Wächterhäuser in Leipzig
„Die richtigen Menschen zusammenbringen“
Mit Modellen zur Zwischennutzung versucht ein Leipziger Verein erfolgreich, leerstehende Gründerzeithäuser vor dem Abriss zu bewahren. Immer öfter entwickeln sich daraus auch langfristige Projekte, sagt Hannes Lindemann, Vorstandsmitglied von HausHalten e.V.
Herr Lindemann, Ihr Verein HausHalten e.V. verwaltet in Leipzig so genannte Wächterhäuser. Was sind Wächterhäuser?
Wächterhäuser sind ein Modell für die temporäre Nutzung leerstehender Gebäude. Wir vermitteln zwischen Eigentümern und potentiellen Nutzern und arbeiten einen Zwischennutzungsplan aus, der dann mindestens fünf Jahre läuft. Hauptsächlich geht es darum, Häuser vor allem aus dem großen Gründerzeitbestand Leipzigs, also der Zeit um 1900, in ihrer Substanz zu erhalten und vor Verfall oder gar Abriss zu schützen. Wir glauben, die effektivste Methode ein Gebäude zu erhalten, ist es, Nutzer und Eigentümer dabei zu unterstützen, selbst aktiv zu werden.
Wie viele dieser bedrohten Häuser gibt es in Leipzig?
Um das Jahr 2000 standen 60.000 Wohneinheiten leer, die Medien gaben Leipzig den Titel „Hauptstadt des Leerstands“. Zusätzlich hatte die Stadt lange mit einer sinkenden Einwohnerzahl zu kämpfen: eine tödliche Kombination. Heute gehen wir trotz deutlichem Zuzug nach Leipzig und einer Reduzierung des Leerstandes noch von circa 100 akut gefährdeten Gebäuden in Leipzig aus.
Dem versuchte die Bundesregierung ja dann mit dem so genannten Stadtumbau Ost entgegenzuwirken, einem Förderprogramm speziell für ostdeutsche Städte und Gemeinden.
Hannes Lindemann, Vorstandsmitglied von HausHalten e.V.
| Foto (Ausschnitt): HausHalten e.V.
Ja, die Idee war es, die Stadt in ihrer Kompaktheit zu erhalten und gewissermaßen von außen nach innen zu schrumpfen. Das gelang jedoch nur zum Teil. Es kam zu einer regelrechten Perforation der Stadt. Waren Objekte schlecht in Wert zu setzen, beispielsweise weil sie direkt an Hauptverkehrsstraßen lagen, wurden sie abgerissen – besonders dramatisch, wenn es sich dabei um Eckgebäude handelte. Das war der Moment, an dem wir uns entschlossen, aktiv zu werden.
Detektivisches Vorgehen
Ihr erstes Wächterhaus von 2005 ist ein solches Eckgebäude aus der Gründerzeit.Das stimmt, unser erstes Objekt liegt in der Lützner Straße, einer verkehrsreichen Magistrale, die vom Stadtrand in die Innenstadt führt. Wir sind damals quasi detektivisch vorgegangen, haben ganze Stadtteile durchkämmt, kamen mit Anwohnern ins Gespräch, immer auf der Suche nach Möglichkeiten, Eigentümer leerstehender Häuser ausfindig zu machen und mit ihnen in Kontakt zu kommen. In der Lützner Straße hat das dann zum ersten Mal funktioniert.
Was ist dann aus dem Haus geworden?
In diesem Fall war es so, dass die Zwischennutzer sich nach der fünfjährigen Übergangsphase entschlossen, das Objekt vom Eigentümer zu kaufen. Obwohl viele Nutzer aus dem kreativen Milieu stammen und in der Regel Schwierigkeiten haben, einen Kredit zu bekommen, war es offenbar dennoch möglich, dafür eine beachtliche Summe zu akquirieren. Man darf nicht vergessen, dass Kreative in der Regel sehr gut vernetzt sind.
Kommt das häufiger vor? Wie ist die Entwicklung bei anderen Häusern?
Das lief bei den 13 Wächterhäusern, die wir wieder entlassen haben, ganz unterschiedlich. Neben einigen Häusern, die von den Nutzern gekauft wurden, haben andere Nutzergruppen individuelle Miet- oder Nutzungsverträge mit den Eigentümern geschlossen. Andere Häuser wurden nach Ablauf der Zwischennutzung regulär vermietet. In der Regel bekommen die Zwischennutzer dann auch günstige Konditionen. Es gibt aber natürlich auch Fälle, in denen die Objekte nach dem Ablauf der Zwischennutzung klassisch saniert wurden.
Niemand wird verdrängt
Ist das dann noch in Ihrem Sinne?Vorrangiges Ziel unseres Vereins ist der Erhalt der denkmalgeschützten Bausubstanz. Dieses Ziel ist bei den Projekten immer umgesetzt worden. Gleichzeitig ist mit den Modellen von HausHalten e.V. eine Alternative zu Leerstand und klassischer Sanierung entstanden.
Das heißt, Gentrifizierung durch Modernisierung ist ein notwendiges Übel, mit dem man leben muss?
Nein. Selbst bei hochwertig sanierten Objekten ist es ja so, dass das Haus über mindestens fünf Jahre eine Plattform war, die es Leuten ermöglicht hat, sich auszuprobieren, Geschäftsmodelle durchzuspielen. Ich glaube es ist wichtig, die Temporalität der Zwischennutzung wirklich ernst zu nehmen. Sobald man als Zwischennutzergruppe Ideen entwickelt, die über seine temporäre Nutzung hinausgehen, sollte man schnell zu konstruktiven Lösungen kommen, die eben aus dieser Temporalität hinausführen, und das Gebäude als Gruppe kaufen oder längerfristig pachten. Bei den Verhandlungen mit den Eigentümern können wir dann auch unterstützen.
Aber gibt es nicht gerade den Versuch, mit alternativen Nutzungskonzepten über diese zeitliche Begrenzug hinauszugehen, um eventuellen Gentrifizierungsprozessen vorzubeugen?
Ausbauhaus im Leipziger Osten | © HausHalten e.V. Wir beschäftigen uns immer mit leerstehenden Gebäuden. Dort wird niemand verdrängt, sondern die Gebäude werden endlich wieder genutzt. Und die zahlreichen Bindungen der einstigen Hauswächter an ihre Häuser durch Kauf, Pacht oder Miete zeigen, dass das Abenteuer Zwischennutzung zu dauerhaften Nutzungen jenseits des normalen Wohnungsmarktes führen kann. Wir sind immer wieder erstaunt, wie anfänglich oft ahnungslose Nutzer nach wenigen Jahren selbstbewusste und mutige Entscheidungen für sich und „ihr“ Haus treffen.
Investition mit Gegenleistung
Abgesehen davon: Bieten Sie mittlerweile nicht auch Konzepte an, die über eine klassische Zwischennutzung hinausgehen?Genau das ist die Idee der sogenannten Ausbauhäuser. Hier vermitteln wir Mieter, die bereit sind, längerfristig in ein Objekt zu investieren – nicht finanziell, sondern indem sie selbst Renovierungsarbeiten übernehmen. In Gegenleistung bietet der Eigentümer eine deutlich reduzierte Miete.
Sind denn Eigentümer bereit, sich auf so einen Deal einzulassen? Denn viele Hausbesitzer befürchten auch, dass ihre Immobilie durch die Zwischennutzung an Wert verlieren könnte.
Beim Modell Ausbauhaus handelt es sich um klassische unbefristete Mietverträge. Aber auch bei allen befristeten Vereinbarungen sind diese Bedenken in den allermeisten Fällen vollkommen unbegründet. Im Gegenteil: Es immer wieder faszinierend zu sehen, wie gewissenhaft Menschen mit Häusern umgehen, sobald man ihnen Verantwortung überträgt. Natürlich ist es entscheidend, hier die richtigen Menschen zusammenzubringen – aber genau das ist ja unser Job.