Interview mit EUNIC: Europäische Kulturpolitik
„Echte Verständigung suchen“
Europa steht vor vielen Herausforderungen, zugleich gewinnen in einigen Ländern nationalstaatliche Perspektiven an Zustimmung. Zerfällt die europäische Idee – und wie kann Kultur dagegen halten? Ein Interview mit Andrew Murray, Direktor von EUNIC, dem Netzwerk der Nationalen Kulturinstitute in der Europäischen Union.
Herr Murray, Sie sind Direktor einer Institution, die kulturelle Zusammenarbeit und Austausch fördern will – eine umfassende Aufgabe.
Das ist in der Tat das, was wir bei EUNIC erreichen wollen: Zusammenarbeit und Austausch zwischen den Völkern der Europäischen Union (EU) und dem Rest der Welt. Dabei arbeiten wir mit den EU-Institutionen für Kultur und den nationalen Instituten zusammen, die für kulturelle Beziehungen und Kultur-Diplomatie, die so genannte cultural diplomacy, zuständig sind – dazu gehören zum Beispiel die Außen- und Kultusministerien der Länder. Eine einfache Aufgabe ist das nicht, nationales Denken ist noch immer die vorherrschende Kraft in der Welt. Beim Thema cultural diplomacy ging es bis vor Kurzem vor allem um die nationale Kultur und die nationale Marke. Dieser Denkansatz wird jetzt erst von den EU-Institutionen in Frage gestellt. So spricht Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, davon, dass es eine bessere Form von cultural diplomacy geben könnte.
Was genau meint sie damit?
Der Brite Andrew Murray leitet das EUNIC-Büro in Brüssel;
| © EUNIC
Statt Europas Kulturen in den Rest der Welt zu tragen und für sie zu werben, sollten wir Vertrauen aufbauen und eine echte Verständigung mit den außereuropäischen Ländern suchen. Im Zentrum sollten dabei Gegenseitigkeit und Austausch stehen. Mogherini hat die Kultur wirklich ins Zentrum der neuen EU-Außenpolitik gerückt. Ich glaube nicht, dass die Nationalstaaten bisher wirklich verstanden haben, wie radikal dieser neue Ansatz sein kann. Und es gibt noch eine weitere wichtige Komponente dabei: ein tieferes und breiteres Verständnis von Kultur, das nicht nur die Künste umfasst, sondern auch das Politikverständnis, das Rechtswesen, Sport und Bildung. Die EU spricht deswegen auch von international cultural relations, von internationalen Kulturbeziehungen, und nicht mehr von cultural diplomacy. Die Initiative kommt hier nicht aus den Mitgliedsstaaten, sondern von den EU-Institutionen: aus dem Europäischen Parlament, dem Europäischen Auswärtigen Dienst und der Europäischen Kommission.
Brauchen wir neben solch einer internationalen Strategie auch eine Strategie, um den Europäischen Geist wieder zu beleben? Statt zusammen zu stehen, sehen wir in der Europäischen Union vielfach einen Rückfall in nationalstaatliche Positionen. Rechtspopulisten haben Erfolg bei Wahlen. Wie sollen wir Werbung für Europa in der Welt machen, wenn wir uns nicht einig sind?
Ich glaube nicht, dass es so etwas wie den europäischen Geist gibt – jedenfalls noch nicht. Versucht man in Neu-Delhi, Peking oder Rio über europäische Kultur zu reden, spricht man schnell von italienischer Mode, französischer Küche oder deutscher Literatur. Wo man auch sucht, man findet zwar die Kulturen Europas, aber nicht die europäische Kultur. So etwas gibt es noch nicht. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte sich vorgestellt, dass ein paar Intellektuelle, wenn man ihnen Zeit und Raum dafür gibt, ein neues europäisches Narrativ finden könnten. Aber so einfach funktioniert das nicht. Kultur kommt von unten, nicht von oben. Momentan sind die Dinge, die Europa zusammenhalten eher Easyjet und Ryanair, nicht die Narrative der Intellektuellen. Junge Leute reisen und erleben Europa dank dieser Billigfluglinien – oder über das Bildungsprogramm Erasmus plus. Das sind die Instrumente, die ein Gefühl von Europa vermitteln.
Welche Rolle kommt der Kultur dann derzeit in Bezug auf Nationalismus und anti-europäischen Populismus zu?
Kultur ist wichtig, weil diese populistischen Bewegungen Politik mit Kultur verschmelzen. Sie sagen: „Meine Nation, mein Volk, meine Sprache, meine Kultur sind besser als deine Kultur.“ Politiker sehen zunehmend, dass diese Rhetorik am Wahltag Erfolge bringt. Die politische Führung der beiden Volksparteien in Österreich hat das 2016 bei den Wahlen zum Bundespräsidenten erfahren. Sie haben verloren, die Grünen und die Rechten haben zugelegt. Weil sie Zukunftsvisionen liefern, die auf kulturellen Ideen beruhen. Die einen halten an einer österreichischen Identität fest, die anderen haben eine breitere, eher idealistische Vision. Man kann Kultur also nicht ignorieren. Besonders, wenn man Kultur als etwas versteht, was über die Künste hinaus geht und auch Geschichte, Sprache und das eigene gesellschaftliche Selbstverständnis umfasst.
Welche Rolle können nationale Kulturinstitute bei der Überwindung solchen Denkens spielen, dass eine Kultur besser sei als die andere?
Deutschland hat es vorgemacht und seine „Marke“ seit 1945 neu erfunden. Immer wieder fragen Leute: „Wie habt ihr das gemacht? Dass die Leute nicht mehr denken, dass ihr die schlimmste Nation der Welt seid, sondern die beste?“ Ich glaube, das wurde – zumindest zum Teil – dadurch erreicht, dass Deutschland kulturelle Beziehungen gefördert und gelebt hat und nicht einfach cultural diplomacy betrieben hat. Das Goethe-Institut wirbt seit den 1950er-Jahren für die Werte Gegenseitigkeit und Austausch. Es waren das Goethe-Institut und ähnliche Einrichtungen aus anderen Ländern, wie zum Beispiel der British Council, die gezeigt haben, dass man am besten Vertrauen aufbaut, wenn man die Beziehungen der Menschen untereinander fördert und nicht einfach nur auf die traditionelle cultural oder public diplomacy setzt.
EUNIC – Nationale Kulturinstitute in der Europäischen Union
ist das 2007 gegründete Netzwerk der Kulturinstitute der 28 Mitgliedsländer der Europäischen Union. Die Institution hat die Aufgabe, einen dauerhaften Austausch zwischen den nationalen Instituten schaffen. Zudem soll EUNIC die Vielfalt und die Verständigung zwischen den europäischen Gesellschaften sowie den internationalen Dialog und die Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb Europas stärken. Das Goethe-Institut ist Mitglied des EUNIC-Netzwerks.