Autorisierter Kulturerbe-Diskurs
Deutsche Kolonialgeschichte in Namibia hinterfragen
Die heutige Erinnerungs- und Kulturerbe-Landschaft in Namibia erinnert sichtbar an die deutsche Kolonialzeit, da viele prominente Monumente und Gebäude nach wie vor als Nationaldenkmal geschützt sind.
Von Gina Paula Figueira
Die Vermächtnisse des Kolonialismus sind überall auf der Welt auch heute noch stark spürbar. Postkoloniale Gesellschaften ringen nach wie vor mit der ungleichen Verteilung von Reichtum und Land, die aus langen Jahren der systematischen Unterdrückung indigener Gemeinschaften resultiert. Mit diesen Vermächtnissen dürfte insbesondere in postkolonialen Gesellschaften häufig einhergehen, was Kulturerbe-Expertin Laurajane Smith einen ererbten „autorisierten Kulturerbe-Diskurs“ (Authorised Heritage Discourse, AHD) über die Geschichte des Kolonialismus nennt.
Selektives Gedächtnis
Die heutige Erinnerungs- und Kulturerbe-Landschaft in Namibia erinnert sichtbar an die deutsche Kolonialzeit: Viele prominente Monumente und Gebäude sind durch ihren Status als Nationaldenkmal geschützt, der ihnen während der Mandatsverwaltung durch das Südafrika der Apartheid-Ära verliehen wurde, nachdem das deutsche Kaiserreich 1919 seine Kolonien verloren hatte (George Steinmetz: „Harrowed Landscapes: White Ruingazers in Namibia and Detroit and the Cultivation of Memory“, in Visual Studies 23/3, 2008).
Diese Denkmäler sind greifbare Pfeiler eines AHD, der die Idee einer deutschen Kolonialgeschichte als positiven Einfluss auf die ehemalige Kolonie privilegiert. Smith beschreibt AHD als „einen hegemonialen Diskurs über das Kulturerbe, der die Art konstituiert, wie wir über Kulturerbe denken, sprechen und schreiben“. Im Mittelpunkt dieses Diskurses stehen die Monumentalität und die sogenannten „Experten“, die als Wächter und Erzähler dessen dienen, was als wertvolles und würdiges Kulturerbe gilt. Im Falle des deutschen Kolonialismus in Namibia konzentriert sich der anhaltende AHD zu dieser Ära und ihren Relikten auf die Errungenschaften der deutschen Kolonialsoldaten – der Schutztruppe – sowie der Pioniere und Siedler.
Durch die Hervorhebung der angeblichen Vorteile, die durch den deutschen Kolonialismus gewonnen wurden, wie etwa die häufig angeführte koloniale Infrastruktur, „rechtfertigen [die Nachfahren der Kolonialsoldaten und Siedler im zeitgenössischen Namibia] deren Taten und … tilgen jede Erinnerung an ihre Verbrechen aus“, schreibt Reinhardt Kössler („Namibia and Germany: Negotiating the Past“ in: Windhoek: University of Namibia Press, 2015).
Wessen Geschichte?
Zwischen 1904 und 1908 begingen die deutschen Kolonialtruppen unter Befehl von General Lothar von Trotha Völkermord an den namibischen Völkern der Herero und Nama, der die Auslöschung von etwa der Hälfte der Nama-Bevölkerung und zwei Dritteln der Herero-Bevölkerung zur Folge hatte. Nahe dem Standort des ersten Konzentrationslagers in Windhoek wurde zu Ehren der deutschen Kolonialsoldaten, die in dieser Zeit starben, ein Denkmal errichtet.
Viele Namibier, insbesondere deutschsprachige Namibier, argumentierten, dass die Statue aufgrund ihrer kulturellen und historischen Bedeutung überhaupt nicht umgesiedelt werden sollte. Der deutsch-namibische Historiker Andreas Vogt beharrte darauf, dass „in Namibia geborene Deutschsprecher“ ein Recht darauf hätten, „im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich verankerten kulturellen und Minderheitenrechte die Bewahrung ihres kulturellen Erbes einzufordern“ („To Move or Not to Move: On the Relocation of the Equestrian Monument in Windhoek“, in The Namibian Newspaper, 2008).
Den Status des Reiterdenkmals als Nationaldenkmal 2013 aufzuheben, erlaubte der namibischen Regierung, es von seiner prominenten Position auf einer Anhöhe zu entfernen und so eine staatlich sanktionierte Anfechtung dieses Status Quo in Gang zu setzen.
Während richtig ist, dass Deutsch-Namibier*innen zahlenmäßig eine Minderheit darstellen, dürften ihre kulturellen Rechte von einem AHD geschützt worden sein, der dazu dient, ihr Erbe und ihre Geschichte in den Mittelpunkt zu stellen und zu validieren. Die Historische Denkmalskommission für Südwestafrika wurde 1948 gegründet, die Mehrheit ihrer Mitglieder waren deutsche Siedler. Als Folge waren 77 der 117 Stätten, die zwischen 1950 und 1990 zu Nationaldenkmälern erklärt wurden, deutsche Strukturen aus der Zeit vor 1918, was Steinmetz zufolge aufzeigt, welche Bedeutung der Bewahrung von Relikten aus der Kolonialzeit zugewiesen wurde Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie systematisch und tief verwurzelt die Bewahrung des deutschen Kolonialerbes war und ist.
Den Status des Reiterdenkmals als Nationaldenkmal 2013 aufzuheben, erlaubte der namibischen Regierung, es von seiner prominenten Position auf einer Anhöhe zu entfernen und so eine staatlich sanktionierte Anfechtung dieses Status Quo in Gang zu setzen. Trotz dieses selbstbewussten Schritts, oder vielleicht als Reaktion darauf, stellte ein privater Restaurantbesitzer in der Küstenstadt Swakopmund, die aufgrund ihres alteingesessenen deutschen Kolonialerbes auch als ‚Kleindeutschland‘ bekannt ist, im Februar 2019 im Innenhof seines Restaurants eine Kopie des Reiterdenkmals auf.
Trotz der Infragestellung dieses AHD des deutschen Kolonialismus „validiert [der AHD] ein Set von Praktiken und Performances … und unterminiert alternative und subalterne Vorstellungen von ‚Kulturerbe‘“, wie Smith erläutert. So wird der AHD ebenso mühelos wiederholt und fortgeschrieben, wie er im Kern hegemonial ist. Um damit zu beginnen, die postkolonialen Machtverhältnisse in der zeitgenössischen namibischen Gesellschaft zu hinterfragen, müssen wir verstehen, auf welche Arten Darstellungen, die die Errungenschaften des deutschen Kolonialismus hervorheben und gleichzeitig die Brutalität und Gewalt aussparen, auf der er aufbaute, Teil dieses AHD sind.
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