vom imposanten Oberen Platz (Horní náměstí) mit seinen bekannten Sehenswürdigkeiten wie der atypischen astronomischen Uhr mit den Arbeitermotiven am Rathaus oder der riesigen Pestsäule. Der Bau im brutalistischen Stil geht auf den Brünner Architekten Jan Melichar zurück – es war nicht sein erstes Prior, erfolgreich waren bereits seine Entwürfe für die Kaufhäuser in Ostrava oder im slowakischen Trenčín.
Beim Prior in Olomouc handelte es sich um einen vierstöckigen, teilweise verglasten Bau, den eine geometrisch strukturierte, etwas schwerfällige Fassade sowie ein flaches Dach „schmückte“, mit einem Minimum an Fenstern, einer keramischen Megaverzierung in Form einer Blume am Eingang sowie den typischen Rolltreppen. Einkaufen konnte man hier alles Mögliche, von Textil- über Schreibwaren bis zu Elektronik. Einfach „tschechische Klassik mit Tradition“, so der Werbeslogan der Kette, die 17 Häuser dieser Art in Tschechien betrieb. Die Bürger von Olomouc reagierten auf das Gebäude damals gespalten. Optisch gefallen hat es den Leuten eher nicht, aber sie freuten sich auf eine bessere Warenauswahl.
Der Beginn der Selbstbedienungsepoche
So erinnerst sich beispielsweise Pavla aus Olomouc: „Der alte Prior unterschied sich von der sonstigen Architektur im historischen Stadtzentrum. Wir waren an das ursprüngliche Geschäft gewöhnt, das so aussah wie die anderen Häuser in der Umgebung. Außerdem war der Pult-Verkauf typisch, uns gefiel der Kontakt zum Verkäufer und diesen wiederum der Kontakt zum Kunden. Unten wurden Würste gebraten, auf der gegenüberliegenden Seite war eine Konditorei, es roch am Eingang immer wunderbar. Beides ist 1982 mit dem neuen Prior verschwunden. Es begann die Selbstbedienungsepoche; uns tat das auch leid.
2009 begann man, über einen Umbau des nunmehr veralteten Kaufhauses nachzudenken. Die Öffentlichkeit teilte sich wie üblich in drei Gruppen – den einen war das alles egal, die zweiten kritisierten die Eingriffe in einen Traditionsbau, und die dritten begrüßten die Modernisierung des „kommunistischen Kastens“ mit Freude.
Der Eigentümer der Immobilie, das Unternehmen CL Trade, entschied sich für den Umbau – so war es seinerzeit in der regionalen Presse zu lesen –, weil das Haus nicht mehr den Ansprüchen an ein modernes Einkaufszentrum entsprach. Die Verantwortung für die Umgestaltung wurde dem in Olomouc ansässigen Architekturbüro Ateliér-R unter der Leitung des Architekten Miroslav Pospíšil übertragen, der sich wie folgt äußert: „Unsere Idee war es, den ganzen Prior verschwinden zu lassen. Wir fotografierten die Frontfassaden der umgebenden Häuser, die wir dann spiegelbildlich auf die Fassadenflächen des Kaufhauses übertrugen. Wie sich später zeigte, fand dieses Konzept beim Auftraggeber Anklang, so dass es auf dieser Grundlage schließlich zu einer Zusammenarbeit mit uns kam.“
Auf 1000 Einwohner mehr Geschäfte als in London
In den Artikeln, die sich mit dem Umbauprozess beschäftigen, erläutert der Architekt, dass der Auftrag auch einige sehr schwierige Momente mit sich brachte. Warum? „Ich gebe zu, dass ich erst nach dem echten Beginn der Zusammenarbeit begonnen habe, mich mit dem Prior-Projekt seriös auseinanderzusetzen. Erst dann habe ich auch begriffen, dass der Kern des Problems nicht das Gebäude selbst ist, sondern der städtische Raum, der es umgibt“, so Pospíšil.
Die Öffentlichkeit in Olomouc erwartete als Ergebnis der Rekonstruktion entweder etwas Überragendes oder den totalen Reinfall – und mit diesem Wissen kann man sicherlich nicht jeden Abend gelassen einschlafen. Außerdem wurde das Thema heiß diskutiert – man sprach an den Bushaltestellen, in den Kneipen, zu Hause darüber, und das sowohl vor als auch nach der Veröffentlichung des Entwurfs. Viele hatten das Gefühl, dass hier ein verglaster Luxus vorgegaukelt werden sollte. Befürchtungen gab es auch, was die Anpassung an die Umgebung des Kaufhauses betraf. Es stand die Frage im Raum, wie viele weitere Einkaufszentren die wirtschaftlich eher schwache Stadt überhaupt braucht und verträgt. Gemeinsam mit Liberec und Prag gibt es nämlich auch in Olomouc pro 1000 Einwohner mehr Geschäfte als beispielsweise in London.
2012 begann in Olomouc der Abriss des Kaufhauses Prior. Dabei wurden äußere und innere Teile abgerissen, übrig vom alten Gebäude blieb lediglich das Skelett. Es verschwanden auch die charakteristischen Betonblöcke aus der Fassade. Als eine Art Erinnerung an das frühere Aussehen des Kaufhauses wurden nur Bruchstücke der Betonelemente an der Seite der Straße Úzká belassen. Der Fotograf Jaroslav Tenzo Krátký hat die verschiedenen Pahsen der Umgestaltung des Prior dokumentiert.
Das neue Prior empfing seine ersten Besucher schließlich genau 30 Jahre nach der Eröffnung des ursprünglichen Hauses. Das Geschäft bekam auch einen neuen Namen, angelehnt an die nahe stehende Kirche: Galerie Moritz. Sehr genau beobachtete den Umbau der Verein für Kultur, Städtebau, Denkmal- und Umweltschutz Für ein schönes Olomouc (Za krásnou Olomouc). Deren Mitglieder, die Architekturhistorikerin Martina Mertová, der Städteplaner Petr Daněk und der Dramaturg Alexander Jeništa veröffentlichten 2012 einen Artikel mit dem Titel Prior: die zwei Seiten der Medaille. Darin konstatieren sie, dass das Projekt über drei unterschiedliche Dimensionen verfügt: das Interieur als privates Element, des Weiteren die Hülle, besser gesagt die Fassade, ein sowohl öffentliches als auch privates Thema, und schließlich das Exterieur – den rein öffentlichen Raum.
Jede dieser Dimension wurde benotet. Das Interieur als rein privater Geschäftsraum bekam eine Eins. Das alte Prior war für modernes Shopping einfach nicht mehr akzeptabel. Von innen sieht das Gebäude jetzt gut, geradezu luxuriös aus. In Olomouc stellt es eine visuelle Einkaufsperle mitten im Stadtzentrum dar. Die Fassade des neuen Gebäudes erhielt die Note Drei. Am schlechtesten schnitt jedoch das Exterieur des Hauses ab, also sein Übergreifen in den öffentlichen Raum. Dafür gab es eine Fünf. Die Fachleute vom Verein Für ein schöneres Olomouc bemängelten die Vernachlässigung von Verkehrssicherheitsaspekten. Zudem sei die Umgestaltung des Kirchenvorplatzes trist ausgefallen. Auch die Logistik für Lieferanten sei unbefriedigend gelöst. Bei derartigen Unterschieden in der Benotung der Gebäudedimensionen kann von einer einheitlichen oder ganzheitlichen Experteneinschätzung des neuen Einkaufzentrums kaum mehr die Rede sein.
Auch Architekt Pospíšil hatte immer wiederholt, dass es nicht um eine bloße Rekonstruktion des Kaufhauses ging, sondern in erheblichem Maße auch um eine Neugestaltung der Umgebung der Moritz-Kirche. „Dieser bedeutende historische Ort ist in Folge des Prior-Baus zu einem Lieferantenhof, einer Mülltonnenabstellfläche und einem Parkplatz geworden. Ich denke, dass der Umbau zu einer Beruhigung des Kirchenvorplatzes geführt hat. Es war der Versuch, dem Ort ein wenig Würde zurückzugeben.“ Er habe, so der Architekt, von Seiten der Öffentlichkeit sowohl positive als auch negative Reaktionen erhalten.
„Technisch schlecht durchdacht“
Der an der Palacký-Universität in Olomouc lehrende Historiker Jiří Fiala äußerte sich zu der Sache folgendermaßen: „Der Autor des Umbau-Projekts wurde vom lobenswerten Bemühen geleitet, das Objekt durch gläserne Vertäfelung ‚unsichtbar‘ zu machen, sodass sich in der Fassade sowohl die Doppeltürme der Moritz-Kirche als auch die umgebenden Gebäude spiegeln, die überwiegend im Neorenaissance-Stil erbaut sind. Grünflächen gibt es rund um die Galerie Moritz leider sehr wenig. Die Wandflächen der Lieferanteneingänge gegenüber der Kirche hätten auch für Informationen über die Kirche und der ehemaligen Kapelle nebst Friedhof und der erfolgten archäologischen Untersuchung genutzt werden können, aber solche Details würden den Eigentümern der Galerie Moritz nichts einbringen...“
Fiala erwähnt auch weitere Einzelheiten: „Als Bürger fallen mir einige nicht durchdachte Dinge auf. So nervt es beispielsweise die Bedienung des Cafés im Erdgeschoss, wenn die Leute durch das Café gehen, wenn sie von der Halle zum Kirchenvorplatz gelangen wollen. Der Kleiderverkäufer muss wiederum, ob er es will oder nicht, Massen von Passanten ertragen, die durch seine Räume zum Ausgang an der Straßenbahnstation strömen. Das ist einfach technisch schlecht durchdacht.“
Merkwürdig findet er auch die Umbenennung des Kaufhauses; er weist dabei auf die Meinung des Archiv-Leiters der Palacký-Universität und gleichzeitig stellvertretenden Bürgermeisters Pavel Urbášek hin: „Aus historischer Sicht ist die Benennung unsinnig und hängt mit der katholischen Nachbarkirche St. Moritz nicht zusammen. Es handelt sich eher um einen ungewollten Verweis auf die jüdische Handelskultur der Stadt.“
„Verkörperung alles Schlechten“
Der Städteplaner Petr Daněk vom Verein Für ein schönes Olomouc fügt noch einen wichtigen Aspekt hinzu: „Eine der grundlegenden Voraussetzungen, mit der viele Bürger der Stadt das Prior betrachten, ist die Illegitimität des vergangenen Regimes. Das Gebäude ist nach der Revolution zur Verkörperung alles Schlechten geworden. An diesen Eindruck knüpfte später der traurige Zustand des Bereichs zwischen dem Kaufhaus und der St.-Moritz-Kirche an: geschmacklose Blumenkübel, unpraktische Lieferantenzugänge, ungepflegte Laubengänge. Es ist dann schwer zu erklären, dass der Bau selbst oder sein Architekt Melichar nichts dafür können.“
Daněk kommentiert auch die Materialwahl, die umstrittene Ausführung und die Problematik der Laubengänge, die stets ein wichtiger Kritikpunkt waren: „Der vom Autor gestaltete Mantel des Kaufhauses wurde durch einen Putz ersetzt, der eine Betonoberfläche imitiert und an einer Reihe von Stellen bereits beschädigt ist. Der ursprüngliche Gewölbegang fehlt spürbar, außerdem hat sich gezeigt, dass seine Beseitigung unnötig war. Seit der Eröffnung der Galerie Moritz waren nicht alle Geschäftsräume vermietet, dabei war gerade die Maximierung der Verkaufsfläche ein Grund, warum die Stadt darauf verzichtete, auf den Laubengang zu bestehen. Oder wird die Stadt einen Teil der Flächen anmieten und den Laubengang erneuern? Die hervortretenden Dachkonstruktionen, die den Blick auf die Frontseite der St.-Moritz-Kirche einschränken, sind erhalten geblieben.“
Positiv bewertet Daněk, dass im Stadtzentrum Flächen für Einzelhandel und Gewerbetreibende erhalten geblieben sind: „Ja, es gelingt, Einzelhandelsflächen mit einem Alltagssortiment (Lebensmittel, Drogerie, Metzger, Kiosk, Schuhe, Kleidung) im Stadtzentrum beizubehalten, ein Teil des Einkaufszentrums ist die ganze Woche geöffnet. Das ist sicher lobenswert.“ Dem sei jedoch hinzugefügt, dass ein Großteil der Galerie Moritz längst von Händlern besetzt ist, die man nicht als kleine Gewerbetreibende bezeichnen kann. Bekleidungsketten, die es überall auf der Welt gibt und ebensolche Lebensmittel- oder Drogerieketten im Souterrain des Gebäudes und so weiter.
Das Prior Olomouc, ein brutalistischer Bau und Symbol des Unterdrückungsregimes, ist verschwunden. Kein Bürger der Stadt trifft sich aber an der Galerie Moritz. Alle verabreden sich weiterhin einzig und allein am Prior.