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Provenienzforschung
Das koloniale Erbe

Ab 2020 sollen die außereuropäischen Sammlungen im Berliner Stadtschloss zu sehen sein.
Ab 2020 sollen die außereuropäischen Sammlungen im Berliner Stadtschloss zu sehen sein. | Foto (Zuschnitt): picture alliance/dpa/Stefan Jaitner

Das für 2020 geplante Humboldt-Forum soll mit seinen außereuropäischen Exponaten ein Ort der Begegnung der Kulturen werden. Doch wie gehen deutsche und europäische Kulturinstitutionen mit kritischen Fragen nach der Restitution von Kolonialerbe um? Sollten sie Kulturgüter aus anderen Weltteilen überhaupt besitzen und ausstellen dürfen?

Von Christoph Schmälzle

Bald ist es soweit, dass das Berliner Humboldt-Forum seine Pforten öffnet: Bisher waren die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin im etwas außerhalb gelegenen Stadtteil Dahlem untergebracht, fernab von den touristischen Hotspots der Hauptstadt. Ab 2020 sollen sie nun im wiederaufgebauten Stadtschloss zu sehen sein. Die Berliner Museumsinsel mit ihren reichen Beständen wird so zum universalen Schauplatz der Weltkulturen. Doch das Projekt ist höchst umstritten. Das liegt vor allem an einer neuen Sensibilität im Umgang mit den Relikten des Kolonialzeitalters: Welche Art der Präsentation wird diesen Objekten gerecht? Und wie kamen sie überhaupt in den Besitz einer europäischen Institution?
 
Die Frage, wie europäische Museen mit kolonialzeitlichen Exponaten aus anderen Kulturkreisen umgehen sollen, hat in den letzten Jahren zu heftigen Diskussionen geführt. In Deutschland entlädt sich die Debatte am Beispiel des Humboldt-Forums. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy trat 2017 aus dem Expertenbeirat des Forums aus und erhob weitreichende Vorwürfe: Sie verglich das geplante Museum mit dem Reaktor von Tschernobyl; blutiges Unrecht werde unter einer bleiernen Decke begraben. Savoy zählt zu den Beratern des französischen Präsidenten, der in den kommenden Jahren umfassende Restitutionen in die Wege leiten will – also Kulturgüter an die Ursprungsländer zurückgeben möchte.

Die Provenienzforschung – ein Hilfsmittel mit Grenzen

Einen Teil der Antwort auf die Fragen vermag die Provenienzforschung zu geben. Dieser relativ neue Zweig der Kunstgeschichte rekonstruiert die Herkunftsgeschichte von Objekten. Mithilfe dieser Informationen, so hofft man, kann ermittelt werden, ob sie rechtmäßig oder illegal in den Besitz der Kulturinstitutionen gelangten. Der Deutsche Museumsbund hat 2018 einen Leitfaden zum Umgang mit Objekten aus der Kolonialzeit publiziert, dessen Autoren jedoch zugleich darauf hinweisen, dass für die Herausgabe strittiger Objekte meistens die Rechtsgrundlage fehle.
 
Britische Soldaten vor geraubter Kunst aus Benin 1897. Britische Soldaten vor geraubter Kunst aus Benin 1897. | Foto: picture alliance/CPA Media Rechtlich ist die Sachlage tatsächlich komplex: Im Unterschied zu Raubgut aus der Zeit des Nationalsozialismus existiert für Kunst aus der Kolonialzeit derzeit kein internationales Regelwerk wie die Washingtoner Erklärung, in der zahlreiche Länder – darunter auch Deutschland – eine Selbstverpflichtung eingingen. Wenn aber Begriffe wie Raub oder Enteignung mehr als Metaphern sein sollen, kommt man an einer juristischen Bewertung der Besitzverhältnisse auch bei kolonialzeitlichen Objekten nicht vorbei. Allerdings sehen weder die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 noch das UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut von 1970 eine rückwirkende Rechtsanwendung vor – und im 19. Jahrhundert galten andere Maßstäbe als heute.
 
Als wissenschaftliche Disziplin kann die Provenienzforschung ohnehin nicht alle Erwartungen erfüllen, die an sie herangetragen werden. Die Prüfung der Quellen braucht Zeit und führt keineswegs immer zu eindeutigen Ergebnissen. Dazu kommt, dass bei weitem nicht alle Exponate in den Museen einen unmittelbar kolonialen Hintergrund haben. Einige der prominentesten Streitfälle beispielsweise betreffen legale Rechtsgeschäfte zu Friedenzeiten. Weder bei der Nofretete, einer ägyptischen Büste, die auf der Berliner Museumsinsel ausgestellt wird, noch bei den Elgin Marbles – Marmorskulpturen von der Athener Akropolis, die heute im British Museum in London zu sehen sind – ist daher Bewegung zu erwarten.

Teil einer gemeinsamen Vergangenheit

Die Ausgestaltung unseres Verhältnisses zu den ehemaligen Kolonialgebieten ist ein Problem, das sich nicht auf der Arbeitsebene eines Museums lösen lässt. Mit Ausnahme weniger klarer Fälle verlangt die Restitutionsdebatte eine politische Entscheidung zwischen konkurrierenden Interessen und Meinungen. Entsprechend unversöhnlich stehen sich die Akteure gegenüber. Horst Bredekamp, einer der Gründungsintendanten des Humboldt-Forums, klagt: „Nicht die Wertschätzung der Exponate fremder Kulturen, sondern die hypostasierte Schuld, diese zu besitzen, steht gegenwärtig im Fokus.“ Bénédicte Savoy fordert Umverteilung: „Es geht nicht darum, ob Objekte legal oder illegal in der Kolonialzeit nach Europa gekommen sind, es geht um eine gerechtere, um eine faire Verteilung des Kulturerbes in den Regionen, aus denen die Objekte stammen.“
 
Das Skelett eines Brachiosaurus aus dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika im Museum für Naturkunde in Ost-Berlin ist mit einer Höhe von 13 Metern das weltweit größte ausgestellte Dinosaurierskelett und ein Publikumsmagnet. Das Skelett eines Brachiosaurus aus dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika im Museum für Naturkunde in Ost-Berlin ist mit einer Höhe von 13 Metern das weltweit größte ausgestellte Dinosaurierskelett und ein Publikumsmagnet. | Foto: picture alliance / Eventpress HHH Nach mehr als hundert Jahren sind die fraglichen Objekte jedoch längst Teil einer gemeinsamen Vergangenheit, und viele der diskutierten Fälle lassen mehr als nur eine Lesart zu. So müsste auch das Instrument der Restitution als vermeintlich universale Form der Wiedergutmachung kritisch hinterfragt werden. Eine unerwartete Wende in diese Richtung erlebte zum Beispiel die Diskussion um die Dinosaurier-Knochen, die zwischen 1909 und 1913 aus dem damaligen Deutsch-Ostafrika nach Berlin gelangten. Auf einer Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen Heiko Maas im Mai 2018 forderte der Außenminister des heutigen Tansania zukunftsgerichtete Formen der Zusammenarbeit statt einer Rückführung.

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