Ausgesprochen … gesellig
Wie man sich in Deutschland vorstellt
Wer sich in Deutschland vorstellt, sagt meist seinen Vornamen – und nennt direkt danach seinen Beruf. Für unseren Kolumnisten Maximilian Buddenbohm ist das gar nicht so einfach.
Von Maximilian Buddenbohm
Bei Vorstellungen sagt man erst seinen Namen, immer öfter nur noch den Vornamen, denn die Gesellschaft geht langsam zum allgemeinen Du über. Wenn es nicht aus der Situation heraus schon klar ist, nennt man bald danach auch seinen Beruf, man sagt also, was man macht. Das ist so üblich.
Wenn der Beruf nicht genannt wird, weil man etwa auf einer privaten Party ist und gerade nicht über den Job sprechen möchte, dann fragen alle, sobald man weg ist: „Der war ja nett, aber was macht er denn?“ Denn es ist essenziell, was man macht. Man hat hier sonst kein richtiges Bild vom Menschen, man ist im Grunde nichts ohne Beruf. Wobei Schüler oder Student auch als Beruf durchgeht, man kann also immerhin schon ab etwa sechs Jahren etwas sein.
„Ich bin eher introvertiert“
Man sagt bei Vorstellungen niemals, was man sonst so ist, das würde andere nur irritieren: „Ich heiße Maximilian und bin eher introvertiert“, das will keiner wissen. Man sagt auch nicht, dass man Vater ist oder das Sternzeichen Löwe hat, dass man Atheist oder ökologisch interessiert ist, das ist alles egal. Man will nur hören: „Ich bin Klempner.“Wobei ich kein Klempner bin, das ist jetzt nur ein beliebiges Beispiel, das mir spontan einfällt, weil Klempner gerade in den Medien oft vorkommen, sie sind in Deutschland nämlich selten geworden. Wäre ich also Klempner, die Leute würden bei der Vorstellung sagen: „Ah, schön! Die werden ja dringend gebraucht!“ Und sie würden sich sofort etwas unter meinem Beruf und dadurch auch unter mir vorstellen können und mir zur Sicherheit meines Jobs gratulieren. Das wäre einfach und erfreulich.
Vormittags Zahlen, nachmittags Buchstaben
Aber es ist nicht einfach. Wenn ich mich vorstelle, sagt niemand: „Ah, schön!“ Denn ich bin vormittags festangestellter Controller in einem Konzern, nachmittags bin ich freier Autor. Vormittags Zahlen, nachmittags Buchstaben, wie ich immer schnell ergänze, damit die Leute nicht so lange staunend vor mir stehen. Ich bin nicht eindeutig, das ist das Problem. Was von beidem bin ich wohl mehr?Meine Kollegen im Controlling halten mich tendenziell für irre, weil ich freiwillig nur Teilzeit arbeite und danach dubioses Kreativzeug mache. Meine Kollegen beim Schreiben halten mich tendenziell für irre, weil ich freiwillig in einer Finanzabteilung arbeite, so etwas tut man nicht in kreativen Kreisen.
Du sollst nur einen Beruf haben!
Meine Kollegen im Controlling denken oft, ich müsse nachmittags quasi frei haben, denn da denke ich doch nur so vor mich hin und schreibe hier und da ein paar Zeilen, das klingt überhaupt nicht wie richtige Arbeit. Meine Kollegen beim Schreiben denken dagegen oft, ich müsse doch recht entspannte Vormittage haben, so als Mensch mit festem Job, denn in der Zeit muss ich doch keinen neuen Aufträgen nachjagen und mir auch nichts Geistreiches kurz vor einer Deadline ausdenken.Tatsächlich arbeite ich ziemlich viel, aber dummerweise bin ich durch meine zwei Berufe der einzige Mensch, der es jemals bemerkt. Ich habe oft das Gefühl, meine Gesprächspartner überlegen immer wieder, wer ich denn nun wirklich bin, auch wenn ich noch so oft erkläre, dass ich zwar mehrere Berufe habe, aber ansonsten ein halbwegs normaler Mensch bin, jedenfalls soweit ich weiß. Niemand kann gut damit umgehen. Übrigens auch kein Formular in diesem Land, das Wort Beruf kommt dort kategorisch nur im Singular vor. Du sollst nur einen Beruf haben! Das steht so weder in der Bibel noch im Gesetzbuch, aber es gilt doch, als stünde es gleich in beiden.
Mein Name ist Maximilian Buddenbohm, ich bin hier Kolumnist. Belassen wir es einfach dabei.
„Ausgesprochen …“
In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Qin Liwen, Dominic Otiang’a und Gerasimos Bekas. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen.
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