„Axiom“, Jöns Jönsson
Deutsche Filme auf der Berlinale (V)
Im Mittelpunkt dieses Films (Uraufführung in der Sektion Encounters) steht ein zwanghafter Lügner.
Von Miguel Muñoz Garnica
Etwa in der Mitte des Films wird uns ein intimer Einblick in das Leben von Julius (Moritz von Treuenfels) gewährt. Bis dahin haben wir ihn in sozialen Situationen begleitet. Dass wir ihn schließlich allein sehen, ist nicht zu vernachlässigen, denn inzwischen wissen wir, dass Julius an einer Art Mythomanie leidet: Er erfindet zwanghaft Geschichten über sein Leben, ohne einen richtigen Grund. An diesem Punkt der Erzählung hat Jönsson die Geschichte um die Zwänge, die den Protagonisten in die Enge treiben, schon so sehr strapaziert, dass es eine Erleichterung ist, ihn nun so zu sehen. Aber nicht nur das. In einer seitlichen Einstellung ist Julius sitzend zu sehen, bis plötzlich von außerhalb des Bildausschnitts Licht einfällt und seine Gestalt beleuchtet. Zwei weitere Aufnahmen: Ein Blick auf die Sonne, die durch das Fenster scheint, und eine Detailaufnahme von Julius’ Händen, in ihr Licht getaucht. Dann blendet Jönsson zum Titel des Films über.
Warum vergehen in Axiom knapp fünfzig Minuten, bevor der Titel erscheint? Es scheint klar zu sein, dass der Regisseur auf ein Axiom hinweisen möchte, eine Wahrheit, die nicht bewiesen werden muss. Wenn wir uns einen Dialog aus dem Film näher ansehen, können wir erraten, um welches es geht: Julius erzählt, dass er als Jugendlicher beschloss, auf intuitive Weise Philosophie zu studieren. Das heißt, anstatt einem Kanon von Gedanken zu folgen, der ihn rational von einem Text zum anderen führen würde, wählte er seine Lektüre rein zufällig aus und bemerkte dennoch, dass gewisse Wahrheiten durchschienen. Dinge, die er wissen musste.
Dann wirft das Sonnenlicht, das in den eingangs erwähnten Bildausschnitt eindringt, eine Frage auf: Kann ein Blick darauf den Schleier über Julius lüften? Können wir tatsächliches Wissen jenseits all der Worte erlangen, die er über sich selbst improvisiert? Jedes Schweigen des Protagonisten und jede seiner Gesten oder Blicke, die zu Tage treten, eröffnen einen Weg zu dieser Möglichkeit. Obwohl in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen auf Julius der ewige Fluch des Sisyphos lastet – jedes Mal, wenn sein Lügenkonstrukt ihn in eine Sackgasse führt, bleibt ihm nur die Flucht nach vorn und er erfindet neue Geschichten –, dringt eine intuitivere Wahrheit in die Bilder ein und teilt sich uns nachhaltig mit.
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