Nicolas Mahler
Die bizarre Welt des Nicolas Mahler
Der Comic-Zeichner Nicolas Mahler ist ein begnadeter Humorist und ein Meister des Dahingekritzelten. In banalen und kafkaesken Szenarien voll beklemmender Komik und ungewollter Poesie führt er die Geschichten seiner Protagonisten ad absurdum.
Von Matthias Schneider
Es ist eine bizarre Welt, die uns Nicolas Mahler in seinen Comic-Cartoons präsentiert. Wie durch einen Hohlspiegel betrachtet, verzerrt der Österreicher das äußere Erscheinungsbild seiner Protagonisten. Große schlanke Figuren sind dünn und hoch wie Telegrafenmasten und dicklich Untersetzte sind quadratisch breit und tummeln sich rundweg am Boden. Auch ihre Extremitäten sind entsprechend grotesk gezeichnet, ihre Nasen sind länger als lang und ihre Stummelfüße kürzer als kurz. Mahler arbeitet genussvoll mit der humorvollen Überzeichnung, dem klassischen Stilmittel der Karikatur.
Darüber hinaus ist der Autor und Zeichner ein Freund der einfachen Skizze und ein Meister der Reduktion. Anfänglich beschleicht einen gar das Gefühl, dass er vielleicht nur faul ist, der Mahler. Denn die Gesichter seiner Figuren haben weder Augen noch Münder, womit er die Darstellung jeglichen Mienenspiels umgeht. Zudem reproduziert er gerne seine Bildmotive fast unverändert, so muss er sich weder mit aufwendigen Bewegungsabläufen noch mit wechselnden Hintergrundszenen auseinandersetzen.
Der Witz steckt im Detail
Man könnte Mahler mit seinem stillen und lakonisch-spröden Humor über eigenwillige Außenseiter auch als einen Aki Kaurismäki der Comic-Cartoons bezeichnen. So kommen die Bilder des Österreichers, ebenso wie die des finnischen Regisseurs, auch ohne Farbe oder Worte aus. In Van Helsing macht blau (2008) inszeniert Mahler schwarzweiß und wortlos Horrorfiguren wie Dracula, Frankenstein und Werwölfe als liebevolle Schussel. Aufgrund ihrer körperlichen Eigentümlichkeiten sind sie dankbare Opfer für die Tücken des Alltags, dem Menschen nicht ungleich. Der Karikaturist Mahler konterkariert mit Vorliebe tradierte Sujets. So bedient er sich in seinen Herrenwitz-Variationen (2008) an dem peinlich schlüpfrigen Humor älterer Männer und wandelt diesen in eine neue und genießbare Form um.
Klassische Literatur und Gedichte in Comicform
Nach Cartoons und Comics ist Mahler inzwischen auch in der Welt der Literatur heimisch geworden. So hat er 2015 den Preis der Literaturhäuser auf der Frankfurter Buchmesse erhalten, veröffentlicht regelmäßig beim Suhrkamp und Insel Verlag und hat mehrere Literaturadaptionen veröffentlicht. Zu seinen ersten Adaptionen gehört Alte Meister (2011), die eine äußerst kluge Reflexion auf die Kunstform des Comics ist. Die Romanvorlage stammt von Mahlers Landsmann, dem österreichischen Autor Thomas Bernhard. Den rauschhaften Schimpftiraden des notorischen Grantlers Bernhard begegnet Mahler mit seinem sparsamen und sicher platzierten Strich.
Mit Mann ohne Eigenschaften aus dem Jahr 2013 gelingt es Mahler, die Vorlage des ebenfalls österreichischen Autors Robert Musil auf 150 wortlose Seiten zu verdichten, und liefert eine eigensinnige Interpretation des Literaturklassikers. Gilt Musils Roman als unadaptierbar, so hat Mahler das Gegenteil bewiesen.
Mit seiner Interpretation von Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (2017) hat sich Mahler einen der bedeutendsten französischen Romane vorgenommen. Erneut gelingt ihm eine originelle Verdichtung eines Klassikers. Der Leser wird das Werk von Proust mit anderen Augen sehen. Mahlers Kunstgriff ist es, die Madeleine und den Lindenblütentee auszulassen, ja sogar den legendären ersten Satz, und denkt stattdessen Prousts Konzept der „unwillkürlichen Erinnerung“ von der Musik her.
Eine Comic-Geschichte der Philosophie erzählt Mahler in Partyspaß mit Kant (2015). Mahler lässt uns am Alltag der 22 berühmtesten Philosophen teilhaben, und so haben wir nicht nur Partyspaß mit Kant, sondern besuchen mit Hegel eine Kunstausstellung, sind mit Marx im Supermarkt und mit Nietzsche im Pfadfinderlager, gehen mit Deleuze ins Kino und feiern Traumhochzeit mit Simone de Beauvoir. Unwahrscheinlich, dass sich Mahlers Episoden so zugetragen haben, und doch bringt er uns mit subtilem Humor das Leben, Denken und Fühlen des jeweiligen Philosophen näher, und lässt uns zugleich über den Aberwitz unserer menschlichen Existenz schmunzeln.
Aber Mahler kann auch Gedichte, die unter anderem in dem Band Dachbodenfunde (2015) veröffentlicht sind. Mahler, als Meister der zeichnerischen Reduktion, setzt auch Sprache sehr pointiert ein. Aus den nüchternen Beschreibungen alter Spielzeugauktionskataloge erzeugt er mit minimalen Mitteln eine seltsame Atmosphäre aus Komik und Melancholie. Darauf folgend nimmt sich Mahler mit dem Gedichtband In der Isolierzelle (2016) Hobby- und Technikmagazine aus den 1920er- bis 1960er-Jahren vor und destilliert ihre absurden Texte in Wort und Illustrationen. In der Publikation Gedichte (2013) geht Mahler sogar noch einen Schritt weiter, und veröffentlicht grafische Gedichte, in denen Bilder die Buchstaben ersetzen – visuelle Poesie im wahrsten Sinne des Wortes.
ein Comic-Zeichner beim Finanzamt
Auch wenn die Dialoge in Kunsttheorie versus Frau Goldgruber (2007) an Absurdität kaum zu übertreffen sind, so beruht der Comicband auf einer wahren Begebenheit. Es handelt sich hierbei um Mahlers langatmige Diskussion mit Frau Goldgruber, einer ihm zugeteilten Finanzbeamtin. Die Konversation zur Klärung der Frage, ob er Künstler ist oder nicht, denn davon hängt in Österreich der Steuersatz von 10 oder 20 Prozent ab, entwickelt sich mehr und mehr zu einer Grundsatzdiskussion über Comics als Kunstform und Kunst im Allgemeinen. In dem Sammelband Die Zumutungen der Moderne (2007) berichtet Mahler von seinen grotesken Alltagserlebnissen. Ob beim Comiczeichenunterricht an der Volkshochschule oder als Gast auf diversen internationalen Comic- und Animationsfilmfestivals, Mahler zieht nicht nur eigenartige Menschen an, er weiß die bizarren Begegnungen auch mit vorzüglich trockenem Humor zu erzählen.
Im Jahr 2006 wurde Mahler für seine wunderbaren Humorzeichnungen in dem Sammelband Das Unbehagen mit dem „Max und Moritz“-Preis des Comic-Salons Erlangen geehrt, weitere Auszeichnungen folgten, darunter 2010 erneut der „Max und Moritz“-Preis, allerdings in der Kategorie „Bester deutschsprachiger Comic-Künstler“.
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