Buchmarkt
Zwischen Euphorie und Endzeitstimmung
E-Books, Smartphone-Apps und Online-Leseplattformen: Die Nische des digitalen Publizierens ist bunt und lebendig, aber es bleibt eine Nische.
Von Matthias Bischoff
„Das Buch ist unzerstörbar“, sagte der künftige Chef des Rowohlt-Verlags und Bestsellerautor Florian Illies (Romane unter anderem: Generation Golf, 1913) im Spätsommer 2018 in einem Interview. Doch was bedeutet diese seltsam defensive Aussage – was ist es, das dem gedruckten Buch ernsthaft Konkurrenz macht?
Jedes Jahr rund um die Frankfurter Buchmesse werden mit schöner Regelmäßigkeit dieselben Diskussionen geführt. Hat das Buch noch eine Chance, oder gucken alle Menschen nur noch Filme und glotzen in ihre Handys? Nachrufe auf die Buchbranche gab es immer schon, aber seit der Jahrtausendwende, und mehr noch nach der Erfindung des Smartphones und des Tablet-Computers, sehen viele das Ende der klassischen Buchkultur voraus.
Aber diese scharfe Abgrenzung von gedrucktem Buch und digitalen Inhalten ist Unfug; und die Euphorie der digitalen Neuerer ebenso übertrieben wie die Weltuntergangsstimmung der Papierliebhaber. In den vergangenen Jahren haben sich zahlreiche Anbieter, die mit viel Elan aufgebrochen waren, um neue Märkte und neue Zielgruppe zu erobern, wieder aus den digitalen Projekten zurückgezogen. Die E-Reading-Plattform „SoBooks“ etwa oder die Fachbuchplattform für Studenten „PaperC“ sind verschwunden. Eines der Vorzeigeprojekte der Branche, die Story-Plattform „oolipo“ des Verlags Bastei-Lübbe, wurde dichtgemacht, und die Smartphone-Leseplattform „readfy“ wurde nach finanziellen Schwierigkeiten vom E-Book- und Hörbuch-Onlinehändler Legimi übernommen. Mit diesen und ähnlichen Projekten wurde einfach nicht das notwendige Geld verdient, und die Liste der gescheiterten Projekte ließe sich noch lange fortsetzen.
Die Leselust schwindet, die Aufbruchsstimmung ist vorbei
Das liegt vor allem daran, dass auf diesen Plattformen nicht genügend attraktive Inhalte angeboten wurden, für die Nutzer auch bereit waren zu bezahlen. Medienplattformen in anderen Branchen haben gezeigt, wie man Nutzer gewinnt: Netflix, Amazon Prime Video oder auch Spotify machen vor, wie man mit digitalen Inhalten direkt übers Smartphone oder Tablet an den Hörer oder Zuschauer kommt. „Reichweitengenerierung“ nennt man dieses Phänomen, und alle, die in den letzten Jahren versucht haben, digitale Buchinhalte zu verkaufen, sind letztendlich daran gescheitert, dass sie eben zu wenig Reichweite generiert haben.In den Verlagen ist höchst umstritten, ob und auf welche Weise mit digitalen Produkten Geld verdient werden kann. Die Aufbruchsstimmung der Jahrtausendwende ist jedenfalls gründlich verflogen, nennenswerte Absatzzuwachsraten gehören der Vergangenheit an. Während der Umsatzanteil von E-Books im deutschen Buchmarkt zwischen 2010 und 2013 von 0,5 Prozent auf 3,9 Prozent gestiegen war, verharrt er seitdem bei viereinhalb Prozent – bei einem Gesamtumsatz der Buchbranche von 9,1 Milliarden Euro.
Brancheninsider vermuten, dass trotz verbesserter Endgeräte wie Tolino, Amazon-Fire und Tablets ein Sättigungsgrad erreicht ist und sich in den nächsten Jahren nur noch minimale Zuwächse ergeben werden. Denn das grundlegende Problem ist ein anderes: Die Leselust schwindet allgemein, unabhängig vom Lesemedium. Ganze 6 Millionen Buchkäufer hat die Branche in den letzten zehn Jahren verloren, und es ist mehr als zweifelhaft, ob sie diese über digitale Kanäle zurückgewinnen kann.
Neue Nischen entstehen im Internet
Doch haben sich in der unendlichen Welt des Internets zahlreiche Nischen entwickelt, die unabhängig von den traditionellen Publikumsverlagen funktionieren. Klar, große Literaten kommen nach wie vor nicht an Institutionen wie Suhrkamp, Hanser, Rowohlt, Fischer und vielen anderen vorbei. Aber das Heer jener Menschen, die früher vergeblich auf eine Veröffentlichung hofften, hat durch das führend von Amazon betriebene Self-Publishing endlich eine Öffentlichkeit gefunden; dieser Markt ist kunterbunt und lebendig. Manch einer hat auch schon Geld mit diesen ausschließlich digital angebotenen Inhalten verdient, und die Legendenbildung um den ursprünglich als E-Book veröffentlichten Titel „50 Shades of Grey“ von E.L. James, der in Europa zum Bestseller/Kassenschlager wurde, beförderte bei vielen die Hoffnung, auch mal so einen Coup zu landen. Die etwas profanere Wirklichkeit ist, dass es nun abertausende Titel gibt, dass sich schaurig-schwüle Erotikwälzer, historische Romane, Esoterik und Memoiren gegenseitig Konkurrenz machen. Immerfort gibt es Sonderangebote, E-Books für 99 Cent oder für ein paar Tage ganz umsonst, um wenigstens ein klein wenig Aufmerksamkeit zu erregen.Nennenswerte Zuwächse im digitalen Publizieren verzeichnet allein das Fachbuch: Bei medizinischen, juristischen und anderen Wissenschaftspublikationen haben digitale Veröffentlichungsformen nicht zuletzt wegen der fortlaufenden Aktualisierungen den Printversionen längst den Rang abgelaufen. Auf einen Nenner gebracht: Auf der Arbeit nutzen viele Leser Buchinhalte in digitaler Form, aber für die Freizeit bevorzugen sie das klassische Printprodukt. Sterben, da hat Florian Illies sicher recht, wird das klassische Buch noch lange nicht.
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