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Buchmesse Frankfurt 2020
Literaturbetrieb in Zeiten der Pandemie

Ein Schild an der Straße, die am Messegelände vorbei in die Stadt führt, rät am Morgen "Abstand halten! Zuhause bleiben! Bleibt gesund!"
Wegen Corona bleibt 2020 das Messegelände in Frankfurt leer | Foto (Detail): © Picture alliance/ dpa/ Frank Rumpenhorst

Wegen der Corona-Epidemie präsentiert sich die Buchmesse in Frankfurt 2020 ausschließlich digital. Schade um all die persönlichen Begegnungen, die deshalb ausfallen, meint Berit Glanz – und freut sich über immer mehr inspirierende Literaturdebatten in den sozialen Medien.

Es gehört zu den weitverbreiteten Mythen der modernen Kulturgeschichte, dass die Entstehung von Büchern eine einsame Angelegenheit darstellt. Im Gegensatz zu dieser Wahrnehmung ist das Büchermachen jedoch ein ausgesprochen sozialer Vorgang. Obwohl man zumeist alleine an einem Buch schreibt, sind am Entstehungsprozess von Agentur über Lektorat bis Vertrieb zahlreiche Personen beteiligt. Und auch nach dem Erscheinen sind die verschiedensten Akteur*innen damit beschäftigt, das Buch und die Lesenden zusammenzubringen.
 

Sozialer Knotenpunkt

Einmal im Jahr gibt es mit der Buchmesse in Frankfurt am Main einen Ort, an dem man all diese Menschen persönlich antreffen kann. Die Buchmesse lebt nicht nur von geschäftlichen Terminen, die sich dicht an dicht aneinanderreihen, sondern von dem sozialen Drumherum, den gemeinsam getrunkenen Kaffees, den Empfängen an verschiedenen Verlagsständen, dem Lesungsprogramm, den Abendessen und Partys, die sich bis spät in die Nacht ziehen. Während der Messe sieht man alte Bekannte wieder, umarmt Freund*innen und lernt endlich das Gesicht zu der Stimme kennen, mit der man bereits öfter telefoniert hat.
 
Soziale Gewebe wie der Literaturbetrieb sind komplex und fragil, manche Beziehungen sind vergänglich, halten nur einen gemeinsamen Abend, andere ziehen sich über viele Jahre und werden in jährlicher Regelmäßigkeit beim Treffen in Frankfurt gepflegt. Der soziale Überfluss sorgt dafür, dass gegen Ende der Messetage bei vielen eine tiefe Ermüdung eintritt. Die typischen Erkältungskrankheiten nach dem Branchentreff im Herbst sind ein Mitbringsel, dem schon vor Ort mit abwehrstärkenden Mittelchen getrotzt wird – meist ohne Erfolg, denn die Kombination aus Menschenmassen, Schlafmangel und Hallenluft trägt zur Schwächung der Abwehrkräfte bei.
 
In pandemischen Zeiten müssen solche Schilderungen der Messe als Virenschleuder hellhörig machen, deshalb wurde - auch wenn es allen Beteiligten schwer gefallen ist - die Frankfurter Buchmesse schlussendlich vollständig abgesagt. Diese Nachricht macht traurig, obwohl wir uns im Verlauf dieses chaotischen Jahres bereits an viele Planänderungen gewöhnt haben. 
 

Digitales Feuilleton

Mit der Verlagerung von Treffen und Gespräche in den virtuellen Raum haben in den letzten Monaten viele Akteur*innen eine Spielwiese betreten, die sie lange nur zögerlich umkreist haben. Das einsame Tippen vor dem Bildschirm wurde für zahlreiche Schreibende jedoch schon seit Längerem immer wieder unterbrochen von online geführten Gesprächen, Tweets, Statusmeldungen – sozialen Interaktionen im digitalen Raum, die manchmal ablenken, oft aber auch motivieren oder inspirieren. Die Zahl der online aktiven Menschen aus dem Kultur- und Literaturbetrieb steigt seit Jahren rasant, viele Kontakte werden mittlerweile in den sozialen Medien geknüpft. Wer dabei jedoch nur an professionelles Netzwerken denkt, liegt  falsch, denn in den sozialen Medien wird eifrig über Literatur nachgedacht, debattiert, gestritten und es werden die eigenen Leseerlebnisse aktiv begleitet.
 
Persönlich habe ich etwa bei den vom digitalen Feuilleton 54Books bereits 2019 unter dem Hashtag #54Reads initiierten virtuellen Lesekreisen auf Twitter erfahren, wie gut Gespräche über Literatur in den sozialen Medien funktionieren können. Die Literatur ist in vielen sozialen Netzwerken sehr lebendig. So gibt etwa die Buchhändlerin Magda Birkmann auf Twitter als @Magdarine unzählige Literaturtipps und hat den #MagdarineChallenge ins Leben gerufen, bei dem sie erfolgreich dazu anregt, Bücher von in Vergessenheit geratenen oder wenig beachteten Autorinnen zu kaufen, zu lesen und die Bücher in Kurzrezensionen auf Twitter vorzustellen. Der Autor und Veranstalter Fabian Navarro hat seine Online Aktivtäten ausgeweitet und gibt unter dem Titel „Stream & Drang“ Schreibworkshops mit Lesung auf der Streaming-Plattform Twitch und unterstützt mit Youtube-Anleitungen andere Kulturschaffende dabei, ihre eigenen Streaming-Formate zu erstellen. Insgesamt lässt sich innerhalb der letzten Monate durchaus eine Tendenz erkennen: Die enthusiastischen Literaturmenschen, die nicht nur eine Botschaft an potenzielle Kunden senden wollen, sondern sich für Dialoge und Diskussionen öffnen, sind am erfolgreichsten dabei, das Gespräch über Literatur auch online zum Laufen zu bringen.
 

Literatur im Fokus

Das Messegefühl persönlichen Kontaktes und großer Menschenmengen in die Virtualität zu transportieren, wird zwar schwierig bis unmöglich werden, unsere Begeisterung für Literatur können wir dennoch auch online produktiv werden lassen. Vielleicht kann die Pandemie so ein Anlass sein, ganz aktiv und zielstrebig Diskussionen und Gespräche im öffentlichen Raum des Internets zu suchen – an Orten, wo Teilhabe auch für die Menschen möglich ist, die niemals persönlich nach Frankfurt kommen würden oder können. Das Klassentreffen des Literaturbetriebs wird voraussichtlich erst 2021 wieder stattfinden. Vielleicht richten wir bis dahin den Fokus weg von den ganzen gesellschaftlichen Begleitumständen dieses Betriebs und direkt hin zur Literatur. Machen wir das Beste draus!
 

Autorin

Berit Glanz Foto: © privat Berit Glanz, 1982 geboren, ist Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Redaktionsmitglied des Internet-Feuilletons 54Books. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Fennistik und Skandinavistik der Universität Greifswald. Ihr Debütroman Pixeltänzer kam 2019 im Schöffling Verlag heraus, im Sommer 2020 erschien ihr Gedichtband Partikel bei Reinecke & Voß.

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